"Nichts haben und weiter kämpfen"
Die Presse nannte es schlicht: "Horrorhaus". Wasser drückte sich durch die Wände und der Schimmel blühte, im Treppenhaus stank es unerträglich und die Ratten wühlten sich durch Müllberge im Hof. Im April ließ die Stadt das Haus in der Kameruner Straße im Berliner Stadtteil Wedding von der Polizei zwangsräumen. Die 42 Mieter aus Bulgarien, darunter zwei Kinder, standen auf der Straße. "Das Haus war völlig marode und baufällig. Richtig gefährlich!" Hannelore Berdich kannte das von seinem Eigentümer vernachlässigte Gebäude gut. Die Sozialarbeiterin von MOBI.Berlin besuchte die Bewohner des überbelegten Mietshauses regelmäßig, um ihnen in ihrer schwierigen Lebenssituation zu helfen. Der Vermieter vermietete jedes Zimmer einzeln, allerdings ohne Mietvertrag, dafür für viel Geld. Über 500 Euro für einen Raum mussten die Bewohner jeden Monat in bar bezahlen.
Hannelore Berdich sitzt in ihrem Büro in der Levetzowstraße in Moabit. Von hier aus koordiniert die 33-Jährige das zehnköpfige Team von MOBI.Berlin der Caritas im Erzbistum Berlin. Die mobile Beratungsstelle kümmert sich um Menschen, die aus Südosteuropa nach Berlin zuwandern. "Wir verstehen uns als Brücke, die zwischen den Klienten und den Behörden und Regeldiensten vermittelt", erklärt die Koordinatorin. Problemimmobilien, wie in der Kameruner Straße, begegnen ihr immer wieder, betont die Sozialpädagogin. Die Situation der neuzugezogenen EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien sei in der Regel äußerst prekär und das werde von skrupellosen Geschäftemachern eiskalt ausgenutzt. Ein Teufelskreis.
Die Sozialarbeiterin kennt die Problematik. Sie stammt selbst aus Rumänien, aus dem Umland der Stadt Timisoara im Westen des Landes. Ihre "Vatersprache" sei deutsch, lacht Berdich. Ihr Vater gehöre der Minderheit der Banater Schwaben an, und so sei sie zweisprachig aufgewachsen. Bereits im Alter von 15 Jahren begann sie ehrenamtlich in einem Sozialprojekt für in Armut lebende Roma-Kinder in der Stadt Caransebes mitzuhelfen. Eine im Ruhestand befindliche Sozialpädagogin aus Deutschland hatte die Nachmittagsbetreuung aufgebaut, mit Mittagessen, Hausaufgabenhilfe und Freizeitgestaltung. "Die Frau hat mich geprägt", erinnert sie sich noch gut an ihre beruflichen Anfänge und ihre wilde Entschlossenheit, gegen Armut vorzugehen: "Ich wollte die Welt verändern!"
Bis heute hat sich daran bei der Sozialarbeiterin nicht viel geändert. Bei MOBI-Berlin spüre sie, dass sie diesen Wunsch im Kleinen umsetzen kann. "Wir beeinflussen hier die Lebenssituation von in Armut lebenden Familien eindeutig zum Positiven." Gleichzeitig profitiert sie von ihren Klienten: "Die Kraft der Leute, die nichts haben und trotzdem weiterkämpfen, die Freude, wenn sie etwas erreicht haben, auch wenn es nur ein ganz kleiner Schritt war, das motiviert mich."
Berdich erzählt von einer Familie, die sie seit knapp einem Jahr begleitet. Der Vater kam zunächst alleine nach Deutschland auf der Suche nach Arbeit. Ohne festen Wohnsitz, schlief er bei Bekannten oder im Auto. Als er endlich einen Minijob fand, holte er seine Frau und seine drei Kinder nach. In Berlin angekommen, musste die Familie allerdings feststellen, dass es nicht so einfach ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Am Ende lebten die fünf von Mai bis November im Park. "Es war schwer für die Familie", meint Berdich, "aber die Frau hat mir erzählt, dass sie nichts mehr in Rumänien gehalten hätte." Sie habe dort mit den Kindern in einer kleinen Lehm-Baracke gelebt und sich als Tagelöhnerin durchschlagen müssen. Das Geld reichte vorne und hinten nicht.
"Bulgaren und Rumänen besitzen als EU-Bürger zwar das Recht, hier zu sein", kritisiert Berdich die Ungleichheit unter EU-Zuwanderern aus reichen und ärmeren Ländern, "aber der Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Wohnungsmarkt ist für unsere Zielgruppe nur sehr schwer zu erreichen". Da sei auch die Förderung von MOBI.Berlin durch den "Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen" (EHAP) der EU nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Auch die Berliner Diözesancaritasdirektorin Ulrike Kostka sieht die Politik gefragt: "Die EU-Zuwanderung aus Südosteuropa wird nicht aufhören. Deutschland profitiert sehr stark vom europäischen Binnenmarkt und der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wir können aber nicht nur die Vorteile abschöpfen. Wir müssen auch soziale Verantwortung für Menschen übernehmen, die aus der EU zu uns kommen."
Hannelore Berdich motiviert es, als Rumänin für Rumänen da zu sein. "Auch wenn ich nicht mehr dort lebe, gibt es mir ein Gefühl von Heimat, Menschen aus meinem Herkunftsland zu helfen".
Kontakt
MOBI.Berlin Mobile Beratungsstelle für Zuwandernde aus Südosteuropa
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