Die Praxis wird zeigen, ob Beschäftigte besser informiert werden
Das Nachweisgesetz (NachwG) aus dem Jahr 1995 verpflichtet Arbeitgeber dazu, die wesentlichen Bedingungen eines Arbeitsvertrages aufzuschreiben, zu unterschreiben und dieses Dokument an den:die Arbeitnehmer:in auszuhändigen. Welche Bedingungen wesentlich sind, regelt die Katalognorm des § 2 NachwG. Bisher hatte dies eine eher geringe praktische Bedeutung, da der Katalog relativ kurz war und Verstöße nicht gesetzlich sanktioniert wurden (aber Schadensersatzansprüche auslösen konnten1). Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union ("EU-Arbeitsbedingungen-Richtlinie")2 in deutsches Recht ändert sich dies.
Wesentliche Änderungen
Am 23. Juni 2022 hat der Deutsche Bundestag einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie zugestimmt.3 Durch dieses Gesetz wird zum einen die bisher übersichtliche Katalognorm des § 2 NachwG erheblich und teils um sehr komplexe Merkmale erweitert. Zum anderen werden die Fristen für die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten drastisch verkürzt. Schließlich werden Verstöße gegen das Nachweisgesetz erstmals als Ordnungswidrigkeiten eingestuft und können so mit einem Bußgeld von bis zu 2000 Euro geahndet werden. Verstöße gegen das Gesetz sind auf vielfältige Weise möglich: So ist es nicht nur ordnungswidrig, die Informationen gar nicht oder nach Ablauf der Frist auszuhändigen, sondern auch, sie zwar fristgerecht auszuhändigen, dies jedoch unvollständig oder formfehlerhaft.
Die Neuerungen im Detail
Bisher nicht beziehungsweise nicht ausdrücklich im Katalog des § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG enthalten waren Angaben zur freien Wählbarkeit des Arbeitsortes, zur Dauer der Probezeit, zur Vergütung von Überstunden, Angaben zu Pausen, Ruhezeiten und Schichtsystemen, zu Arbeit auf Abruf, zu Fortbildungsansprüchen, zum Träger der betrieblichen Altersversorgung und zum Verfahren bei Kündigung. Zudem sind die Fristen für den Arbeitgeber verkürzt worden (§ 2 Abs. 1 S. 1 i. V. m. S. 4 und § 5 S. 1 NachwG).
Daraus ergeben sich zusammen mit den bisherigen Merkmalen insgesamt folgende Nachweisverpflichtungen (die jeweils angegebene Nummer bezieht sich auf § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG i. d. F. ab 1. August 2022): spätestens
am ersten Tag der Arbeitsleistung:
◆ Name und Anschrift der Vertragsparteien (Nr. 1),
◆ Zusammensetzung und Höhe des Entgelts sowie Angaben zur Fälligkeit und der Art der Auszahlung (Nr. 7),
◆ Arbeitszeit, Pausen, Ruhezeiten (Nr. 8),
◆ gegebenenfalls Informationen zum Schichtsystem (ebenfalls Nr. 8), am siebten Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses:
◆ Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses (Nr. 2),
◆ gegebenenfalls Enddatum oder Dauer bei Befristung (Nr. 3),
◆ Arbeitsort(e) oder gegebenenfalls deren freie Wählbarkeit (Nr. 4),
◆ Tätigkeitsbeschreibung (Nr. 5),
◆ gegebenenfalls Dauer der Probezeit (Nr. 6),
◆ gegebenenfalls Informationen zur Arbeit auf Abruf (Nr. 9),
◆ Vereinbarung der Möglichkeit und Voraussetzung für die Anordnung von Überstunden (Nr. 10), am siebten Kalendertag nach Zugang der Aufforderung (bei vor dem 1. August 2022 bestehenden Arbeitsverhältnissen):
◆ alle bisher nicht schriftlich festgehaltenen Angaben nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 10 (Aufzählung in den beiden vorhergehenden Spiegelstrichen);
◆ einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses beziehungsweise nach Zugang der Aufforderung:
◆ Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs (Nr. 11),
◆ gegebenenfalls Fortbildungsansprüche (Nr. 12),
◆ gegebenenfalls Name und Anschrift des Trägers der betrieblichen Altersversorgung (Nr. 13),
◆ das bei Kündigung einzuhaltende Verfahren einschließlich des Schriftformerfordernisses und der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (Nr. 14) sowie schließlich
◆ einen allgemeinen Hinweis auf anwendbare Tarifwerke oder Dienstvereinbarungen (Nr. 15).
