Die Caritasfamilie umspannt die ganze Welt
In Monduli (Tansania) leitet Mireille Kapilima das St. John Paul II Rehabilitation Center.Ci/Bente Stachowske
Vor 20 Jahren wollte Caritas international (Ci) wissen, wie gut sie unter Mitarbeitenden des Deutschen Caritasverbandes (DCV) bekannt ist. Von welchen Arbeitsbereichen oder Projekten die Caritaskolleginnen und -kollegen schon gehört haben. Ob und wie sie bereit sind oder wären, deren internationale Arbeit zu unterstützen - durch Spenden oder auch durch tatkräftiges Engagement.
Die repräsentative Umfrage, bei der knapp 1600 Einrichtungen und Dienste der deutschen Caritas dankenswerterweise Fragebögen an ihre Mitarbeitenden verteilten, ergab, dass ein Großteil der Befragten Ci "nur" als Katastrophen-Hilfswerk wahrnahm und schlichtweg nichts von deren sozialen Projekten wusste. Viele gaben an, Ci immer nur dann wahrzunehmen, wenn im Fall einer Großkatastrophe das Logo im Fernsehen eingeblendet und damit nach einem Erdbeben, einem Tsunami oder Wirbelsturm zu Spenden aufgerufen werde.
Heute, zwei Jahrzehnte später, ist das Gegenteil der Fall. Mittlerweile gibt es von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen wohl kaum einen Verband oder eine Einrichtung des DCV, der oder die nicht schon auf irgendeine Weise mit Ci in Berührung gekommen wäre, vielleicht sogar in einem der Fachbereiche den internationalen Austausch über Ci geführt hätte oder über die soziale Caritasarbeit weltweit gut informiert ist und diese unterstützt.
Was hat diesen Wandel bewirkt? Ci hat nach der erwähnten Umfrage im Jahr 2007 eine bis heute erfolgreiche Kampagne ins Leben gerufen, um sich innerhalb des Verbands bekannter zu machen und das Miteinander und die Solidarität zwischen nationaler und internationaler Caritashilfe zu stärken: die Kampagne "Caritas für Caritas". Über diese kamen eine Reihe von Projektpartnerschaften zustande, wird alljährlich bundesweit die Solidaritätsaktion "Eine Million Sterne" durchgeführt, lernen sich zum Fachaustausch deutsche und internationale Kolleginnen und Kollegen kennen. Dazu werden jedes Jahr – neben den sogenannten "Dialogreisen", bei denen auf Leitungsebene ein Projektland besucht wird – "Begegnungsreisen" (bei denen internationale Caritas-Fachkräfte ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen besuchen) oder "Projektreisen" veranstaltet, bei denen Sozialarbeiter:innen aus einem Fachbereich ein Auslandsprojekt besuchen. Es hat sich gezeigt, dass der Erfahrungsaustausch, der dabei stattfindet, immer eine Win-win-Situation ist. Viele der internationalen Partner berichten begeistert, was sie an Ideen und sozialen Ansätzen aus der Caritas-Arbeit in Deutschland mitgenommen haben. Umgekehrt konnte die soziale Arbeit in Einrichtungen des DCV von den Erfahrungen profitieren, die in ärmeren Ländern mit weit weniger Mitteln gemacht wurden. Und dennoch wurden dort sehr effektive und kreative Lösungen gefunden, um hilfsbedürftige Menschen in der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe oder im Einsatz für Menschen mit Behinderung zu unterstützen. Der Erfahrungsaustausch ist nie eine Einbahnstraße.
Mangels Ressourcen und kostspieliger Einrichtungen arbeiten die Kolleginnen und Kollegen in vielen anderen Ländern mit einem sogenannten "gemeinwesenorientierten Ansatz". Das heißt, sie beziehen das gesamte soziale Umfeld in die sozialen Hilfen ein - Eltern, Geschwister, Nachbarn, Lehrkräfte, ja, oft die ganze Dorfgemeinschaft. Ganz von selbst geschieht auf diese Weise Inklusion. Insofern sind uns bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention viele unserer ausländischen Partner schon weit voraus. Und staunen gelegentlich, wenn sie sehen, wie in Deutschland für Menschen mit Behinderung zwar mit oft großem Aufwand an Personal und Ausstattung alle möglichen denkbaren Hilfen umgesetzt werden, aber die Hilfe doch häufig auf das einzelne Individuum fokussiert ist und das gesellschaftliche Umfeld zu wenig in den Blick nimmt.
