Eine Jugendhilfeeinrichtung schreitet voran auf dem Weg zur Klimaneutralität
Beim globalen Klimastreik am 23. September 2022, organisiert von "Fridays for Future", war das Jugendhilfezentrum Schnaittach der Nürnberger Caritas mit einer größeren Gruppe von Mitarbeiter:innen und Mädchen aus den Wohngruppen dabei.
Warum? In der Kinder- und Jugendhilfe geht es um die Zukunft von jungen Menschen. Man kann aber nicht über die Zukunft von Kindern und Jugendlichen reden und zugleich die Klimakatastrophe ausblenden, die ihre künftigen Lebensgrundlagen massiv beeinflussen wird.
Bereits heute macht sich die Klimakrise im Alltag der Kinder und Jugendlichen des Jugendhilfezentrums bemerkbar: durch Sommer mit vielen Hitzetagen, Regenmangel und Dürre, dann wieder Starkregenereignisse; durch Bilder von Waldbränden, Flutkatastrophen oder Eisbären auf der Suche nach Lebensraum. Selbst erfahren oder medial vermittelt - die Konsequenzen unseres Handelns sind nicht mehr zu übersehen. Diese Erfahrungen und Bilder verstärken gerade bei jungen Menschen Ängste vor der Zukunft.
"Klimaangst" ist begründet
"Klimaangst" ist weit verbreitet unter jungen Menschen, zeigt eine internationale Studie.1 Es handle sich aber, so die Analyse der Autor:innen, um eine "völlig rationale Reaktion" angesichts der unzureichenden Bemühungen um Klimaschutz. Es zeige sich, "wie viele junge Menschen auf der ganzen Welt sich von denjenigen verraten fühlen, die sie eigentlich schützen sollten"2. Muss die Jugendhilfe mit ihrem Fokus auf Kinderschutz hier nicht hellhörig werden? "Psychologists for Future" sprechen sogar von Parentifizierung: Es waren die Kinder von "Fridays for Future", die die Klimaschutzdiskussion voranbrachten, während Erwachsene nur zugeschaut haben. "Das ist so, als würden sich Eltern weigern, mit ihrem Kind zum Kinderarzt zu gehen, und es sich selbst überlassen"3, so Felix Peter, Sprecher von "Psychologists for Future".
Kirchliche Jugendhilfe will die Schöpfung bewahren
Als kirchliche Jugendhilfe haben wir die Aufgabe, die Schöpfung zu bewahren. Papst Franziskus hat in der Enzyklika "Laudato si’" zur "ökologischen Umkehr" aufgerufen, um globale Umweltzerstörung und Klimawandel zu stoppen. Diese Enzyklika hat den kirchlichen Rahmen für das Thema Klimaschutz neu gesetzt und die Deutsche Bischofskonferenz veranlasst, Thesen zum Klimaschutz zu formulieren. Kernaussagen darin lauten: "Will Kirche glaubhaft sein, dann muss sie gerade beim Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen. … Klimaschutz ist gelebter Schöpfungsglaube und gehört ins Zentrum kirchlichen Handelns."4
Zahlreiche gute Gründe also, warum sich das Jugendhilfezentrum Schnaittach seit vielen Jahren mit Klimaschutz befasst und schon einige Maßnahmen umgesetzt hat. Auch wirtschaftliche Aspekte haben hier eine Rolle gespielt, war doch spätestens mit Einführung der CO2-Bepreisung klar, dass sich fossile Brennstoffe sukzessive verteuern werden.
Die erste Photovoltaik-Anlage hat sich längst amortisiert
Das Caritas-Jugendhilfezentrum im Landkreis Nürnberger Land betreibt mit circa 180 Beschäftigten in 13 eigenen Gebäuden sowie 18 angemieteten Wohnungen und Büros viele Hilfeformen (etwa heilpädagogische Wohn- und Tagesgruppen, ambulante erzieherische Hilfen, eine Förderschule mit emotionalem und sozialem Förderschwerpunkt). 2004 wurde die erste Photovoltaik (PV)-Anlage installiert, deren Anschaffungskosten sich längst amortisiert haben. 2019 kam die zweite PV-Anlage (mit Eigenverbrauch) hinzu, 2023 ist eine in Planung für die zugehörige Schule, eine weitere für den Neubau. Zudem wurden drei Balkon-PV-Anlagen für die Außenwohngruppen angeschafft. Den Stromverbrauch konnte man deutlich senken durch die Umrüstung auf LED- Leuchten mit Bewegungsmeldern sowie die Anschaffung von Wäscheständern in den Wohngruppen, um Wäschetrockner seltener zu nutzen (jährliche Ersparnis: circa 7000 Kilowattstunden), sowie Steckerleisten gegen Stand-by-Verbrauch.
Bis auf ein Gebäude sind inzwischen alle nach dem aktuellen Standard wärmegedämmt. Zwei Ölheizungen und eine Gasheizung wurden in den letzten Jahren durch Pelletheizungen ersetzt, drei Solarthermie-Anlagen mit großem Pufferspeicher für Warmwasser und zur Heizungsunterstützung wurden installiert. Die Duschen haben Wassersparköpfe, alle Heizkörper sind mit programmierbaren Thermostaten (Smart Home) ausgestattet. Wird ein Fenster geöffnet, kommt es automatisch zum abgesenktem Betrieb.
Eine Vielzahl an Maßnahmen spart fossile Energie
Derzeit errichtet die Einrichtung einen Neubau für zwei Wohngruppen im Niedrigenergiestandard mit Wärmepumpe, Photovoltaik, Solarspeicher, Ladestation für E-Autos, Gründach, mineralischer Dämmung, recyceltem Beton. Für die dann noch bestehenden drei fossilen Heizungen ist ein Anschluss an das bis 2028 geplante Fernwärmenetz der Gemeinde angedacht. Es soll mit regionalen Hackschnitzeln betrieben werden.
