Ohne Berufsausbildung keine Chance auf Teilhabe
Jugendhilfe- und Bildungsmaßnahmen zu verknüpfen ist für benachteiligte junge Menschen unabdingbar, um ihnen Teilhabechancen zu ermöglichen. Aktuell besteht die starke Tendenz, dass sich öffentliche Jugendhilfeträger von der beruflichen Förderung im Rahmen des SGB VIII verabschieden.
Prognostiziert wird, dass es im Jahr 2040 in Deutschland circa zehn Millionen Arbeitskräfte weniger geben wird als heute. Aktuell sind bereits 41.000 Ausbildungsstellen unbesetzt, gleichzeitig aber auch 21.000 junge Menschen ohne Ausbildungsplatz. Diese Schere muss auf der individuellen Förderebene die Konsequenz nach sich ziehen: "Keiner darf verloren gehen." Und damit ist die Klientel der Jugendhilfe explizit einbezogen, auch wenn im Einzelfall die Ausbildungsvoraussetzungen unzureichend erscheinen. Das Prinzip der Inklusion darf nicht mit dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule erschöpft sein.
Noch gibt es passgenaue Ausbildungsangebote
Viele stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe sind derzeit (noch) in der Lage, passgenaue Ausbildungsangebote für die Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen anzubieten, die im Rahmen des SGB VIII betreut und gefördert werden. Es fällt auf, dass die öffentlichen Jugendhilfeträger in vielen Bundesländern vermehrt dazu übergehen, die Hilfen nach Ende der Schulpflicht an der allgemeinbildenden Schule, bestenfalls noch nach einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme oder mit dem Erreichen der Volljährigkeit, einzustellen. Speziell für die Zeit der Berufsausbildung verabschieden sich die Jugendämter vielerorts von den Hilfen und entlassen die ehemalige Klientel in der wichtigen beruflichen Qualifizierungsphase in eine unsichere Zukunft. Für sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen ist es allerdings fatal, wenn bewährte Strukturen ihrer beruflichen Qualifizierung wegbrechen.
Welche Möglichkeiten und Wege stehen der Jugendhilfeklientel in stationären Einrichtungen nach Beendigung der Maßnahme grundsätzlich für ihre berufliche Qualifizierung offen und wie sind sie zu bewerten?
Klassische Ausbildung im dualen System
Die klassische Ausbildung im dualen System setzt voraus, dass beim jungen Menschen wesentliche Erziehungs- und Bildungsziele innerhalb der Jugendhilfe erreicht wurden und er ein relativ stabiles soziales Umfeld besitzt. Betrieb und berufsbildende Schule müssen Verständnis aufbringen und unterstützende Maßnahmen sollten gegeben sein. Dazu zählen ausbildungsbegleitende Hilfen, assistierte Ausbildung oder ein an die Seite gestellter ehrenamtlicher Pate. Angesichts der sinkenden Zahl von Auszubildenden versuchen Betriebe zunehmend auch Mädchen und Jungen mit einem eher ungünstigen Bewerberprofil einzustellen. Die damit verbundenen Herausforderungen werden oft unterschätzt, so dass zum Nachteil von Betrieb und Auszubildendem solche Ausbildungsverhältnisse nicht selten scheitern.
Ausbildung nach Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit
Die Überleitung eines ehemaligen Klienten der Jugendhilfe in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit ist nicht unproblematisch. In der Regel steht die Arbeitsmarktorientierung im Mittelpunkt der Förderinstrumente des SGB II und III und weniger die Lebensweltorientierung, die für junge Menschen mit Beeinträchtigungen im Leistungs- und Sozialverhalten unverzichtbar ist. Auch die im SGB II vorgesehenen Sanktionsvorschriften sind eher kontraindiziert, um die ehemalige Jugendhilfeklientel in Richtung Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung zu motivieren.
Interne Ausbildung in der Erziehungshilfe
Eine intern in einer Jugendhilfeeinrichtung absolvierte Berufsausbildung richtet sich an diejenigen, die durch gravierende soziale Benachteiligungen und individuelle Beeinträchtigungen charakterisiert und auf Hilfe zur Erziehung einschließlich der Hilfe für junge Volljährige angewiesen waren beziehungsweise sind. Die verschiedenen Möglichkeiten sollen am Beispiel der Johannesburg GmbH aufgezeigt werden, zu der Einrichtungen in Niedersachsen gehören, in denen stationäre, teilstationäre und ambulante Angebote der Kinder- und Jugendhilfe mit schulischen und beruflichen Angeboten verknüpft werden.
Breite Palette von Berufen
Um nicht Gefahr zu laufen, die Auszubildenden bei einer internen Ausbildung in nur wenige Berufe zu drängen, was dem Wunsch- und Wahlrecht widersprechen würde, muss die Einrichtung eine große Palette an Ausbildungsmöglichkeiten vorhalten. In der Johannesburg umfasst das Angebot 48 Ausbildungsgänge in zehn verschiedenen Berufsfeldern einschließlich sogenannter Werker- und Bearbeiterberufe beziehungsweise Ausbildungen zum/zur Fachpraktiker(in).
