Soziale Arbeit braucht digitale Medien
Der digitale Wandel ist die einschneidendste Veränderung nach der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Der amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin bezeichnet die digitale Revolution als die dritte große industrielle Revolution, die das menschliche Zusammenleben maßgeblich verändern wird.1 Sie wirkt sich auf alle unsere Lebens- und Arbeitsfelder aus. Sie bestimmt, wie wir arbeiten (mobil, ständig erreichbar, papierlos), wie wir leben (mit digitalen Alltagshilfen) und wie wir uns verhalten (digitale und transparente Kommunikation). Dies ist eine Tatsache und nicht mehr aufzuhalten.
Umso mehr braucht es eine Vergewisserung und Beachtung dieser Entwicklungen innerhalb der Caritas, auch damit diejenigen nicht abgehängt werden, für die die Caritas bessere Chancen und Zugänge in unserer Gesellschaft erreichen will.
Bildung ist der Schlüssel des digitalen Wandels
In seinem Projekt "Wir denken Bildung weiter"2 hat sich der Diözesan-Caritasverband Köln mit Bildungstechnologien, Social Media, Wissensarbeit und Kommunikation befasst und in diesem Prozess gelernt und erfahren, wie sich der kulturelle Wandel auswirkt.
Das Projekt ist als Kommunikationsoffensive außerschulischer Lernorte innerhalb der verbandlichen Caritas gestartet. Bei dem Thema Bildung denken viele an die klassischen Bildungseinrichtungen wie Schulen, Weiterbildungseinrichtungen und Hochschulen. Dabei finden auch in der Arbeit der Caritas vielfältige Bildungsprozesse mit unterschiedlichen Bildungsinhalten und Vermittlungswegen statt. Es geht zum Beispiel um alltagspraktische, religiöse, kulturelle, soziale und naturwissenschaftliche Kompetenzen. Doch vieles in der täglichen Arbeit und im menschlichen Umgang erscheint so selbstverständlich, dass es nicht unbedingt als Bildungsprozess wahrgenommen wird, in der sozialen Arbeit, der Pflege oder der Beratung. Für diese "alternativen" Bildungswege wurden Praxisbeispiele gesammelt und auf einer Landkarte dargestellt.
Mit einer gezielten Kommunikationsstrategie sollte das Thema in den Diskurs gebracht und sichtbar gemacht werden. Hierbei waren Social-Media-Aktivitäten ein wichtiger Baustein.
Neben der Website wurden ein Blog3, eine Facebookseite4, eine Google-Plus-Seite und ein Instagram-Account eingerichtet.5 Es stellte sich schnell heraus, dass die Social-Media-Aktivitäten ein Gesicht brauchen. So kam auch Twitter zum Einsatz und damit ein persönlicher Ansprechpartner. Im Projekt zeigte sich, dass Öffentlichkeitsarbeit ohne Interaktion wenig Wirkung erzielt. Und wir lernten in einem zweiten Schritt, dass es um Interaktion, Vernetzung, Authentizität, Kontakte, Bündnisse, Anstöße und Weiterentwicklung geht.
Bei Twitter gibt es einen EdChat (Educational Chat), bei dem Bildungsverantwortliche dienstags zwischen 20 und 21 Uhr virtuell diskutieren, hauptsächlich Lehrer. Bei der Vorbereitung des Kongresses Bildungviernull, der am 11. März in Nordrhein-Westfalen (NRW) stattfand, waren die EdChat-Initiatoren als Experten gefragt und beeinflussten die Gestaltung der Themen. Das Beispiel zeigt, wie im Internet Willensbildung stattfindet, in die sich sozial-caritative Akteure bisher viel zu wenig einbringen. Social Media werden zu einer neuen Form der Interessenvertretung.
Und nicht nur Interessenvertretung - (Influencing), sondern auch andere zentrale Handlungsfelder sozial-caritativer Arbeit spielen sich virtuell ab: Diskurse in Facebookgruppen, Online- und Chatberatung, Spendensammlung, Social Recruiting (Personalgewinnung in sozialen Medien).
Auf der Suche nach Ansätzen, wie Menschen soziale Teilhabe durch geeignete bildungsfördernde Rahmenbedingungen ermöglicht werden kann, stießen wir auf Bildungstechnologien. Anlass hierfür war ein Besuch beim Zukunftskongress der Aktion Mensch im Dezember 2014, der zeigte, dass Menschen mit Behinderung nicht nur durch digitale Alltagshilfen, sondern auch durch digitale Kommunikation bessere Zugänge erfahren, sich besser beteiligen und einbringen können.
Während des Kongresses wurde getwittert, gebloggt und gechattet und Raúl Krauthausen6, ein Internetaktivist und Gründer von Wheelmap7 und Sozialhelden8, meinte: "Noch nie haben Kinder so viel geschrieben wie heute." Und ist es nicht auch für Wissenschaftler heute viel leichter als früher, einen Internettext zu erstellen und online zu kommunizieren?
