Selbstbestimmt mobil auf dem Land
Je weiter das Land, je dünner die Besiedlung, um so größer sind die Mobilitätsanforderungen an Menschen, die auch weiterhin in ländlicher Umgebung leben wollen oder müssen. Bei Orten ohne Behörden, Dienstleister, Läden und Gaststätten zwingt jede Besorgung zu entsprechend langen Wegen. Busverbindungen, die allenfalls nach dem Schulalltag getaktet sind, ansonsten nur eine Hin- und Rückfahrt am Tag ermöglichen, machen den Einkauf zum Tagesausflug.
Wer in solchen logistikarmen Dörfern nur wohnt, aber andernorts arbeitet, hat sich meist längst darauf eingestellt und erledigt seine Besorgungen mit dem Auto entlang des Weges zum Arbeitsplatz. Zurück bleiben Menschen, die über solche Arbeitsmobilität nicht verfügen, zum Beispiel Ältere ohne Fahrzeug, Eltern mit kleinen Kindern, wenn das Familienauto für die Fahrt zur Arbeit benötigt wird, oder einfach Menschen, die gerne auf dem Land wohnen, sich dies aber nicht durch individuellen Autoverkehr erkaufen wollen.
Angepasste Mobilitätsdienstleistungen reichen längst von Anruf-Sammeltaxis über Zusteige-Mitnahme-Konzepte und Leihbusse bis zu verschiedenen Varianten des Carsharings und andere kreative Formen verbesserter Mobilität.1 Mobile Dienstleistungen beschränken sich nicht auf Nahrungsmittelangebote mit dem Kleinbus, sie umfassen Bankdienstleistungen und medizinische Dienste ebenso wie kulturelle Angebote (zum Beispiel mobiles Kino und Bibliothek).2
Wie eine angepasste Versorgung auf dem Land aussehen kann, hat die "Dorv-Laden"-Bewegung deutlich gemacht ("Dorv" heißt Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung). In ihren Läden stellt sie die Nahversorgung sicher mit dem Verkauf von Waren des alltäglichen Bedarfs, basalen Dienstleistungen (Reinigungs- und Reparaturannahme, Poststelle und anderes) oder Vorbereitung des Behördenkontakts (zum Beispiel Vorhalten von einschlägigen Formularen, Orientierungskompetenz). Diese Läden verstehen sich auch als örtliche Kommunikationsknoten mit Angeboten der Geselligkeit, des Austauschs und der Selbstorganisation. Die Läden verbessern nicht nur die Versorgung, sondern beleben den Ort und schaffen in bescheidenem Umfang Beschäftigungsmöglichkeiten. Aber auch ein solches Geschäft braucht ein hinreichendes Einzugsgebiet und weitere strukturelle und logistische Voraussetzungen. Nicht überall kann es aus dem Boden gestampft werden. Darüber hinaus bietet der "Dorv-Laden" vieles - aber eben nicht alles. Das Mobilitätsproblem wird entschärft, aber nicht beseitigt.
Auch den politischen Einsatz für und die Hoffnung auf einen erweiterten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sollte man nie aufgeben. Aber nüchtern betrachtet wird das nicht zu dem Ergebnis führen, dass jeder beliebige Ort auch nur im Stundentakt mit Bus oder Bahn an das nächste Zentrum angeschlossen ist.
Bleibt also für eine hinreichende selbstbestimmte Mobilität doch nur der individuelle Autoverkehr, sei es auch mit Sharing- oder Leihmodellen? - Für den städtischen Raum liegt eine Alternative auf der Hand: das Fahrrad mit seiner unschlagbaren Überlegenheit auf kurzen Strecken und seiner positiven sozialen, ökologischen und ökonomischen Bilanz.
Das elektrische Fahrrad als eine Alternative
Allerdings sind die Strecken auf dem Land länger, die (Fahrrad-)Infrastruktur ist oftmals schlechter, die Wetterabhängigkeit größer. Es sind aber nicht nur verbesserte Kombinationen aus ÖPNV und Fahrrad - etwa in Form von Buslinien mit Fahrradmitnahme3 -, die auch auf dem Land die Fahrradnutzung erweitern, es ist vor allem die technische Entwicklung, die neue Möglichkeiten eröffnet: Mit dem Pedelec, das elektrisch unterstütztes Fahrradfahren für viele möglich macht, etabliert sich derzeit mehr als ein weiterer Fahrradtyp. Auch für gelegentliche Fahrradfahrer(innen) erweitert es deutlich den Radius, gerade auch bei Steigungen. Anders als das Auto kennt das Pedelec keine Altersbegrenzung und keine Führerscheinpflicht, kann also in der Familie leicht "durchgereicht" werden. Das Fahren mit Anhänger wird ebenso erleichtert wie die zügige Überwindung gefahrenträchtiger Verkehrssituationen. Zugleich zeigt die - zugegebenermaßen bisher übersichtliche - Praxis, dass das Pedelec für viele nicht der Abschied vom selbst getretenen Fahrrad ist, sondern der (Wieder-)Einstieg in die Fahrrad-Praxis überhaupt, gerade auch für ältere Menschen.4 Das Pedelec kann die Möglichkeiten selbstbestimmter Mobilität für viele Menschen aller Altersstufen gerade auch auf dem Land erweitern.
