Ausbildung inklusiv denken
Inklusion beinhaltet ein Recht auf Teilhabe in allen Lebensbereichen für alle jungen Menschen. Um dies zu erreichen, bedarf es grundlegender Veränderungen im Bildungsbereich, auch in der beruflichen Bildung.1 In einem inklusiven System beruflicher Bildung ist Unterstützung eine selbstverständliche Komponente, die bedarfsorientiert verfügbar ist und nicht nur einer Zielgruppe zukommt.2 Jedoch bleibt vielen jungen Menschen der Sprung in die Ausbildung verwehrt. Im Jahr 2020 hatten rund 2,33 Millionen der 20- bis 34-Jährigen keinen Berufsabschluss.3
Alarmierende Situation auf dem Ausbildungsmarkt
Auch wenn die Coronapandemie überwunden ist, hinterlässt sie Spuren auf dem Ausbildungsmarkt: Zum einen sind viele junge Erwachsene verunsichert und verschieben den Übergang in Ausbildung. Zum anderen schränken Ausbildungsbetriebe aufgrund der Energiekrise ihr Ausbildungsangebot ein. Die sogenannten Passungsprobleme, die Gleichzeitigkeit von unbesetzten Ausbildungsplätzen und erfolglosen Ausbildungssuchenden, nehmen seit Jahren zu.4
Im September 2022 verblieben 60.400 junge Menschen ausbildungssuchend, während 68.900 Stellen nicht besetzt werden konnten.5 Nicht erfasst sind hier junge Menschen, die von den Arbeitsagenturen trotz Ausbildungsinteresse als "nicht ausbildungsreif" eingestuft werden. Ebenso fehlen diejenigen, die sich nicht als ausbildungssuchend gemeldet haben. Im Jahr 2021 mündeten 228.100 junge Menschen in das Übergangssystem, das zahlreiche schulische Bildungsgänge und Maßnahmen außerschulischer Träger vorhält. Jugendliche können mit dem Erwerb des Hauptschulabschlusses oder anderer Qualifizierungen ihre Chancen auf Ausbildung erhöhen. Dennoch steht das Übergangssystem seit Jahren in der Kritik. Auch drei Jahre nach Beenden der Schule wechseln 40 Prozent der jungen Menschen aus Übergangsmaßnahmen nicht in Ausbildung.6
Exklusionsfaktoren erschweren den Übergang in Ausbildung
Nach wie vor wirken familiäre, kulturelle und sozioökonomische Konstellationen in Deutschland exkludierend. Je niedriger der Schulabschluss, umso geringer sind die Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Schulabgänger:innen mit Hauptschulabschluss gelingt der Eintritt in die Berufsausbildung immer seltener.7 Die Kombination von niedrigem Schulabschluss und Geschlecht wirkt sich besonders problematisch auf nachschulische Bildungsverläufe junger Frauen mit Hauptschulabschluss aus: Vier Jahre nach Verlassen der Schule ist mehr als jede Vierte noch ohne Abschluss und befindet sich auch nicht (mehr) in Ausbildung. Bei den jungen Männern trifft dies jeden Fünften.8 Auch die Herkunft ist entscheidend. Bei Jugendlichen mit Migrations- oder Fluchthintergrund wirken mangelnde Systemkenntnisse, unzureichende Sprachkenntnisse sowie Diskriminierungserfahrungen exkludierend. Der Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund, die in Ausbildung übergehen, liegt mit 35 Prozent deutlich unter dem Anteil Jugendlicher ohne Migrationshintergrund (54 Prozent).9 Massiv eingeschränkt sind die Chancen für Menschen mit Behinderung im regulären Ausbildungssystem. Obwohl mit dem § 61 a SGB IX ein Budget für Ausbildung eingeführt wurde, wechseln sie überwiegend in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.10 Und für junge Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen fehlen modularisierte Ausbildungsgänge, damit Unterbrechungen aufgrund von Therapie- und Klinikzeiten nicht zum Ausbildungsabbruch führen.