Parallel dazu gibt es korrespondierende Änderungen im Berufsbildungsgesetz (Angaben zu den Parteien, zur Ausbildungsstätte, zu den Ausbildungsmaßnahmen, zur Zusammensetzung der Ausbildungsvergütung und zum Ausgleich von Überstunden) und im Teilzeit- und Befristungsgesetz (unter anderem Anspruch auf begründete Antwort bei Wunsch nach Veränderung der Lage der Arbeitszeit, angemessenes Verhältnis der Probezeit zur Befristungsdauer). Daneben gibt es weitere Nachweispflichten bei Arbeit aus dem Ausland (§ 2 Abs. 2 und Abs. 3 NachwG) sowie Änderungen der Handwerks- und Gewerbeordnung, des Arbeitnehmerüberlassungs- und des Arbeitnehmerentsendegesetzes, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
Zu begrüßen ist, dass der Dritte Weg gestärkt wird, indem die Formulierung "Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen", in den Gesetzeswortlaut aufgenommen wird (§ 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 NachwG). Damit werden kirchliche Arbeitsrechtsregelungen Tarifverträgen gleichgestellt und ein Verweis auf die Arbeitsvertragsrichtlinien in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) ermöglicht. Eine vergleichbare Formulierung war bereits im November 2019 in § 7 a Abs. 1 a des Arbeitnehmerentsendegesetzes eingefügt worden.
Erhebliche Kritik
Im Zusammenhang mit der Novellierung des Nachweisgesetzes wurde erhebliche Kritik am Gesetzgeber geäußert.4 Wie mehrere Gesetze aus jüngerer Zeit stecke es voller handwerklicher Fehler und Widersprüche und enthalte praxisferne Vereinfachungsversuche. Möglicherweise hingen diese Missklänge damit zusammen, dass die EU-Richtlinie erst kurz vor Fristablauf in nationales Recht umgesetzt worden sei. Dies alles erkläre jedoch nicht, weshalb das Gesetz weit über das Ziel - die Vorgaben der EU-Richtlinie - hinausgeschossen und eine beispiellose Überregulierung, in anderen Worten: ein Bürokratiemonster sei. Weder vorgegeben noch zeitgemäß sei zudem das Festhalten am Schriftformerfordernis.
Was bedeutet das für die Praxis?
Die Änderungen des Nachweisgesetzes sind am 1. August 2022 und damit zum spätesten möglichen Zeitpunkt in Kraft getreten (vgl. Art. 22 S. 1 EU-RL 2019/1152, Art. 12 BT-Drs. 20/1636).
Viele der neuen Nachweispflichten werden nur dann relevant, wenn das jeweilige Element ausdrücklich vereinbart wurde (beispielsweise die freie Wählbarkeit des Arbeitsorts). Zusammen mit den Verweisklauseln in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 15 und Abs. 4 S. 1 NachwG ergibt sich so die Möglichkeit, die Arbeitsverträge weiterhin kurz und gut lesbar zu gestalten. Die Online-Musterdienstverträge in den AVR haben dies bereits vor Inkrafttreten des Nachweisgesetzes berücksichtigt und wurden im Juli 2022 um ein entsprechendes Informationsblatt ergänzt.5
Ob die Novellierung das erklärte Ziel erreicht, die Informationen der Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, muss die Praxis zeigen.
Anmerkungen
1. BAG, Urteil vom 17. April 2002, 5 AZR 89/01.
2. EU-RL 2019/1152, https://ogy.de/nuto
3. Deutscher Bundestag: EU-Richtlinie zu Mindestarbeitsbedingungen wird umgesetzt. 23. Juni 2022, https://ogy.de/42am
4. Siehe nur Zumkeller, A. R.: Das neue Nachweisgesetz: zu viel des Schlechten. In: Haufe Personal vom 27. April 2022, https://ogy.de/uy9p
5. AVR-Online: www.avr-online.de; Login > Reiter "Musterdienstverträge".
Energiekosten in der Pflege
Wohlfahrt als Plattform
Eine Sozialplattform für alle
Digitale Teilhabe heißt soziale Teilhabe
Frischer Wind in der Arbeitswelt
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}