Gegen die Wand
Mit ungläubigem Staunen erlebt die Fachwelt, wie die Reform des Kinder- und Jugendhilferechts (SGB VIII) zum Ende der Legislaturperiode schwungvoll gegen die Wand gefahren wird. In Aussicht gestellt wurde, die bislang nach dem SGB XII geregelte Eingliederungshilfe für alle jungen Menschen nicht nur in den rechtlichen, sondern auch in den fachlichen Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe zu stellen. Dazu sollten unter anderem Finanzierungsregelungen verbessert, Regelsysteme wie Schule und Tageseinrichtungen mit den Hilfen zur Erziehung vernetzt und die Rechte der Kinder und Jugendlichen gestärkt werden (s. a. S. 21ff. u. S. 33ff.).
Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte das Ministerium unter dem hochtrabend-blumigen Slogan "Vom Kind aus denken" erste Überlegungen. Im Juni wurde ein interner Arbeitsentwurf durchgestochen. Im August und im September gab das Bundesministerium dann selbst scheibchenweise Auszüge einer überarbeiteten Arbeitsfassung bekannt. Viele Fachleute und die Verbände erfasste das blanke Entsetzen - noch bevor ein offizieller Gesetzentwurf vorliegt.
Die Ausarbeitungen irritieren in mehrfacher Hinsicht. Die erkennbaren fachlichen Vorstellungen bis hinein in sprachliche Wendungen greifen tief ein in das bisher herrschende Grundverständnis von Erziehung, in die tragende Arbeitsteilung zwischen öffentlichen Händen und freier Kinder- und Jugendhilfe und in die Qualität einer öffentlich verantworteten Erziehungshilfe. Der Rechtsanspruch Minderjähriger wird gestärkt, das Recht der Eltern reduziert. Der Begriff der Erziehung verdunstet. Die fachlich-pädagogischen Verständigungen im Prozess der Hilfe für die und mit den Minderjährigen und ihren Eltern, die die Kinder- und Jugendhilfe prägen, drohen durch bürokratisch-formale Akte der Bedarfsfeststellung ausgehebelt zu werden. Und schließlich werden Träger und Verbände durch Vergaberegelungen und Möglichkeiten der Umgehung von tarifgebundenen Leistungsangeboten einem Stress ausgesetzt, der zu einer nachhaltigen Ausdünnung und Erosion der Infrastruktur führen könnte. Trotz aller integrativen und inkludierenden Rhetorik droht der Kinder- und Jugendhilfe faktisch die Zerlegung.
Jetzt sollte dringend eine Denkpause eingelegt werden
Ein so wichtiges Vorhaben ist zweifellos höchst komplex, zumal die drei Ebenen Bund, Länder und Kommunen im Spiel sind. Insoweit muss man Verständnis aufbringen für die mühevolle Arbeit. Verstörend wirkt aber grundsätzlich, dass der Eindruck entsteht, man wolle aus der Kinder- und Jugendhilfe ein blankes sozialleistungsrechtliches System machen.
Zurück zum Kernanliegen der Reform. Künftig sollen zwar alle Minderjährigen mit einer "Behinderung" Leistungen nach dem SGB VIII erhalten - aber doch bitte nicht um den Preis einer "Discountisierung" von Standards!
Wollen wir den gewünschten Wandel sorgfältig gestalten oder ein riskantes Abenteuer einleiten? Mir scheint, wir sollten eine gehörige Denkpause einlegen. Sonst wird der Ruf lauter: Besser keine Reform als diese!
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