Helfen beim Ankommen
Ismail ist 16 Jahre alt und stammt aus Syrien. Mehrmals in der Woche kommt er zum Nachhilfeunterricht des Jugendmigrationsdienstes. Heute steht Chemie auf dem Programm. "Eine höhere Konzentration lässt sich...", liest er vor, dann stockt er. "Destillieren" ist das nächste Wort. Brigitta Lück liest es ihm mehrmals vor, dann versucht er es selbst so lange, bis es flüssig klappt. Die Rentnerin war früher Lehrerin und ist mit 72 Jahren die älteste Hausaufgabenbetreuerin unter den rund 15 ehrenamtlich Engagierten. Der gehört zu IN VIA - Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit für das Erzbistum Berlin. Die meisten, die hier helfen, sind Jugendliche und junge Erwachsene - so wie Yago Duppel, 22, Sahra Golli, 17 und Asra Noha El-Mohamad, 29. Sie unterstützen Jugendliche mit Migrationshintergrund: Sie helfen ihnen zum Beispiel bei den Hausaufgaben und der Wohnungssuche, übersetzen Post vom Jobcenter oder unterstützen sie bei Bewerbungen.
Yago Duppel studiert Mathematik. Er ist besonnen und nachdenklich und seit September 2015 beim IN VIA-Jugendmigrationsdienst. "Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatte ich gerade meine Schulzeit beendet und sah, wie viel Not es gab", erzählt er. "Mir war klar, wie schwer es für Menschen ist, in einem neuen Schulsystem klarzukommen." Deshalb wolle er jungen Migranten helfen. Die Schülerin Sahra Golli betont, dass sie die Situation der Jugendlichen aus eigener Erfahrung kenne: "Ich weiß, was es heißt, sich in einem neuen Land zurechtzufinden." Sie ist zwar hier geboren, lebte jedoch mit ihren Eltern in Tunesien. Vor fünf Jahren kam sie mit ihrer Familie zurück nach Deutschland. Sie kann gut auf Menschen zugehen und integrierte sich schnell. Ihre Erfahrung in einem arabischen Land und ihre Sprachkenntnisse kommen ihrem Engagement beim Jugendmigrationsdienst zugute. Sie spricht neben Deutsch noch Arabisch und Französisch.
Asra Noha El-Mohamad bewirbt sich gerade für eine Stelle im medizinisch-technischen Bereich und strebt einen Meister-Abschluss an. Mit dem Jugendmigrationsdienst ist sie bestens vertraut. Auch sie bekam hier Hausaufgabenhilfe. Sie ist ebenfalls in Deutschland geboren, doch ihre Eltern stammen aus dem Libanon und sprachen nicht gut genug Deutsch, um ihr bei den Hausaufgaben zu helfen. "Ich freue mich, wenn ich das jetzt an andere Jugendliche zurück geben kann", sagt sie. Sie übersetzt zudem bei den Beratungsgesprächen ins und aus dem Arabischen. Asra Noha El-Mohamad trägt ein Kopftuch und ist damit als Muslima sofort erkennbar. "Der nützlichste Mensch ist der, der anderen Menschen von Nutzen ist", heißt es im Koran. Die junge Muslima scheint diese Botschaft verinnerlicht zu haben. Derzeit ist sie fast täglich für den Jugendmigrationsdienst im Einsatz.
Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind froh, wenn ihre Hilfe ankommt. So wie bei der 24-jährigen Türkin Fatima*. Sie hatte vor einigen Jahren die Schule abgebrochen, sich dann aber doch entschlossen, den Berufsbildungsreife-Abschluss nachzuholen. Das Team des Jugendmigrationsdienstes half ihr, sich auf die Prüfung vorzubereiten. Vor einigen Wochen erfuhr sie, dass sie bestanden hat.
Der 17-jährige Nio kam allein aus dem Kongo nach Deutschland. Der jüngste alleinreisende Migrant, der hier betreute wurde. "Es fiel im schwer, allein seine Einkäufe zu erledigen und seine Sachen zu waschen", erzählt Asra Noha El-Mohamad. "Außerdem vermisste er seine Familie und hatte Angst, abgeschoben zu werden." Der IN VIA-Jugendmigrationsdienst half Nio mit Beratungsgesprächen und unterstützte ihn im Alltag, bis er sich allein zurechtfand.
Solche Erfolgsgeschichten beflügeln das Helfer-Team. Gerade in Situationen, die schwierig sind. Wenn es mit dem Deutschlernen hapert oder wenn die Jugendlichen Heimweh haben. Viele, die aus Kriegsgebieten kommen, sind traumatisiert. In Europa habe man keine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen Menschen in anderen Teilen der Welt lebten, betont Sarah Golli. "Hier bei uns werden Menschen mit Migrationshintergrund oft unterschätzt." Das sei unfair. Ihrer Erfahrung nach wollten die meisten schnell Deutsch lernen und eine Ausbildung oder Arbeit finden, um hier Fuß zu fassen.
*Die Namen der hilfesuchenden Jugendlichen wurden geändert.
Kontakt
IN VIA Berlin - Jugendmigrationsdienst (JMD)
"Café Via"
Bellermannstraße 92
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Telefon: -49 (0) 30 81 86 41 63
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