Die bisherigen Vorhaben der Ausbildungsgarantie greifen zu kurz
Die prekäre Situation auf dem Ausbildungsmarkt ruft die Politik auf den Plan. Mit der Einführung einer Ausbildungsgarantie möchte die Bundesregierung dem Fachkräftemangel entgegenwirken und verhindern, dass viele junge Menschen in die Ausbildungslosigkeit abrutschen. Im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit sind die Elemente der Ausbildungsgarantie benannt: Vorgesehen sind ein Berufsorientierungspraktikum, ein Mobilitätszuschuss sowie bessere Rahmenbedingungen zur Nutzung der Einstiegsqualifizierung. Das Angebot einer außerbetrieblichen Ausbildung soll ausgebaut werden. Aus Sicht der Jugendsozialarbeit greifen die Vorhaben zu kurz.11
Anforderungen an eine inklusive berufliche Bildung
IN VIA Deutschland möchte mit dem Projekt "Ausbildung garantiert!?" einen Beitrag zur Inklusion leisten. Aus guten Praxisansätzen der Jugendsozialarbeit werden Anforderungen an eine inklusive berufliche Bildung abgeleitet:12
Eine flächendeckende, umfassende Berufsorientierung mit Beginn in der achten Klasse muss ergänzend zur Berufsberatung der Arbeitsagenturen kontinuierlich bis zum Ausbildungsbeginn angeboten werden. Individuelle sozialpädagogische Angebote sind an Schulen vorzuhalten.
Ein individuell gestaltetes Übergangscoaching in den Vorabgangsklassen der weiterführenden Schulen muss etabliert werden. Die berufliche Orientierung junger Menschen wird individuell und bedarfsorientiert als Angebot der Jugendberufshilfe gestaltet in Kooperation mit Betrieben, beruflichen Schulen und der Berufsberatung.
Die Ausbildungsbegleitung ist zu optimieren. Die Assistierte Ausbildung AsA flex (§§ 74-75 a, SGB III) benötigt Rahmenbedingungen, die eine kontinuierliche sozialpädagogische Arbeit, den Erhalt der Strukturen sowie des Fachpersonals absichern. Denn pädagogische Arbeit umfasst weitaus mehr, als das aktuelle Stundenkontingent-Modell bei AsA flex abdeckt. Eine Vielzahl an pädagogischen Interventionen sind erforderlich, um passgenaue Hilfen für junge Menschen und Betriebe im Ausbildungsverlauf anbieten zu können. Zudem muss der Bekanntheitsgrad von AsA flex erhöht werden.
Analog zu den Forderungen des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit wird eine "Garantierte Ausbildung" als zusätzliches inklusives Ausbildungsangebot für alle benötigt, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. In Abgrenzung zum Ausbau der im SGB III bestehenden "Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung" (BaE) wird die "Garantierte Ausbildung" als zusätzlich gefördertes Angebot einer trägergestützten Ausbildung durch ein Bundesförderprogramm realisiert. Während BaE für sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen konzipiert ist, richtet sich die "Garantierte Ausbildung" an den Bedarfen von "marktbenachteiligten" jungen Menschen aus.13
Zusätzlich zu den vorgesehenen Mobilitätshilfen, die sich nicht nur auf das erste Ausbildungsjahr beschränken dürfen, muss das sozialpädagogisch begleitete Jugendwohnen ausgebaut werden, ebenso ist ein barrierefreier Umbau bestehender Wohnheime nötig.
Anmerkungen
1. Vgl.https://bit.ly/40t1qoS
2. Vgl. Oehme, A.: Der sozialpädagogische Blick auf (mehr) Inklusion in der beruflichen Bildung. In: Bylinski, U.; Rützel, J. (Hrsg.): Inklusion als Chance und Gewinn für eine differenzierte Berufsbildung. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, 2016, S. 43-56, S. 48.
3. Vgl. https://bit.ly/43OlQeX
4. Vgl. https://bit.ly/3UY6EYQ, S. 7.
5. Vgl. https://bit.ly/41jUxaK
6. Vgl. https://bit.ly/3UY6EYQ, S. 21.
7. Vgl. www.chance-ausbildung.de/monitorbund, S. 6.
8. Vgl. https://bit.ly/3KV0yne, S. 23.
9. Vgl. https://bit.ly/3KV0yne
10. Vgl. https://bit.ly/43LjRIl
11. Vgl. https://bit.ly/3KSdlXN
12. Vgl. https://bit.ly/3KJZvGA
13. Vgl. https://bit.ly/3KSdlXN
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