Nur wenn ganz Europa energisch handelt, ist noch ein Erfolg möglich
Die Klimakrise mit ihren absehbaren Folgen wie steigende Temperaturen, zunehmende Wetterextreme, Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Intensivierung tropischer Stürme, Starkniederschläge sowie dem Anstieg des Meeresspiegels hat längst begonnen. Unter den Folgen leiden zuvorderst Menschen im globalen Süden, doch auch in den nördlichen Ländern sind gerade ältere Menschen, einkommensschwache Personen sowie Kinder und Jugendliche besonders betroffen. So wohnen beispielsweise Einkommensärmere häufig in schlecht isolierten Wohnungen, die sich in heißen Sommern stark aufheizen und die nötige Abkühlung nicht zulassen. Hitzestress, daraus resultierende Atemwegs- und Herz-KreislaufErkrankungen oder stärkere Allergiebeschwerden sind daher direkte Folgen der Klimaerhitzung.
Die CO2-Nettoemissionen bis 2050 auf null senken
Um die negativen Folgen für Mensch und Natur in Grenzen zu halten, müssen Treibhausgasemissionen, wie im Abkommen von Paris völkerrechtlich verbindlich vereinbart, drastisch und zeitnah reduziert werden. Die EU als Lebensraum von mehr als 500 Millionen Menschen und wichtiger Wirtschaftsraum ist einerseits verantwortlich für neun Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, andererseits als klimaschutzpolitischer Trendsetter unentbehrlich.
Die Sorge um den Klimawandel bewegt auch unsere europäischen Partner: So bekennt sich Caritas Europa ausdrücklich zu einem "grünen" Europa und betont die Bedeutung der Sozialwirtschaft.1 Die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) fordert mit Blick auf die päpstliche Enzyklika "Laudato si" von der EU eine auf die "ganzheitliche menschliche Entwicklung ausgerichtete Umweltpolitik".2
Energiearmut soll eingedämmt werden
Als Antwort auf diese Herausforderungen stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 den "European Green Deal"3 vor. Dahinter verbirgt sich eine Reihe von Ankündigungen von Gesetzen, Strategien, Leitlinien und Investitionen, mit denen viele Lebensbereiche klimafreundlich gestaltet werden sollen. Politikbereiche, wie etwa Forschung, Mobilität, Energie, Biodiversität, Agrar-, Handel- und Außenpolitik werden mit Blick auf das umfassende Thema Klima- und Umweltschutz miteinander verknüpft.
Die Ziele der Treibhausgasreduktion zu erhöhen, ist ebenso Teil der Strategie wie die Versorgung mit sauberer, erschwinglicher und sicherer Energie, worunter auch die Eindämmung von Energiearmut fällt.⁴ Weitere Bereiche, in denen im Green Deal Maßnahmen angekündigt werden, sind unter anderem die Umsetzung einer kreislauforientierten Wirtschaft, energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren, ein Null-Schadstoff-Ziel, die Erhaltung der Ökosysteme und Biodiversität, ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem sowie eine raschere Umstellung auf eine nachhaltige und intelligente Mobilität. Damit energieintensive Industriesektoren nicht in andere Länder abwandern (CarbonLeakage5 ), ist eine CO2-Grenzsteuer vorgesehen.
Die EU soll "als globaler Vorreiter" gelten, etwa durch eine Strategie für Afrika, die Klima- und Umweltaspekte ins Zentrum rückt, oder durch Nachhaltigkeitsverpflichtungen in zukünftigen Handelsabkommen.6 Zur Finanzierung vieler dieser Vorhaben wird im Green Deal ein sogenannter "Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa" angekündigt, der auch einen "Fonds für einen gerechten Übergang" beinhalten soll.7 Dieser Klima-Übergangsfonds ist das sozialpolitische Instrument des Green Deals und soll in der EU Regionen unterstützen, für die die Klima- und Energiewende besonders starke Auswirkungen haben, in Deutschland etwa die Kohlereviere. Insgesamt sollen laut Vorschlag der EU-Kommission 40 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden.8
Als einen wichtigen Teil des European Green Deals hat die EU-Kommission im Frühjahr ein sogenanntes "EU-Klimagesetz" vorgestellt.9 Ziel des Gesetzes ist die Senkung der CO2-Nettoemissionen bis 2050 auf null, was etwa dadurch erreicht werden soll, dass in Zukunft EU-Strategien und Rechtsvorschriften daraufhin zu überprüfen sind, ob sie mit diesem Ziel der Klimaneutralität in Einklang stehen.
