Kliniken sind kaum auf behinderte Patienten vorbereitet
Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen als Patient(inne)n im Krankenhaus, das bedeutet einen erheblichen Mehraufwand. In vielen Kliniken werden sie deshalb, manchmal aus fadenscheinigen Gründen, gar nicht erst aufgenommen. Die Suche nach einem geeigneten Krankenhausplatz gestaltet sich in der Regel schon etwas länger und schwieriger. Ärzte und Pflegekräfte fühlen sich den besonderen Herausforderungen häufig nicht gewachsen. Und diese Sorge ist begründet. Es gibt Studien, die belegen, dass die Wahrscheinlichkeit für einen geistig behinderten Menschen, an einer gewöhnlichen Blinddarmentzündung zu sterben, um das Zweihundertfache höher liegt als beim Bevölkerungsdurchschnitt. Auf der Tagung "Behinderte Menschen in christlichen Krankenhäusern" des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland (KKVD) und des Evangelischen Krankenhausverbandes Deutschlands (DEKV) zusammen mit den Diözesan-Caritasverbänden in Nordrhein-Westfalen (NRW) berichteten Experten aus ganz Deutschland von den Schwierigkeiten der gesundheitlichen Versorgung auf diesem Gebiet. So werden im Einzelfall beispielsweise vorschnell Magensonden gelegt, weil die übliche Nahrungsaufnahme des behinderten Patienten zu aufwendig erscheint.
Das Problem gewinnt auch dadurch an Relevanz, dass sich die klassischen Heimstrukturen verändern. Die Förderung von Menschen mit Behinderung geschieht stärker als bisher dezentral und ambulant. Konsequent ist deshalb auch die Forderung der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP), jetzt flächendeckende Versorgungssysteme aufzubauen.
Der Osnabrücker Diözesan-Caritasverband führt aktuell eine Studie bei den Einrichtungen der Behindertenhilfe durch, um die Situation genauer analysieren zu können. Jeder Krankenhausaufenthalt eines Bewohners wird hier dokumentiert und bewertet. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.
Es geht nicht einfach um einen barrierefreien Zugang
Insgesamt gibt es in Deutschland aktuell 6,9 Millionen Menschen mit Behinderung, rund 750.000 von ihnen gelten in Fachkreisen als "patients with special needs", das heißt, ihre Behandlung im Krankenhaus erfordert besondere Kompetenzen, eine spezifische Pflege- und Behandlungsexpertise sowie einen erhöhten Pflegebedarf. Diese Voraussetzungen sind nur in sehr wenigen spezialisierten Krankenhäusern gegeben wie zum Beispiel in der St.-Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau, die selbst in der Behindertenhilfe tätig ist. Krankenhäuser der Regelversorgung tun sich hingegen in der Regel schwer, eine angemessene Behandlung von Menschen mit Behinderung sicherzustellen und damit der UN-Behindertenrechtskonvention zu entsprechen. Schließlich geht es nicht einfach um den barrierefreien Zugang eines Rollstuhlfahrers, sondern beispielsweise auch um eine angepasste Informations- und Kommunikationstechnologie. Das bedeutet, wie Mathias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft in NRW (KGNW), ausführte:
- Investitionen in die Fortbildung des Personals;
- Beschilderung in Brailleschrift;
- Zulassung menschlicher und tierischer Hilfen (unter Beachtung der Hygieneverordnungen);
- Gebärdendolmetscher;
- Zugang zum Internet.
Das Assistenzpflegebedarfsgesetz vom 8. September 2009 sei zwar ein wichtiger Schritt gewesen. "Es ist aber", so Blum, "völlig unzureichend, da die Regelung nur für die Assistenzen gilt, die über das sogenannte Arbeitgebermodell beschäftigt sind."1 Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung, wie zum Beispiel Autisten, können diese Assistenz in der Regel nicht in Anspruch nehmen.
Finanzielle Zuschläge für Krankenhäuser gefordert
"Nimmt man die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ernst, muss es für die Krankenhäuser auch finanzielle Zuschläge zur normalen Vergütung geben", forderte Blum weiter. Mit der aktuellen Personalausstattung könne der Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention auf Inklusion und Teilhabe in den Krankenhäusern - bei allem guten Willen - nicht immer ausreichend erfüllt werden, so der KGNW-Geschäftsführer. Es gäbe schließlich "keine Lösungen von der Stange", weil die individuellen Voraussetzungen grundlegend verschieden seien, machte Birgit Boy von der Kölner Alexianer gGmbH in diesem Zusammenhang deutlich. Die Erfahrungen in den spezialisierten Kliniken können als "Best-Practice-Beispiele" von großem Nutzen sein. Das bestätigten Frank Bösebeck vom Diakoniekrankenhaus Rotenburg/Wümme als auch Jürgen Kolb von der St. Lukas-Klinik in Meckenbeuren.
Versorgung in multiprofessionellen Teams planen
Die christlichen Krankenhäuser sollten sich auf die vorhandenen Strukturen vor allem der Caritas und Diakonie stützen, sich stärker vernetzen, um die freie Krankenhauswahl zu ermöglichen und den Ansprüchen einer adäquaten medizinischen Versorgung von Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung gerecht werden zu können, so lautete der übereinstimmende Appell von Ulrike Koska vom Deutschen Caritasverband und Frank Johannes Hensel, dem Kölner Diözesan-Caritasdirektor.
Hensel, der als Arzt selbst den Krankenhausalltag kennengelernt hat, weiß, dass der "moderne Krankenhausbetrieb für ungeplante und unplanbare Vorgänge kaum noch flexibel genug ist". Er regte an, in Krankenhäusern nach dem eingeübten Muster der Fallbesprechungen in multi-professionellen Teams Versorgung von Patienten mit Behinderung für den Einzelfall zu planen. Dabei sei es hilfreich, Experten von außen hinzuzuziehen. So könnte man sehr schnell fachlich weiterkommen. Die Veranstaltung reihte sich in einen aktiven Dialog ein, der schon seit einiger Zeit zwischen den Vertretern der Krankenhäuser und der Behindertenhilfe geführt wurde und auch in Zukunft fortgesetzt werden soll.
Die Veranstalter wollen mit ihrem Engagement für eine solche Tagung möglichst viele christliche Krankenhäuser dazu ermutigen, sich dem Thema "Inklusion" noch stärker zu widmen und auf die optimale Versorgung behinderter Menschen in christlichen Kliniken ein gesondertes Augenmerk zu richten. Die anwesenden Krankenhausvertreter(innen) haben deutlich gemacht, sich für die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Behinderung im christlichen Krankenhaus auch zukünftig engagieren zu wollen.
Präsentationen und Dokumentationen zur Fachtagung gibt es unter: www.kkvd.de
Anmerkung
1. "Arbeitgebermodell" meint: Die Menschen mit Behinderung stellen ihre Helfer(innen) selbst ein, um die Assistenz sicherzustellen.