Das führt nicht zwangsläufig zu einem Schwarm Elektrofahrrad fahrender Menschen, die auf heimischen Fluren 20, 30 Kilometer zurücklegen. Sinnvoller ist es, verschiedene Aspekte miteinander zu verknüpfen: die erweiterte eigene Mobilität mit einem angepassten ÖPNV und einem Netz unterstützender Stellen. Wenn sich der individuelle Radius erweitert, werden Bus- und Bahnlinien attraktiv, die nicht ständig jeden Ort anfahren, deren Haltepunkte aber innerhalb dieses Radius erreichbar sind und in angemessenem zeitlichem Rhythmus bedient werden. "Dorv-Läden" und andere Angebote vergrößern ihr Einzugsgebiet, mehr Standorte werden möglich. Zugleich können solche Läden die Wartung und Vermietung von Pedelecs und anderen Fahrrädern in ihr Programm aufnehmen; sie steigern damit nicht nur ihre eigene Attraktivität, sondern erleichtern die Nutzung dieser Zweiräder. Dabei ist die Hoffnung berechtigt, dass nicht nur ältere Pedelecfahrer(innen) einen solchen Verbund nutzen, sondern auch andere Fahrradfahrer(innen) und Menschen, die auf diese Weise ihre Alltagsmobilität (wieder) für sich entdecken. Dass Straßenbau und -nutzung sich einer solchen Veränderung nicht nur anpassen müssen, sondern sie ausdrücklich fördern sollten, ist eine Selbstverständlichkeit.
Im flachen Norden anders als im bergigen Süden
Erst diese Kombinationen machen vermutlich eine selbstbestimmte Mobilität mit Fahrrädern auch auf dem Land attraktiv. Die Ausgestaltung wird sehr unterschiedlich sein, im flachen Norden Deutschlands anders als in Mittelgebirgsräumen.?Selbstverständlich lässt eine solche Entwicklung das individuell genutzte Auto nicht aus der ländlichen Mobilität verschwinden; es wird gerade auf dem Land Strecken, Verwendungen und Nutzer(innen) geben, für die das Auto unverzichtbar ist. Doch hier geht es auch nicht um einen ideologischen Feldzug gegen das Auto, sondern um die Erweiterung selbstbestimmter Mobilitätsformen - gerade auch auf dem Land - für unterschiedliche Alters- und Zielgruppen.
Warum sollte sich die Caritas mit diesem eher verkehrstechnisch anmutenden Problem befassen? Mobilität entscheidet über soziale Teilhabe, gerade auf dem Land. Wer sich für diese Teilhabe starkmacht, wie die Caritas, und zugleich auf ökologische Gerechtigkeit setzt, wird sich für Verkehrskonzepte interessieren, die diese und andere Aspekte miteinander verbinden. Zugleich kann die Caritas beim Know-how in den eigenen Reihen anknüpfen. In ihrer Trägerschaft befinden sich zum Beispiel Fahrradwerkstätten als Beschäftigungsbetriebe. Dabei muss die Caritas nicht selbst zum Fahrradverband werden. Sie kann sich vielmehr der Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren bedienen, die Erfahrung und Engagement in diesem Feld aufweisen.
Die demografische Entwicklung und die Stadtflucht machen gerade für die eingangs genannten Gruppen das Leben auf dem Land immobiler. Aber das Mobilitätsproblem kann entschärft werden durch mehr selbstbestimmte Mobilität. Für Ältere, für Jüngere, für alle.
Anmerkungen
1. Vgl. hierzu den Überblick in Ahrend, C.; Herget, M. (Hrsg.): Umwelt- und familienfreundliche Mobilität im ländlichen Raum. Handbuch für nachhaltige Regionalentwicklung, TU Berlin. Berlin, 2012, S. 29-34.
2. Ahrend/Herget, a.a.O., S. 35-40.
3. Vgl. hierzu exemplarisch Heidfeld, E.; Niedzballa, U.: Möglichkeiten und Grenzen von Fahrradbuslinien im ländlichen Raum. In: Kagermeier, A.: Verkehrssystem- und Mobilitätsmanagement im ländlichen Raum. Mannheim, 2004, S. 185-192.
4. Trotz insgesamt zurückhaltender Einschätzung erkennt auch der ADAC das Potenzial, das im Pedelec für ältere Verkehrsteilnehmer(innen) auf dem Land steckt, vgl. Gipp, C.; Nienaber P.; Schiffhorst, G. (IGES Institut GmbH): Mobilitätsoptionen Älterer im ländlichen Raum. ADAC-Studie zur Mobilität. Ergebnisbericht 2014, S. 55-59; www.adac.de/_mmm/pdf/fv_mobilitaet_laendlicher_raum_studie_1014_219852.pdf
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