Seismograph im Stadtteil
Kleine Mengen verschwinden sofort in seinem blauen Plastikbeutel, bei größeren informiert er die Stadt und bittet um Abholung. Garwe (58) ist „Stadtteilhelfer“. Das ist die offizielle Bezeichnung seiner neuen Aufgabe nach jahrelanger Arbeitslosigkeit. „Seismograph im Stadtteil“, erweitert Andreas Thiemann, Geschäftsführer des Katholischen Sozialdienstes (KSD) Hamm, seine Funktion. Denn natürlich bekommt er so Einiges mit bei seinen Streifzügen, spricht mit den Bürgern in diesem „Ankommensstadtteil“, in dem Garwe unter anderem auch das Prinzip der deutschen Mülltrennung Neuzugezogenen erklärt.
Thomas Garwe ist einer von derzeit 13 Mitarbeitern des KSD Hamm, die lange keinen Arbeitsplatz haben finden können und „Kunden“ des Jobcenters waren. Im Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsplatz“ haben sie neue Lebensperspektiven gefunden. Aus dieser Abhängigkeit entlassen zu werden, einen Arbeitsvertrag unterschreiben zu dürfen und damit auch in die Dienstgemeinschaft aufgenommen zu werden, sei ein sehr bewegender Moment gewesen, berichtet Maria-Elisabeth Lang, die beim KSD für die Beschäftigungsprojekte verantwortlich ist.
Wieviel ihnen ihre Aufgabe bedeutet und dass das Geld dabei eher nebensächlich ist, sagen auch Bianca Felling und Reinhold Rosentreter. Wie es allerdings in diesem Jahr weiter geht, wenn das Bundesprogramm ausläuft und vom „Teilhabechancengesetz“ mit neuen Bedingungen abgelöst wird, bleibt für Lang unklar. Und ob die drei und ihre Kollegen noch weiter dabei sein können, ist ebenso unsicher.
Künftig soll nicht mehr verlangt werden, dass die geförderten Beschäftigungen gemeinnützig und zusätzlich sein müssen, also nicht in Konkurrenz zu Angeboten der freien Wirtschaft treten. Langzeitarbeitslose sollen reguläre Stellen im ersten Arbeitsmarkt erhalten, die abnehmend über mehrere Jahre gefördert werden.
Der KSD wird dann kaum noch dabei sein können, er produziert nicht, erzielt keine Einnahmen aus den Stellen und wird sie damit nicht finanzieren können. Sie kosten nur. Doch ob die Idee des Gesetzgebers in die Wirklichkeit von Wirtschaft und Arbeitswelt umgesetzt werden kann, bezweifelt Maria-Elisabeth Lang. Denn die Begleitung der Teilnehmer ist dann durch das Jobcenter vorgesehen.
Dabei ist auch für Bianca Felling klar, dass sie auf jeden Fall weiter machen will und wenn es nicht anders geht, dann eben in geringerem Umfang ehrenamtlich. Die gelernte Bürokauffrau mit Weiterbildung zur Betriebswirtin ist wie Thomas Garwe durch eine Krankheit für Jahre ausgebremst worden und hat den Anschluss nicht mehr finden können. Ihr offizieller Titel ist jetzt „Veranstaltungshelferin“. Als solche hilft sie mit, die zahlreichen Angebote des Stadtteilbüros im Hammer Norden zu organisieren und das erschöpft sich nicht im Verkauf der Tickets.
Sie war hier schon zuvor als Stadtteilhelferin im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit eingesetzt. Aber seit Juli 2017 Mitarbeiterin des KSD zu sein, hat eine ganz andere Bedeutung, Teilhabe eben.“Etwas Sinnvolles zu tun und wieder reinzukommen“, ist ihr ganz wichtig. Es nährt auch wieder die Hoffnung, doch noch Anschluss in die reguläre Arbeitswelt zu finden.
Ein fester Arbeitsplatz fehlt Reinhold Rosentreter seit der Geburt seines mittlerweile 17jährigen Sohnes. Der alleinerziehende Vater von zwei Kindern fand nach der Ausbildung zum Tischler und der Qualifikation als Trockenbauer keinen interessierten Arbeitgeber. Er ist nicht zuhause sitzen geblieben, hat hier und da gejobbt, als Praktikant die Abteilung eines Baumarkts geleitet und zuletzt als Malerhelfer gearbeitet. „Zuhause rumsitzen geht nicht, ich muss ja auch Vorbild für meine Kinder sein,“ sagt er.
Jetzt ist er mit Leib und Seele „Stromspar-Checker“, spürt dem Energie- und Wasserverbrauch in Hartz-IV-Haushalten nach, berät Familien und alleinerziehende Eltern, tauscht stromsparende Birnen und Durchflussbegrenzer ein. Vor allem entwickelt er auch Ideen, um immer neue Haushalte für diesen Service zu interessieren.
Mit ihren Aufgaben in den Projekten kommen die Teilnehmer gut klar, Gesellschaft und Kommune profitieren davon. Ob sie die Erwartungen der freien Wirtschaft dauerhaft erfüllen können, da ist Lang skeptisch. Die Hemmnisse, die eine Vermittlung in Arbeit trotz allerorts beschworenem Fachkräftemangel verhinderten, seien nicht mit der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag beim KSD entschwunden. Die Hoffnung bleibt, sagt Lang: „Es herrscht noch keine Endzeitstimmung“.