"Jeder dritte Chinese ist 2040 älter als 65"
Thomas DomnickDiCV Mainz
Thomas Domnick besuchte im März 2018 eine Woche lang China. Er ist Direktor der Caritas für die Diözese Mainz sowie Mitglied des Vorstands der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen.
Für die neue caritas sprach Marie-Christin Böhm mit ihm über seine Eindrücke.
Ein Schwerpunkt Ihrer Reise waren Exkursionen im Bereich der Altenhilfe. Wie ist diese in China aufgebaut und finanziert?
Traditionell werden alte Menschen in China von ihren Familien gepflegt und versorgt. Da aber viele – besonders junge Menschen – zum Arbeiten in die Städte ziehen, bleiben deren Eltern in den ländlichen Gebieten sich selbst überlassen. Staatlich finanzierte Altenheime gibt es, jedoch nicht in ausreichender Zahl. Eines dieser Altenheime haben wir in Nanchang besucht. Dort werden 1700 Menschen von 400 Mitarbeitenden versorgt. Zudem gibt es private Altenhilfezentren, wie in Songjiang mit seinen zwei Millionen Einwohnern. 15.000 Seniorinnen und Senioren leben dort in altersgerechten Wohnungen. Wir würden es als Betreutes Wohnen bezeichnen. Gesundheits- und Pflegeleistungen werden zentral erbracht, medizinische Beratung erfolgt über das Internet, Hilfestellung durch das Zentrum. Da die Menschen in China bereits mit 60 Jahren in Rente gehen, sind viele der „Alten“ noch recht fit. Ein schönes Restaurant, ein eigenes Modelabel und weitere Annehmlichkeiten stehen zur Verfügung. Dies können sich natürlich nur wenige leisten.
Sie haben auch Gesundheitseinrichtungen besucht. Wie sind Ihre Eindrücke?
In China gibt es keine niedergelassenen Ärzte. Die gesamte Gesundheitsversorgung findet im Krankenhaus statt. Regional gibt es kleinere Gesundheitszentren, in den größeren Städten Krankenhäuser der zweiten Klasse und in den Großstädten Universitätskrankenhäuser. Wir waren zum Beispiel im ersten Krankenhaus von Nanchang. In einem „Selbstbedienungsbereich“ können sich die Menschen mit Verbandsmaterial und Ähnlichem versorgen. Der Zugang zu einem Arzt erfolgt über eine Selbstregistrierung. Ein Arzt hat im Durchschnitt drei bis fünf Minuten Zeit für einen Patienten. Daneben gibt es auch private Krankenhäuser nach westlichen Standards, in denen teils deutsche Ärzte arbeiten. Der Staat zahlt 30 Prozent der Kosten – auch in privaten Kliniken –, 70 Prozent müssen selbst erbracht werden. Aufgrund des hohen Eigenanteils sparen viele Menschen für den Notfall oder verschulden sich, wenn sie ins Krankenhaus müssen.
Ist das gesamte Sozial- und Gesundheitswesen in staatlicher Trägerschaft, oder gibt es auch nichtstaatliche Organisationen (NGOs), ähnlich unseren Wohlfahrtsverbänden?
In China gibt es nur wenige NGOs. Sie sind zumeist staatlich beeinflusst. Leider hatten wir auf unserer Reise keinen Kontakt zur Caritas in China. NGOs, die mit ausländischen Partnern kooperieren, müssen bei Projekten Anträge an die Regierung stellen. Das erschwert eine mögliche Arbeit. Private Kliniken und Altenheime sind meinem Eindruck nach nur für die Oberschicht zugänglich und dienen als Renditeobjekte für Investoren.
Kann man in China von einem sozialen Auffangnetz sprechen?
Es existiert eine Grundversorgung auf einem deutlich geringeren Level als in Deutschland. China will mit dem Projekt „Gesundheit 2030“ die Grundversorgung ausbauen, weshalb Kooperationen gesucht werden, was auch ein Ziel der Reise war. Die Familien sind nach wie vor stark in die Versorgung ihrer Angehörigen eingebunden. Nur wenige können sich eine private Versicherung oder durch private Zuzahlung „Hightech-Medizin“ leisten.
Inwiefern bestimmt die Automatisierung bereits Abläufe – zum Beispiel in der Pflege?
Ich habe nicht den Eindruck, dass die Digitalisierung in den Einrichtungen sehr weit ist. In den Kliniken wird die Telemedizin ausgebaut. Patientendaten und Bilder werden von kleineren Häusern in größere gegeben, um Diagnosen und Therapien zu besprechen.
Wie weit ist in China das „Scoring“, die Bewertung von Menschen anhand ausgewählter persönlicher Daten?
Derzeit wird an einem Creditpointsystem gearbeitet, nach dem Menschen eingestuft werden und künftig Leistungen danach erhalten sollen. Aktuell werden verschiedene Systeme getestet, eines davon soll bis 2020 verbindlich eingeführt werden. Ein Creditpointsystem führt sämtliche persönliche Daten zusammen, Schulnoten, Krankendaten, Daten aus dem Strafregister, aber auch Hinweise von Nachbarn und ehrenamtliches Engagement. Es entsteht ein Gesamtbild, das etwa für die Kreditwürdigkeit oder die Vergabe einer Wohnung entscheidend sein kann.
Stichwort Menschenrechtsverletzungen oder Internetzensur. Wie erleben die Menschen das System?
Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, wirkten sehr im chinesischen System verankert. Die Internetzensur wurde von ihnen so nicht erlebt. In China gibt es statt Internet ein landesweites Intranet, einen chinesischen Messengerdienst – ähnlich Whatsapp –, Facebook und Google in chinesischen Varianten. Grundsätzlich loben die Menschen die Leistung ihrer Regierung, sie habe 500 Millionen Menschen aus der Armut geführt. Vielen geht es tatsächlich besser als vor wenigen Jahren. Jährlich schließen acht Millionen Studierende ihr Studium ab. China entwickelt sich in weiten Teilen von einem Schwellen- zu einem Hochtechnologieland. Diese wirtschaftliche Entwicklung macht die Menschen zufrieden.
In Deutschland ist der demografische Wandel das zentrale Zukunftsthema. Wie sieht dies in China aus?
Auch in China gibt es den demografischen Wandel, der durch die Einkindpolitik der vergangenen Jahrzehnte noch verschärft wird. In China werden bis zum Jahr 2040 mehr als 30 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, mehr als 400 Millionen Menschen. Bereits heute ist – analog zu Deutschland – ein Fachkräftemangel in der Alten- und Gesundheitshilfe spürbar. Insofern ist der Ausbau dieser Bereiche zentral für die Zukunft und wird mit Hilfe ausländischer Firmen und Investoren vorangetrieben.
Welche Bedeutung haben Glaube und Religion in China?
In China gibt es viele Religionen und Philosophien, weit verbreitet ist der Ahnenkult. Der Anteil der Christen beträgt zwischen zwei und sechs Prozent, die katholische Kirche in eine „offizielle“ und eine im Untergrund existierende gespalten. Glaube und Religion habe ich nicht als tragend oder gar sinnstiftend wahrgenommen. Für viele scheint mir das Geld die Religion zu sein.
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