Weg vom Steuer, hin zu den Menschen
Google fährt mit seinem "self-driving car" medienwirksam über die Straßen von Kalifornien; Daimler beweist im August 2013 mit der Bertha-Benz-Fahrt, dass es möglich ist, sich vollautomatisch auf öffentlichen Straßen in Deutschland zu bewegen. In Japan wird der fahrerlose und gleichzeitig elektrisch angetriebene Nissan Leaf auf einer Autobahn getestet. Es sieht beinahe so aus, als stünde der Eintritt ins Zeitalter des fahrerlosen Fahrens unmittelbar bevor.
Jedoch gibt es derzeit noch eine ganze Reihe von Fragen, die dringend einer Klärung bedürfen, bevor autonome Straßenfahrzeuge ein fester Bestandteil des Verkehrssystems werden könnten: Neben technischen Herausforderungen wird vor allem die rechtliche Problematik der Automation diskutiert; zunehmend wird auch die Frage nach der Akzeptanz des autonomen Fahrens gestellt.
Den offenen Fragen stehen hohe Erwartungen an das autonome Fahren gegenüber - dazu gehören die wachsende Sicherheit des Straßenverkehrs und neue Nutzungsmöglichkeiten der Unterwegszeit im Auto ebenso wie individuelle Mobilität auch für diejenigen, denen heute das Autofahren vor allem aufgrund physischer Beeinträchtigungen nicht oder nicht mehr möglich ist. Darüber hinaus entstehen immer mehr Ideen, wie das Verkehrsangebot dank der Automatisierung der Fahrzeuge eine ganz neue Qualität entwickeln könnte.
"Autonomes Fahren" - was ist das überhaupt? Der Begriff lehnt sich zum einen an die Definition der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zum vollautomatisierten Fahren aus dem Jahr 2012 an. Dabei bedeutet "vollautomatisiert", dass das Fahrzeugsystem sowohl die Längs- als auch die Querführung vollständig übernimmt und der Fahrer von der Aufgabe, das System zu überwachen, entbunden ist. In der aktuellen Definition des Verbands der Automobilindustrie wird die "Vollautomatisierung" ergänzt um eine weitere Stufe: die des "fahrerlosen Fahrens", das heißt, das Fahrzeug ist ohne Fahrer unterwegs. In der Praxis könnte das heißen, dass das Fahrzeug auch zu Gütertransporten ohne menschliche Begleitung in der Lage wäre.
Neue Dimension des Carsharing
Oft wird die Idee von der Automation verknüpft mit dem gängigen Konzept des Sharing, des Teilens von Wirtschaftsgütern. So könnten die Fahrzeuge einer Fahrzeugflotte, wie wir sie heute beispielsweise aus dem Carsharing oder von Taxidiensten kennen, selbstständig unterwegs sein und per Handy-App erteilte Fahrtenaufträge entgegennehmen. Über eine Plattform würden diese Anfragen dahingehend optimiert, dass Kunde oder Kundin eine möglichst kurze Wartezeit haben, vor Ort abgeholt und direkt an den gewünschten Zielort gebracht werden. Dieses System ist längst bekannt: Das konventionelle Taxi und die mit ihm konkurrierenden "Ridesharing"-Dienste wie Uber und Lyft vor allem in den USA oder Didi Chuxing in China leisten genau diesen Dienst, allerdings (noch) mit einem Fahrer. Für den Betreiber hätte die plattformgestützte Optimierung den Vorteil, dass der Umfang der Flotte möglichst klein gehalten würde, dabei jedoch ein definiertes Mindestniveau an Servicequalität gewährleistet werden könnte.
Sollte sich das Sharing als dominierendes Element in einem automatisierten Straßenverkehr durchsetzen, würde nur noch ein Bruchteil der heute in den Haushalten und Unternehmen verfügbaren Autos benötigt, um den Mobilitätsbedarf zu decken. Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass bis zu 90 Prozent der heutigen Autos dann überflüssig würden. Offen sind dabei zwei wesentliche, aus derzeitiger Sicht noch nicht genauer bestimmbare Aspekte:
- Wird das Privatauto tatsächlich "abgeschafft"? Ist den Menschen die bloße Erfüllung des Bedarfs, möglichst schnell von A nach B zu kommen, das Wichtigste, wenn es um ihre Mobilität geht? Genügt das, damit alle das Sharing als die attraktivste Form des Unterwegsseins akzeptieren?
- Was wird mit dem öffentlichen Verkehr? Wird es zur Hauptaufgabe seiner Verkehrsmittel - vor allem der Bahnen-, die Hauptstrecken zu bedienen, auf denen die Nachfrage groß ist? Und wird dann die sogenannte "Feinverteilung" von einer Station entlang der Hauptstrecke bis zum eigentlichen Ziel mit kleineren Fahrzeugen durchgeführt? Oder wird sich flächendeckend ein Verkehrssystem entwickeln, in dem es nur noch Tür-zu-Tür-Mobilität gibt? Wäre das mit den vorhandenen Infrastrukturen überhaupt möglich?
Selbstbestimmte Mobilität in dünn besiedelten Regionen
Gebiete, in denen ein öffentliches Angebot mit autonomen Fahrzeugen in jedem Fall Vorteile bringen könnte, sind der ländliche Raum, aber auch Stadtrandgebiete, die an Wochenenden oder in Randzeiten nur mit Einschränkungen bedient werden. Autonome Fahrzeuge stehen demgegenüber an sieben Tage der Woche rund um die Uhr zur Verfügung - aus einem fahrplanbasierten Verkehrsangebot würde damit ein nachfragebasierter Mobilitätsservice. Zunächst wäre ein solcher Dienst vor allem für Menschen ohne eigenes Auto - sei es aus Kostengründen oder weil das Selber-Fahren nicht (mehr) geht - ein erheblicher Gewinn. Zu erwarten wäre, dass der Komfort eines Fahrzeugs, das seine Fahrgäste von Tür zu Tür bringt, dabei ausreichende Transportkapazität bietet und gleichzeitig ausgesprochen sicher ist, mittelfristig einen breiten Personenkreis anspricht.
