„Mehr Härte“ bringt nichts
Jede schwere Gewalttat löst Erschütterung, oft Ratlosigkeit aus. Umso mehr, je jünger Opfer und Täter sind. Wie kürzlich bei der Nachricht vom tatverdächtigen Dreizehnjährigen in Berlin, der einen Zwölfjährigen mit dem Messer schwer verletzte, oder dem Dreizehnjährigen, der in Wuppertal eine Zwölfjährige vor eine Straßenbahn stieß – mit tödlichem Ausgang –, oder von den drei Vierzehn- und zwei Zwölfjährigen im Tatverdacht, eine junge Frau vergewaltigt zu haben. Medial aufbereitet, entsteht der Eindruck, dass schwere Gewalttaten bei Minderjährigen zunehmen, vor allem bei noch nicht strafmündigen Kindern. Und die polizeiliche Kriminalstatistik liefert den Beleg: Bei einem insgesamt leichten Anstieg der Gewaltdelikte von 2023 auf 2024 um 1,5 Prozent stieg die Quote der tatverdächtigen Jugendlichen um 3,8, die der tatverdächtigen Kinder um 11,8 Prozentpunkte. Der Anteil Letzterer an allen Gewaltdelikten erreichte 2024 mit sieben Prozent einen historischen Höchststand.
Nahezu reflektorisch wurde und wird nach solch schrecklichen Ereignissen als politische Handlungsoption die Forderung nach Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf zwölf Jahre laut. Mehr Sanktionen, mehr Härte! Und dann?
Fachkreise sind sich weitestgehend einig: Eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters führt nicht zur Verhinderung von Straftaten. Vielmehr gilt es, besondere Risikofaktoren zu identifizieren und Kinder präventiv zu begleiten. Auch solche Faktoren benennt die Kriminalstatistik: wirtschaftliche Sorgen und fehlende Teilhabemöglichkeiten, gewaltlegitimierende und -akzeptierende Männlichkeitsnormen, häusliche Gewalt sowie geringe Involviertheit von Eltern ins Leben ihrer Kinder, aber auch zunehmende psychische Belastungen von Kindern. Primäre präventive Ansätze haben das Ziel, solchen ungünstigen Entstehungsbedingungen entgegenzuwirken. Dieser Auftrag lässt sich gut aus dem SGB VIII ableiten, das in § 1 (3) Satz 5 als Aufgabe für die Jugendhilfe formuliert, "positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen". Sekundäre Prävention fokussiert Risikogruppen und bietet Begleitung und Unterstützung. Im Berliner Fall hat ein Mitschüler berichtet, der Junge habe die Tat angekündigt. Wäre es möglich gewesen, die Schulsozialarbeit zu aktivieren? Oder das Jugendamt? Angebote im Sinne tertiärer Prävention sind für zum Beispiel durch Gewalt auffällig gewordene Kinder oder Jugendliche da. Der Instrumentenkasten der Jugendhilfe ist groß, gemeinsam ist allen Angeboten - und dies ist auch im Jugendstrafrecht zugrunde gelegt - der erzieherische, nicht der strafende Auftrag.
Die Schlüsselfrage bei der bedrückenden Entwicklung der Gewaltdelikte bei Kindern ist nicht, ob wir das Strafmündigkeitsalter herabsetzen, sondern wie wir als Gesellschaft bereit sind, die uns zur Verfügung stehenden Präventivmaßnahmen auszubauen und zu nutzen.