Die anspruchsvolle Klientel in der internen Ausbildung muss nicht nur auf fachlich qualifiziertes Ausbildungspersonal treffen, sondern auch auf Ausbilder(innen), die eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation besitzen und mit Fortbildungsmodulen auf die Förderarbeit vorbereitet wurden. In der Johannesburg erlangen die Meister(innen) ihre Zusatzqualifikationen traditionell in Kursen, die der Bundesverband katholischer Einrichtungen der Erziehungshilfe (BVkE) seit Jahrzehnten anbietet.
Der wichtigste Faktor, der für eine einrichtungsinterne berufliche Erstausbildung spricht, ist die Verzahnung von sozialpädagogischer Begleitung, schulischer Unterstützung und praktischer Ausbildung unter einem Dach. Der junge Mensch verbleibt für die Zeit seiner Berufsausbildung in der ihm vertrauten Einrichtung und muss für die wichtige, oft lebensentscheidende Phase der beruflichen Qualifikation keinen Lebens- und Lernortwechsel vollziehen. In der Johannesburg stehen sozialpädagogische Begleitprogramme zur Verfügung, die auf den individuellen Bedarf zugeschnitten sind. Neben der praktischen Ausbildung können die Auszubildenden auf einen organisierten Stütz- und Förderunterricht zurückgreifen, der werkstattnah angeboten wird.
Inklusion statt Abschottung
Eine interne Ausbildung innerhalb einer Jugendhilfeeinrichtung war lange Zeit dem Vorwurf ausgesetzt, die Zielgruppe von der betrieblichen Realität fernzuhalten und in einem exklusiven Schonraum zu qualifizieren. Diese Kritik greift heute nicht mehr. So werden in der Johannesburg nicht nur Klient(inn)en der Jugendhilfe in den Ausbildungsstätten gefördert, sondern parallel auch Zielgruppen nach SGB III, also junge Menschen, die eine Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen oder eine sonstige Reha-Ausbildung machen. Auch reguläre Auszubildende aus öffentlichen Betrieben absolvieren in den Werkstätten der Einrichtung Ausbildungsmodule.
Kooperation mit Betrieben
Eine außerbetriebliche Ausbildung gelingt nur im Miteinander mit Unternehmen. Die Johannesburg verfügt über ein Netzwerk von über 400 Betrieben. Die Auszubildenden erledigen Aufträge für die Fremdfirmen einschließlich Kalkulation, Planung, Kundenkontakt und Auslieferung. Sie absolvieren dort Praktika und werden zum Teil auch für eine Restzeit als Auszubildende übernommen. Um die Ausgaben für den öffentlichen Jugendhilfeträger zu senken beziehungsweise den Kostenzeitraum zu verkürzen, wären Modelle denkbar, bei denen Betriebe in die Finanzierung von außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnissen einsteigen. Das Ziel sollte dabei sein, einen jungen Menschen bei Eignung als Auszubildenden und schließlich als Mitarbeiter zu übernehmen. Wenn Betriebe heute bereit sind, jungen Menschen mit Vergünstigungen und Geschenken wie etwa Kleinwagen, Motorroller und Reisen in ein Ausbildungsverhältnis zu locken, dann könnte dieses Geld auch in eine Ausbildungsgemeinschaft zwischen Erziehungshilfeeinrichtung und Betrieb investiert werden. Der Betrieb würde mithelfen, relativ passgenau einen Auszubildenden zu qualifizieren. Der junge Mensch hätte nach bestandener Prüfung eine Übernahmegarantie, und das Jugendamt müsste nicht die ganze Ausbildung finanzieren.
Unabhängig von staatlicher Unterstützung
Auch für eine sehr schwierige Klientel der Erziehungshilfe besteht die Chance, über eine sonder- und sozialpädagogisch strukturierte Berufsausbildung Abschlüsse zu erreichen. Dies zu betonen ist besonders wichtig in Zeiten, in denen die Frage nach der (finanziellen) Sinnhaftigkeit einer (Weiter-)Gewährung von Hilfen über die Volljährigkeit hinaus immer lauter gestellt wird. Die Bildungs- und Erziehungswirksamkeit einer Berufsausbildung ergibt sich in der Erziehungshilfe allerdings nur durch einen Gesamtförderrahmen, in dem die Jugendberufshilfe verknüpft wird mit sozialpädagogischen und gegebenenfalls auch therapeutischen Angeboten sowie schulischen Förderhilfen. Ebenfalls unabdingbar ist die Assistenz von Betrieben. Unter diesen Voraussetzungen können nachhaltig erziehungshilfetypische Lebensgeschichten beendet werden. Neben dem individuellen Erfolg einer solchen Förderung ergibt sich oftmals auch eine Unabhängigkeit von staatlichen Unterstützungssystemen. Öffentliche Jugendhilfeträger sollten daher in begründeten Fällen auch über die Volljährigkeit hinaus fördern, um die weitere Persönlichkeitsentwicklung und eine eigenverantwortliche Lebensführung zu ermöglichen.
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