Für das Sozial- und Gesundheitswesen deuten sich hier neue Möglichkeiten an, auch bei weiten Wegen zu den Menschen ambulante Dienste (wieder) wirtschaftlich anbieten zu können. Ehrenamtliche Gruppen könnten in ihren Netzwerken Beratungsbusse mit Materialien von Ort zu Ort zirkulieren lassen. Disko-Heimfahrten Jugendlicher unter Alkoholeinfluss würden ihren Schrecken verlieren.
Auf der Suche nach der Massentauglichkeit
Trotz der besonderen Vorteile, die der Einsatz von autonomen Fahrzeugen im öffentlichen Verkehr bieten könnte, gibt es dezidierte Überlegungen zur Gestaltung des Innenraums der Fahrzeuge derzeit erst für das Segment der Premiumfahrzeuge. So wurde Anfang 2015 auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas von Daimler das Forschungsfahrzeug Mercedes F 015 Luxury in Motion vorgestellt, ein Fahrzeug mit großem Platzangebot und luxuriösem Lounge-Interieur, bei dem die Fahrzeuginsassen die Möglichkeit haben, einander gegenüberzusitzen. Damit ist das Fahrzeug auf die Kommunikation zwischen seinen Nutzer(inne)n ausgerichtet und folgt dabei Bildern und Ideen, die es in der Vision vom autonomen Fahren schon in den 1950er-Jahren gab und die ebenfalls kommunikative Aktivitäten während der Fahrt in den Vordergrund stellten. Gerade dieser Aspekt ist unter sozialräumlichen Gesichtspunkten interessant: Wenn Menschen aus der Nachbarschaft sich mittels ihrer Handy-App zu einer gemeinsamen Fahrt zusammenfinden, schonen sie im Vergleich zu den "herkömmlichen" ein bis zwei Personen pro Auto nicht nur die Umwelt. Sie können sich durch die kommunikationsfördernde Fahrzeuggestaltung auch leichter kennenlernen und miteinander vernetzen, gegenseitige kleine Alltagshilfen vereinbaren und vieles mehr, das den bürgerschaftlichen Zusammenhalt stärkt.
Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das autonome Fahren kommen wird. Vor kurzem stand noch die (kaum beantwortbare) Frage im Vordergrund, wann es denn so weit sein werde. Inzwischen geht es mehr um das "Wie", sowohl aus verkehrs- als auch aus industriepolitischer Sicht. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung die "Strategie vernetztes und automatisiertes Fahren" erarbeitet, die allerdings ausschließlich technische und rechtliche Aspekte adressiert. Darüber hinaus soll in einer Arbeitsgruppe geklärt werden, welche Inhalte und Formen ein Dialog mit den Bürger(inne)n haben muss, um mögliche Besorgnisse ernsthaft aufzugreifen und zu diskutieren und gleichzeitig die Möglichkeiten des autonomen Fahrens verständlich und sichtbar zu machen. Dies ist umso notwendiger, als verschiedene Studien in Deutschland, aber auch in den USA zeigen, dass dem Vertrauen in die neue Technologie noch erhebliche Vorbehalte entgegenstehen und der individuelle Nutzen für viele derzeit nicht erkennbar ist.
Auch wenn der Entwicklungspfad hin zum autonomen Fahren eingeschlagen ist, werden Mobilität und Verkehr nicht von heute auf morgen anders werden. Dies liegt nicht nur daran, dass viele der oben angesprochenen Fragestellungen erst noch einer Lösung bedürfen. Vielmehr ist nicht damit zu rechnen, dass der Austausch der Fahrzeuge in der deutschen Pkw-Flotte sehr schnell vonstatten geht. Im Januar 2016 waren in Deutschland 45,1 Millionen Pkw mit einem Durchschnittsalter von 9,2 Jahren zugelassen. Angesichts von aktuell 3,2 Millionen Neuzulassungen pro Jahr würde es mindestens 14 Jahre dauern, bis alle Fahrzeuge autonom fahren könnten - und auch das nur, wenn sämtliche neu in die Flotte kommenden Fahrzeuge bereits autonom unterwegs wären. Solange es weiterhin autonome und nicht-autonome Neufahrzeuge gibt, dauert der Übergang noch wesentlich länger. Diese Übergangsphase wird nicht nur lang werden, sondern angesichts der dann vorhandenen Mischverkehre auch besonders komplex und schwierig.
Der Weg zu einem Verkehrssystem, in dem autonomes Fahren zum Alltag geworden ist, stellt noch lange eine immense Herausforderung an Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft dar. Gerade im demografischen Wandel - mit immer höherem Durchschnittsalter der Bevölkerung und somit auch der Autofahrer(innen), aber auch zunehmender Ausdünnung der Daseinsvorsorge-Angebote im ländlichen Raum - ist dies aber ein lohnenswerter Weg. Denn selbstbestimmt und zuverlässig verfügbare Mobilität ist ein wichtiger Schlüssel sowohl für wirtschaftlichen Erfolg der Regionen als auch für mehr Teilhabe der Menschen am Leben der Gesellschaft.
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