Als Einrichtung im ländlichen Raum mit großem ambulanten Bereich musste sich das Caritas-Jugendhilfezentrum Schnaittach aber auch dem Problem der Mobilität stellen. Inzwischen sind elf Elektroautos vorhanden, die über Ladestationen überwiegend mit Strom aus den eigenen PV-Anlagen betankt werden. Jede Gruppe hat ein Monatsticket für den ÖPNV, mit dem bis zu sechs Personen fahren können. Es kann auch von anderen Bereichen genutzt werden. Weiter gibt es drei dienstliche E-Bikes; für private Fahrräder besteht eine abschließbare Abstellmöglichkeit, wer mit dem Rad zur Arbeit kommt, kann duschen. Bei anderen Einrichtungen der Caritas können zusätzliche Neunsitzerbusse für Gruppenfreizeiten geliehen werden.
Neben dem Klimaschutz sind auch Klimaanpassung und Naturschutz wichtige Anliegen. Neu gepflanzte Bäume und Sträucher spenden Schatten, der Pausenhof wurde teilentsiegelt. Freiflächen werden nur einmal im Jahr gemäht, eine insektenfreundliche Blumenwiese wurde angelegt. Regenwasser wird von den großen Dachflächen gesammelt zur Bewässerung der Gartenanlagen und zum Abführen in eine Sickergrube. Auf eine möglichst nachhaltige Beschaffung etwa von Lebensmitteln wird geachtet. Mit den Jugendlichen der Wohngruppen fanden in den letzten Jahren Kleidertauschbörsen und Müllsammelaktionen im Ort statt.
Seit 2018 werden die CO2-Emissionen für die Bereiche Strom, Heizenergie und Mobilität erfasst. Es wurde bis heute eine Reduktion um circa 40 Prozent erreicht. Ziel ist die energetische Klimaneutralität bis 2028, die - Stand heute - auch erreichbar ist.
Klimaschutz zahlt sich auch finanziell aus
Indem man sich vor vielen Jahren primär unter dem Aspekt der Klimaneutralität und der Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Einrichtung auf den Weg gemacht hat, konnte der Verbrauch fossiler Energien erheblich gesenkt werden. Insofern steht die Einrichtung den jetzt deutlich gestiegenen Energiekosten relativ gelassen gegenüber. Diese zahlreichen Maßnahmen der letzten Jahre haben hohe Investitionskosten verursacht. Möglich waren sie, weil die Einrichtung gut aufgestellt ist, wirtschaftlich erfolgreich gearbeitet hat und im Caritasverband Nürnberg einen solventen Träger hat, der die Bemühungen um Klimaschutz voll unterstützt. Doch selbst wenn es anders wäre, sollte man sich die Worte des Umweltbeauftragten der Diözese Bamberg vergegenwärtigen: "Klimaschutz ist ökonomisch nachhaltig. … Der Preis des Nichtstuns ist kurzfristig billiger, langfristig kommt er uns jedoch teuer zu stehen."5 Dass sich diese Aussage so schnell bewahrheiten würde, war allerdings nicht abzusehen.
Trotz Herausforderungen über den Tellerrand schauen
Die Jugendhilfe hat seit vielen Jahren viele dicke Bretter zu bohren: Wohngruppen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf- und dann gegebenenfalls wieder abbauen, Corona, Fachkräftemangel, Digitalisierung, Inklusion, schwierige Refinanzierung. Da erscheint es zunächst nachvollziehbar, dass Themen wie Klimaschutz nachrangig bearbeitet werden. Wie auch in der Politik hat oft das Bewältigen tagesaktueller Krisen Vorrang. Das wird leicht zur Entschuldigung fürs Nichtstun und wirft die Frage nach den Prioritäten auf: Wie wichtig ist uns - gerade als kirchlicher Jugendhilfe - Generationengerechtigkeit6? Wie wichtig ist uns unser Beitrag zur Sicherung der zukünftigen Lebensgrundlagen unserer Kinder?
Jetzt die Weichen stellen!
In der verbandlichen Caritas haben die höchsten Beschlussgremien das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 formuliert. Ein ambitioniertes Ziel, bleiben uns bis dahin doch nur noch sieben Jahre! Jetzt müssen die Weichen gestellt und Maßnahmen ergriffen werden. Mit ihrer Parteinahme für das Kindeswohl, mit ihrem Fokus auf Kinderschutz und Kinderrechte muss die Kinder- und Jugendhilfe innerhalb der verbandlichen Caritas Motor und Leuchtturm sein, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Es geht darum, glaubwürdig zu bleiben - unseren Kindern und Jugendlichen wie auch unseren Mitarbeitenden gegenüber.
1. www.forschung-und-lehre.de, Kurzlink: https://t.ly/-a2AS
2. https://psylex.de, Kurzlink: https://t.ly/ltq4H
3. www.stern.de, Kurzlink: https://t.ly/UNChx
4. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Zehn Thesen zum Klimaschutz. Ein Diskussionsbeitrag. Bonn, 2019, Kurzlink: https://t.ly/nw4y
5. Schwaab, K.: Klimawandel und der irrationale Umgang mit Risiken, https://umwelt.erzbistum-bamberg.de/hilfen/klimaschutz-im-erzbistum-bamberg
6. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021: Generationengerechtigkeit wurde auf höchster juristischer Ebene als ein zentrales Motiv für effektiven Klimaschutz anerkannt, denn es "darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast
große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde" (Pressemitteilung des Gerichts).
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