Altes Kloster – neue Hilfe
Wie für alle Städte und Gemeinden stellt die Unterbringung von Flüchtlingen auch in Köln eine besondere Herausforderung dar. Dabei hätte man es leichter haben beziehungsweise anders wissen können. Die Prognosen vieler Fachleute waren jahrelang nichts wert. Die Flüchtlingszahlen sanken, und alle wollten fest daran glauben, dass das so bleiben werde. Die Kölner Infrastruktur mit gut 40 Unterkünften für Flüchtlinge wurde Anfang dieses Jahrhunderts kontinuierlich verkleinert - immerhin zugunsten einer deutlichen Verbesserung der Standards.
Seit 2012 steigen die Zahlen der Flüchtlinge - heute mit einer Dynamik, die vor zwei bis drei Jahren unvorstellbar schien. Allein während des Sommers 2015 musste Köln rund 7500 Menschen unterbringen. Schon seit Mitte 2013 hat die Stadt bei der Unterbringung so große Probleme, dass die damals erarbeiteten Standards nicht mehr eingehalten, Provisorien errichtet und zum Teil bizarre Ideen umgesetzt werden: Turnhallen werden ohne jedweden Sichtschutz genutzt; in einem alten Verwaltungsgebäude an der Autobahn leben heute über 600 Menschen, wo für 80 Menschen geplant worden war; und sogar ein stillgelegter Baumarkt nebst Verwaltungsgebäude wurde aufgekauft.
Initiative der Kirche
In den 1920er-Jahren entstand im aufblühenden Kölner Industrievorort Kalk eine Klosteranlage für den Orden der Klarissen. Die Schwestern sollten, wie es hieß, "betend und opfernd unter den Menschen mit ihren Nöten gegenwärtig" sein. Heute ist diese Geschichte zu Ende - Anfang 2013 zog die letzte Ordensschwester aus, ohne dass es Vorstellungen für eine Nachfolgenutzung gab.
Der Kölner Pfarrer Franz Meurer verbreitete daraufhin die Idee, das Kalker Kloster als Unterkunft für syrische Flüchtlinge zu nutzen - das sorgte für Furore. Der Bezirksbürgermeister lehnte ab: Er sah Kalk im Vergleich zu anderen Stadtteilen bereits mit Flüchtlingen überlastet. Die lokale Kirchengemeinde war tief gespalten: Ihr Kleinod dürfe so nicht missbraucht werden, formulierten Gegner der Idee. Einwohner mit rechtsextremer Gesinnung verteilten entsprechende Flugblätter.
Der damalige Kölner Generalvikar und jetzige Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, traf eine mutige Entscheidung: Er ließ sich überzeugen, dass auch die Kirche in der Verantwortung für die Unterbringung der Flüchtlinge steht, und gab das Kloster im Bistumsbesitz dafür frei. Damit skizzierte er eine Linie, die der neue Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki radikal weiterverfolgte. Mit der Aktion "Neue Nachbarn"1 richtete er das Erzbistum 2014 auf die Hilfe für Flüchtlinge aus: Gemeinden, Orden und Caritas wurden angehalten, jeweils in ihren Bezügen Flüchtlinge in allen erdenklichen Formen willkommen zu heißen und zu unterstützen.
Erste Ideen zur Umsetzung
Anfang 2014 bildete sich eine erste Arbeitsgruppe für die Umnutzung des ehemaligen Klarissenklosters. Das Erzbistum Köln bezog Expert(inn)en der Aachener Siedlungsgesellschaft mit ein, die sich zu wesentlichen Teilen in seinem Besitz befindet. Sie hat Erfahrung mit integrativen Wohnkonzepten unter anderem in Berlin. Weitere Teilnehmer der regelmäßig tagenden Arbeitsgruppe sind das Kölner Wohnungsamt und der Orts-Caritasverband.
Die Anlage besteht aus mehreren Teilen: Die frühere Klosterkirche und ein repräsentatives Pfortengebäude sind der Straße zugewandt. Hinter dem Pfortengebäude liegt ein zweistöckiges, fast quadratisches Klausurgebäude mit Innenhof - "Quadrum" genannt -, dahinter ein üppiger Garten mit Obstwiesen und einem Schwestern-Friedhof. Erste Überlegungen sahen den Abriss des Quadrums vor, um auf dieser Fläche, unter weitgehendem Einbezug des Gartens, zwei langgestreckte Wohngebäude zu errichten. Machbar erschienen 3400 Quadratmeter Wohnraum, zur Hälfte für Flüchtlinge und zur Hälfte für andere Mieter(innen). Das bereits teilrenovierte Pfortenhaus sollte für Infrastruktur, Beratungsdienste und vielfältige gemeinsame Angebote genutzt werden.