Die ganze Dorfgemeinschaft ist dabei
Bezeichnend war die Reaktion der Kollegin Ofelia Bustillos, einer leitenden Fachkraft in einem Caritas-Behindertenprojekt in Bolivien, als sie bei einer Begegnungsreise deutsche Caritas-Einrichtungen besuchte: Sie war von der Führung und Ausstattung aufwendiger Wohnheime, Behindertenwerkstätten oder Förderschulen mit schicken Snoezelräumen, modernen Turnhallen und teuren Fertigungsanlagen nicht so einfach zu beeindrucken. "Aber wie ist gesichert, dass die Menschen mit Behinderung in ihrer Einrichtung nicht isoliert leben?", erkundigte sie sich bei den Besuchen immer wieder. Ofelia Bustillos hatte viele weitere Fragen: "Wie integriert sind Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft? Wie arbeiten Tagesstätten oder Förderschulen mit Eltern, Geschwistern und Nachbarn ihrer Klientel zusammen? Haben die in Wohnheimen Lebenden noch viel Kontakt mit ihren Familien, oder bleiben sie in die Heime abgeschoben?"
Der Austausch findet längst in allen Fachbereichen statt, in der Kinder- und Jugendhilfe, der Altenhilfe, der Hilfe für Menschen mit Behinderung oder der Suchthilfe. In der Suchthilfe etwa haben sich bereits vor rund 20 Jahren Caritas-Organisationen aus Asien, Lateinamerika und Osteuropa auf eine gemeinsame Position geeinigt und mehrfach bei Fachbesuchen (wie auch bei einem mehrtägigen Kongress in Berlin) mit Einrichtungen der Suchthilfe des DCV ausgetauscht, um gegenseitig soziale Ansätze zu diskutieren und voneinander zu lernen. Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe waren – als nur ein Beispiel von vielen – Sozialarbeiter:innen der Caritas Kenia, die in ihrem Land mit Straßenkindern arbeiten, eine Woche lang in Berlin "auf der Straße", um vor Ort die soziale Arbeit der deutschen Kolleg:innen kennenzulernen und umgekehrt ihre eigenen Ansätze zu vermitteln. Die Lernerfahrungen waren auch hier gegenseitig fruchtbringend. Die kenianische Kollegin, Sozialdienstleiterin Pauline Thogo, äußerte sich begeistert: "Ich habe in Deutschland gelernt, wie wichtig es ist, Straßenkindern mehr zu geben als ,nur‘ Obdach und das tägliche Brot, sondern – wo nötig – auch therapeutisch-psychologisch mit ihnen zu arbeiten, um ihre Gesamtsituation zu verbessern."
Ci hat Expertise im Katastrophenmanagement
Wie weit deutsche Caritasverbände über die sozialen Projekte hinaus auch von Ci-Erfahrungen in der Katastrophenhilfe profitieren können, hat sich vielleicht am eindrucksvollsten bei den Flutkatastrophen in Deutschland gezeigt, in den Jahren 2002, 2013 und 2021. Hier kam es zu konstruktiven Kooperationen zwischen deutschen Caritasverbänden und Ci, deren Strukturen beim Katastrophen-Management und der bundesweiten Spendengenerierung effektiv genutzt werden konnten. Sehr häufig wurde rückgemeldet, wie hilfreich dabei die langjährige Expertise von Ci in der weltweiten Fluthilfe war, die Ci mit fachlichem Rat, gebündelt im "Leitfaden Fluthilfe", den betroffenen Verbänden zur Verfügung gestellt hat.
Immer wieder wird an Ci auch der Wunsch nach einer Projektpartnerschaft herangetragen. Es sind in den letzten zwei Jahrzehnten eine ganze Reihe erfolgreicher Partnerschaften zwischen einem deutschen (Caritas-)Verband und einem von Ci unterstützten Projekt entstanden. Zwei davon stellen sich in diesem Heft selbst vor: die Partnerschaft zwischen dem DiCV Aachen und der Caritas Pasto in Kolumbien sowie dem DiCV Bamberg und einem Projekt für Straßenkinder im Senegal. In einem weiteren Beitrag berichtet Madleine Azmy, eine Ärztin aus der Behindertenhilfe in Ägypten, über ihre Erfahrungen mit einer Projektpartnerschaft mit einer Blindenschule in Deutschland sowie mit dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch.