Aus Sicht der Caritas ist erfreulich, dass die im Deal genannten Maßnahmen an der Europäischen Säule sozialer Rechte ausgerichtet werden sollen.10 Die 2017 von EU-Kommission, Rat und Europaparlament verabschiedete Säule dient als wichtiger Kompass hin zu einem sozialen und solidarischen Europa. Weniger erfreulich ist der Plan, für den "Fonds für einen gerechten Übergang" Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF+) umzuwidmen. Ein solcher Abzug von ESF+-Geldern ginge direkt zulasten sozialer Projekte. Stattdessen sollten Maßnahmen zum Klimaschutz und zur sozialen Kohäsion im Sinne eines sozial-ökologischen Wandels immer Hand in Hand gehen und sich bestenfalls gegenseitig stärken.11
Anhebung der Reduktionsziele ist umstritten
Insgesamt weist der Green Deal umwelt-, klima- und sozialpolitisch in die richtige Richtung. Fraglich ist, ob die vorgesehenen finanziellen Mittel ausreichen und dem klimaschutzrelevanten Umbau tatsächlich Vorrang eingeräumt wird. Heftig umstritten ist beispielsweise die Anhebung der Reduktionsziele von Treibhausgasemissionen für das Jahr 2030 sowie die Verabschiedung weiterer verbindlicher Zwischenziele bis 2050. Die bisher in der Zeitspanne von 1990 bis 2030 geplante Reduktion von 40 Prozent soll in den darauffolgenden 20 Jahren um weitere 60 Prozent aufgestockt werden, was wenig realistisch erscheint. Daher muss das bisherige Reduktionsziel für 2030 deutlich ambitionierter ausfallen. In der Diskussion steht eine Reduktion von 50 bis 55 Prozent, was von Klimawissenschaftler(inne)n als unzureichend kritisiert wird. Zusammen mit anderen NGO12 fordert der DCV eine Reduktion um 65 Prozent bis 2030, um das Ziel der Klimaneutralität erreichen zu können.
Das Finanzvolumen ist ausschlaggebend
Wie wirksam der Green Deal sein wird, entscheidet sich zudem durch die Ausgestaltung des nächsten europäischen Haushalts 2021 bis 2027, das mit dem Green Deal verbundene Finanzvolumen sowie die Verwendung der Mittel des Wiederaufbauinstruments in Höhe von voraussichtlich 750 Milliarden Euro. Mit diesen zusätzlichen Geldern sollen die Mitgliedstaaten der EU bei Investitionen zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie unterstützt werden.13 Angestrebt wird, dass 30 Prozent des EU-Haushaltes über alle Haushaltslinien hinweg zur Erreichung der EU-Klimaziele eingesetzt werden sollen. Ob die Gelder tatsächlich für den sozial-ökologischen Umbau verwendet werden, bleibt aber abzuwarten. Der Erfolg des European Green Deals wird schließlich entscheidend auch davon abhängen, wie energisch die EU-Kommission die einzelnen Maßnahmen zu (verbindlichen) Rechtsakten formt und davon, ob diese von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt oder, wie im Bereich der Klimapolitik oft der Fall, blockiert werden.
Anmerkungen
1. Pressemitteilung von Caritas Europa (10. Dezember 2019), abrufbar unter: www.caritas.eu/european-green-deal-joint-statement
2. Pressemitteilung der COMECE (12. Dezember 2019), abrufbar unter: www.comece.eu/ die-comece-befuerwortet-den-prozess-initiiert-durch-den-europaeischen-green-deal
3. Europäische Kommission: Der europäische Grüne Deal. COM(2019) 640 final, 11. Dezember 2019. Kurzlink: https://bit.ly/3k7avQg
4. Mit dem Stromspar-Check nimmt sich die Caritas dieses Themas an, das auch von Caritasverbänden im europäischen Ausland erfolgreich betrieben wird (www.stromspar-check.de)
5. Im Zuge des EU-Emissionshandels verlagerte Kohlenstoffemissionen in Drittstaaten.
6. Europäische Kommission: Der europäische Grüne Deal, S. 24 ff. Das aktuell mit den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay verhandelte Mercosur-Abkommen steht jedoch wegen der den Klimaschutz konterkarierenden Folgen massiv in der Kritik. Vgl. beispielsweise www.misereor.de/fileadmin/publikationen/Studie_MERCOSUR_Misereor.pdf
7. Der europäische Grüne Deal, S. 19.
8. Dieser Betrag muss von den Staats- und Regierungschefs noch bestätigt werden.
9. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1999 (Europäisches Klimagesetz); COM(2020) 80 final, 4. März 2020. Kurzlink: https://bit.ly/33lPzyX
10. Der europäische Grüne Deal, S. 4. 11. KNA-Nachricht "Caritas sieht Finanzierung des Klima-Übergangsfonds kritisch". Kurzlink: https:// bit.ly/3focqfQ
12. Vgl. Kurzlink: https://bit.ly/2D4aSL2
13. Siehe hierzu etwa Hagedorn, P.; Schüler, L.: Zusammenhalt in Europa wird großgeschrieben. In: neue caritas Heft 9/2020, S. 26 f
Weiterhin zu wenig Pflegekräfte
Katastrophenprävention braucht Weitblick
Ein Konzept, das viel verspricht und wenig hält
Spielerisch Motivation erzeugen
Die Entwicklung der Online-Beratung
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