Eine vorsichtige erste Kalkulation ergab Mietpreise zwischen sechs und zehn Euro pro Quadratmeter. Das Wohnungsamt war "Feuer und Flamme" - ein integratives Projekt unter solch guten Rahmenbedingungen wird der Stadt nicht oft angedient. Doch die Rechnung war ohne den Denkmalschutz gemacht.
Zielkonflikt und Lösung
Die Denkmalschutzbehörde hielt den Gesamtkomplex einschließlich Garten für unbedingt schützenswert. Eine neue Nutzung sollte nur in der bestehenden Gebäudestruktur infrage kommen. Die kirchliche Seite reagierte mit Unverständnis: Ein marodes Klausurgebäude mit Zellen von sechs Quadratmetern könne nicht in vernünftige Wohnungen umgebaut werden.
Ein Gespräch zwischen Generalvikar und Sozialdezernentin2 im Frühling 2015 brachte wieder Bewegung in das schon fast begrabene Vorhaben. Sie vereinbarten ein Qualifizierungsverfahren - ähnlich einem Architektenwettbewerb, aber ohne formale Voraussetzungen - kurzfristig bis Sommer 2015. Stadt und Kirche entwickelten dazu gemeinsam Anforderungen. Folgende Ziele wurden Konsens: ein integratives Wohnprojekt für 80 bis 100 Flüchtlinge und die gleiche Zahl anderer Mieter(innen); Umbau des Quadrums unter Bewahrung seines äußeren Charakters; Bebauung von Teilen des Gartens; Sicheinfügen in die Umgebung; Gesamtwohnfläche: möglichst 3000 Quadratmeter. Es wurde aber auch heftig diskutiert - "spannenderweise" nicht über Flüchtlinge und ihre Integration, vielmehr über die Zahl der Stellplätze oder den Lärmschutz zugunsten eines benachbarten Gewerbebetriebs.
Ein Architekturbüro erhielt den Auftrag zur Durchführung des Qualifizierungsverfahrens, und insgesamt vier Büros wurden eingeladen, Entwürfe vorzulegen. Die Bewertungskommission umfasste kirchlicherseits den Generalvikar und weitere Akteure, darunter die Caritas und die Aachener Siedlungsgesellschaft. Auf städtischer Seite waren Bauaufsicht, Stadtplanung, Denkmalschutz und Wohnungsamt vertreten. Es gelang, das Verfahren in gut drei Monaten durchzuführen.
Guter Plan, gute Perspektive
Ein kleines Kölner Architekturbüro konnte sich qualifizieren und legte noch vor dem Sommer einen guten Plan vor. Es entwarf eine Wohnanlage, die den geschlossenen Charakter des Klosters durch Wege und Zugänge aufbricht. Insgesamt werden rund 2500 Quadratmeter Wohnfläche zu realisieren sein. Das Erzbistum und die Aachener Siedlungsgesellschaft lassen den Entwurf bis zur Baureife überarbeiten, die Kosten berechnen und Mieten kalkulieren. Wenn alles passt, wird der Bau realisiert.
Die Caritas steht als Betreiberin des Wohnprojekts dafür ein, dass Flüchtlinge und andere Mieter gemeinsam im früheren Kloster leben. Beratungs- und vielfältige Gruppenangebote sollen hier zusammengeführt werden: Ein neues kirchliches Flüchtlingszentrum entsteht, da reichlich Platz für Infrastrukturräume bleibt. Die ehemalige Kirche dient als Veranstaltungssaal. Ein Flohmarkt für notwendige Dinge des Flüchtlingsalltags ist vorstellbar, und Deutsch- und Integrationskurse werden angeboten werden. Wenn alles gutgeht, kann Anfang 2016 der Bau beginnen. Die ersten Flüchtlinge werden dann schon im Pfortenhaus des Klosters leben. Ende 2017 soll alles fertig sein.
Die Geschichte dieses Projektes zeigt, dass guter Wille allein nicht reicht. Oft brauchen gute Ideen ein hohes Maß an Durchsetzungsvermögen und Frustrationstoleranz. Doch das soll uns egal sein, wir denken mit Papst Franziskus: "Die leerstehenden Klöster gehören nicht uns, sie sind für das Fleisch Christi da, und das sind die Flüchtlinge."
Anmerkungen
1. www.aktion-neue-nachbarn.de
2. Die damalige Sozialdezernentin Henriette Reker konnte am 22. Oktober 2015 ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin von Köln annehmen, nachdem sie Tage zuvor bei einem rechtsextremistischen Anschlag schwer verletzt worden war.
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