Die Projektbox liefert Infos
Die Strukturen und internationalen Kontakte von Ci sind, wie immer wieder bestätigt wird, den deutschen Verbänden beim Aufbau einer solchen Partnerschaft stets eine große Hilfe, und es können in diesem Bereich wunderbar Synergien genutzt werden. In einer Infobox unten haben Mitarbeitende von Ci eine Sammlung von sechs Schritten zusammengestellt, die bei Überlegungen zur Bildung einer Projektpartnerschaft wichtig sind, und eine Kontaktadresse angegeben, bei der sich Interessierte nähere Informationen holen können.
Neben direkten Partnerschaften gibt es noch zahlreiche andere Möglichkeiten, Projekte von Caritas international zu unterstützen – im Katastrophenfall oder auch für mehrjährige soziale Projekte: zum Beispiel Ci-Werbebanner zu schalten, Spendenaufrufe auf den eigenen Websites und sozialen Medien der Verbände zu verbreiten oder sie durch Benefiz-Aktionen zu unterstützen. Der Kreativität sind hier, wie Erfahrungen zeigen, keine Grenzen gesetzt. So haben Verbände zum Beispiel Konzerte, Flohmärkte oder Solidaritätsessen zugunsten von Ci-Projekten veranstaltet. Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass auch über die Aktion "Eine Million Sterne", in der jährlich Kinder- und Jugendprojekte in den Fokus gerückt werden, regelmäßig zwischen 20.000 bis 30.000 Euro Spendengelder eingehen.
Der christliche Geist vereint alle
All diese Beispiele demonstrieren eindrucksvoll, dass die deutschen Caritas-Kolleg:innen und die in insgesamt 164 anderen Ländern, in denen es eine eigene nationale Caritas gibt, eine große weltweite Familie bilden, die bei allen Unterschieden ein einziger Geist vereint. Den hat vielleicht am schönsten Mireille Kapilima ausgedrückt, Leiterin einer Behinderteneinrichtung in Tansania, die lange Jahre eine Projektpartnerschaft mit der Caritas Düsseldorf verband: "Ich identifiziere mich sehr stark mit der Arbeit. Caritas bedeutet für mich, aus christlicher Überzeugung tätige Nächstenliebe zu üben und die Welt ein Stück gerechter zu machen."
Sechs Schritte
Planung einer Projektpartnerschaft
1. Erkundigen Sie sich bei Ci, ob ein Projekt, das Sie favorisieren, für eine Partnerschaft offen und geeignet ist. Kontakt: Caritas international, Abteilung "Verbandsinterne Kommunikation", Christine Decker, Karlstr. 40, 79104 Freiburg. E-Mail: christine.decker@caritas.de, Tel. 0761/200-620.
2. Klären Sie, ob in Ihrem Verband/Ihrer Einrichtung personelle Ressourcen vorhanden sind, um die Kommunikation mit einer Ansprechperson aus dem Projekt zu führen, Material aus dem Partnerprojekt zu übersetzen und für Ihre Öffentlichkeitsarbeit aufzubereiten.
3. Klären Sie, ob in Ihrer Mitarbeiterschaft genügend Bereitschaft da ist, die Partnerschaft mitzutragen und bei der Organisation und Durchführung von Informationsveranstaltungen, Spenden- und Benefiz-Aktionen mitzuwirken.
4. Klären Sie, ob die Kapazitäten da sind, eine regelmäßige Kommunikation mit dem Partner über einen längeren Zeitraum hinweg zu führen.
5. Klären Sie die Bereitschaft von Fachbereichspersonal auf beiden Seiten, einen dem fachlichen Austausch dienenden Dialog zu führen.
6. Erkundigen Sie sich eingehend, in welchem Bereich beim Partner noch anderweitiger nicht gedeckter Förderungsbedarf besteht, und ob und in welchem Umfang Ihr Verband etwas dazu beitragen kann.