„Die Familien ersticken an ihren Schwierigkeiten“
Beim virtuellen Bürgerdialog mit Kanzlerin Angela Merkel am 4.Februar haben Sie eindrücklich auf die schwierige Situation geflüchteter Familien im Lockdown hingewiesen. Worunter leiden die Familien?
Die Zeiten sind für alle schwierig. Für geflüchtete Familien potenzieren sich die Probleme. Viele sind traumatisiert. Die Wohnungen sind viel zu klein für die Anzahl der Personen. Es gibt keinen Rückzugsort. Häufig sind die Eltern Analphabeten und sprechen kaum Deutsch. Sie verstehen weder die Informationen noch die Anleitungen der Schule. Es fehlt die technische Ausrüstung für den Unterricht. Die Eltern sind nicht in der Lage, ihre Kinder zu unterstützen, auch wenn der Wunsch danach groß ist. Viele misstrauen staatlichen Einrichtungen. Die Familien ersticken förmlich an ihren Schwierigkeiten und es gibt kein soziales Netz außerhalb der eigenen Community, die ja die gleichen Probleme hat wie sie. Es fehlt an Sport und Bewegung für die Kinder und an Aktivitäten in Vereinen, durch die die Kinder sich hier integrieren und Deutsch lernen könnten.
Könnten Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Ich habe gehört, dass gerade höhere Schulen, wenn ein Kind in den schulischen Leistungen abfällt, sagen: "Tut uns leid, du passt nicht mehr zu uns, du musst die Schule verlassen." Es gibt zu wenig Unterstützung und Förderung. Das ist fatal, denn nur durch mehr Bildung und Sprachkenntnisse ist es möglich, dass die Familien hier ankommen können.
Nach dem Bürgergespräch haben Sie an Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Brief geschrieben. Sie weisen auf mögliche Folgen hin, wenn diese Familien jetzt keine Hilfe bekommen. Sie zeigen aber auch konkrete Lösungen auf. Welche?
Eltern und besonders die Mütter müssen stärker und auch in Corona-Zeiten gefördert werden: im Schreiben und Lesen, beim Deutschlernen und im Verständnis zu den Abläufen und Strukturen. Es braucht persönliche Anlaufstellen und niederschwellige Angebote im Stadtteil. Diese könnten bei Kitas, Schulen oder bei Vereinen angesiedelt sein. Das A und O ist eine gute Vernetzung und das Vertrauen der Menschen. Das gewinnt man nur durch Personen, die im direkten Kontakt mit den Menschen stehen. Ein Schritt könnte auch sein, dass die Schule bedürftige Kinder mit Lehramtsstudent(inn)en zusammenbringt. Wichtig ist jetzt eine gute, neutrale und einfache Aufklärung über das Impfen als Gesundheitsmaßnahme der Regierung. Muttersprachliche Informationen sind das eine. Damit Misstrauen abgebaut werden kann, braucht man aber "Brückenmenschen", die eine Lotsenfunktion übernehmen, die in der jeweiligen Sprache aufklären und die von den Familien akzeptiert werden. Eine solche Arbeit könnte beispielsweise in den Gesundheitsämtern, Krankenkassen oder bei den Verbänden angesiedelt sein, wie das bei uns schon der Fall ist. Für all diese Maßnahmen braucht es aber eine Finanzierung.
Sie selbst sind 1989 mit Ihrer Familie aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Welche Unterstützung und Hilfe hatten Sie, damit Sie eine Ausbildung machen konnten?
Ja, wir hatten auch Probleme, aber es war anders. Vereine und Kirchen sind auf uns zugekommen und wir sind hingegangen. Es gab von beiden Seiten eine größere Offenheit.
Wie haben Sie das Gespräch mit Frau Merkel erlebt?
Ich war sehr dankbar dafür, die Chance zu haben, auf die Probleme der geflüchteten Familien hinzuweisen. Ich mache mir große Sorgen, wenn ein großer Teil einer Generation abgehängt wird. Die Eltern dieser Kinder sind noch nicht gut in unserer Gesellschaft angekommen. Und die Kinder werden es auch nicht schaffen, wenn sie nicht von Anfang an gut gefördert werden. Ich mache mir große Sorgen, dass Deutschland sich in den nächsten Jahren in eine Richtung entwickelt, die wir alle nicht wollen. Diese Kinder sind die Erwachsenen und Leistungsträger von morgen. Sie brauchen Respekt und Förderung. Dies ist eine Investition in die Zukunft, die sich in zehn bis 20 Jahren auszahlen wird.
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