Die Vermittlung und Aneignung von Wissen hat sich grundlegend verändert. Durch die Digitalisierung stehen Wissen und Informationen in großen Datenmengen zur Verfügung. Wissen, das ein Mensch vor Jahrzehnten noch selbst erwerben und behalten musste, kann heute digital gespeichert und je nach Bedarf kurzfristig und nahezu an jedem Ort abgerufen werden. Viele Lernprozesse haben sich dadurch verändert.9
Über die Arbeit mit Bildungstechnologien können Kinder und Jugendliche erreicht werden, bei denen das System Schule nicht weiterkommt. "Die Neurowissenschaftlerin Vivienne Ming gehört zu den Vorreitern der Bewegung - sie glaubt an eine wunderbare Zukunft dank der Digitalisierung. Eine ganz neue Lernwelt sei möglich, sagt sie. In dieser Welt spielen Klassenarbeiten und Tests keine Rolle mehr und jeder kann sein Potential frei entfalten, weil er individuell gefördert wird. Digitales Lernen und die Daten, die sich beim Lernen generieren lassen, machen es möglich."10
Praxisbeispiel: EdTech für Flüchtlinge
Die Abkürzung EdTech steht für "educational technology" - zu deutsch: Bildungstechnologien. Bei der Integration von Flüchtlingen machen wir gerade die Erfahrung, dass EdTech hier sehr hilfreich sein kann. Im Blog haben wir eine Extraseite mit dem EdTech für Flüchtlinge11 eingerichtet, die binnen kürzester Zeit von über 500 Nutzern gesichtet und 70-mal geteilt wurde. Auf der Seite gibt es eine Übersicht über E-Learning-Kurse, E-Books, Facebookgruppen, in denen Unterrichtsmaterialien für Deutschlehrer(innen) ausgetauscht werden, WhatsApp-Sprachkurse, Computerspiele für den Unterricht oder Infografiken etc
Die digitale Verantwortung der Caritas
Egal um welches Arbeitsfeld es im sozialen Bereich geht, es findet zunehmend innerhalb des Internets statt. 97 Prozent der jungen Menschen und auch ein Großteil der Älteren sind mehrere Stunden pro Tag online. Sie greifen auf Angebote im Internet zurück. Darauf muss sich die soziale Arbeit einstellen. Die Caritas hat eine digitale Verantwortung.
Das Projekt "Bildung geht auch anders" hat viel mehr gezeigt als ursprünglich gedacht. Wir sind in der Zukunft angekommen: Denn zwischen digitaler und nichtdigitaler Welt wird nicht mehr unterschieden. Personalakquise findet unter dem Stichwort "Social Recruiting" statt. Zeitungen von Wohnungslosen werden über Apps vertickt.12 Online-Beratung, Chat-Beratung, E-Learning, Blogs, Internetaktionen (zum Beispiel #bloggerfuerfluechtlinge) und Spendenplattformen sind selbstverständliche Aktivitäten, die die verbandliche Caritas zu neuen Kooperations- und Kommunikationsformen verpflichten, damit diejenigen erreicht werden, die unsere Hilfen nötig haben.
"Die digitale Spaltung" ist heute schon Realität. Es gibt ganz viele Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, weil sie gar nicht begreifen, wie stark der digitale Wandel auch ihren Alltag durchdringt. Und die Vorstellung, dass man auch offline sein könnte, ist heute nicht mehr umsetzbar.
Hier gibt es nicht nur eine Spaltung, die die älteren Menschen ausgrenzt, die sich mit der digitalen Welt nicht auskennen. Ausgegrenzt werden auch die Menschen, die keinen Zugang zu Technologien haben, solche, die aus finanziellen Gründen gar keinen Rechner zu Hause haben oder diejenigen, die über keinen Internetzugang verfügen, was in ländlichen Regionen durchaus noch Alltag ist.
Unsere Aufgabe als Verantwortliche in der sozialen Arbeit ist es, Menschen und Mitarbeitende darauf vorzubereiten, den digitalen Wandel mitzugestalten. Medienkompetenz ist heute eine Schlüsselqualifikation. Ohne diese riskieren wir als Caritas nicht nur Wettbewerbsnachteile, sondern auch, dass Menschen auf Dauer aus der Gesellschaft ausgegrenzt und abgehängt werden, weil ihnen wichtige digitale Zugänge verschlossen bleiben.
Anmerkungen
1. www.deutschlandfunk.de/work-in-progress-digitalisierung-und-die-zukunft-der-arbeit.807.de.html?dram:article_id=314355
2. www.wir-denken-bildung-weiter.de
3. www.zeitzuteilen.wordpress.com
4. www.facebook.com/wirdenkenbildungweiter
5. https://zeitzuteilen.wordpress.com/2015/ 12/10/social-media-in-der-sozialen-arbeit/
6. http://raul.de
7. http://wheelmap.org
8. http://sozialhelden.de
9. Vgl. Digitaler Kompetenzdruck als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. VDI-Technologiezentrum GmbH (Hrsg.): Gesellschaftliche Veränderungen 2030.
Ergebnisband 1 zur Suchphase von BMBF-Foresight Zyklus II. Zukünftige Technologien Nr. 100, Mai 2015, S. 38f., www.bmbf.de/files/VDI_Band_100_C1.pdf]
10. www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitales-lernen-der-unterricht-der-zukunft-14006097.html
11. https://zeitzuteilen.wordpress.com/ganz-praktisch/fluechtlinge
12. https://zeitzuteilen.wordpress.com/ganz-praktisch
Schöne neue Welt – und die Caritas mittendrin
Vom Pflege-Azubi zum Blogger
Unverzichtbar gut
Bei den Transparenzstandards ist noch Luft nach oben
Jung, ideenreich und gut vernetzt
Personal frühzeitig planen
Der Pflegenotstand ist real
Im Auftrag der Leser
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