Ein noch kürzerer Dienst nutzt niemanden mehr
Zum letzten Jahreswechsel hat der Bundesfachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) seine Mitglieder zu Konsequenzen der geplanten Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes befragt. Auch wenn die Erhebung keinen repräsentativen Anspruch reklamieren kann, gibt sie doch einen Trend wieder, wie im Fachverband die Auswirkungen einer etwaigen Verkürzung gesehen werden.
Bei den mehr als 100 Mitgliedseinrichtungen, Diensten und Trägern, die geantwortet haben, leisten derzeit rund 900 Zivildienstleistende ihren Ersatzdienst. Zum größten Teil sind sie in folgenden Arbeitsfeldern tätig: Wohngruppenbetreuung, Fahrdienste, Werkstätten, Förderschulen und Hausmeisterei.
Fast alle Rückmelder beurteilen die geplante Verkürzung als negativ, sie werde zu großen Veränderungen führen. Diese werden nicht nur für die Gesamtstrukturen kritisch gesehen, sondern auch generell für das soziale Klima der Einrichtungen. Kaum jemand kann sich vorstellen, wie ein verkürzter Zivildienst noch als sinnvoller Lerndienst1 realisiert werden soll.
Bereits heute ist es schwierig, für die neun Monate eine gute Einarbeitung zu sichern und entsprechende Dienstpläne zu gestalten. Einige Träger überlegen, ob sich der Zivildienst bei einer Verkürzung noch aufrechterhalten lässt. Intensive menschennahe Hilfen wie beispielsweise die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) sind aus fachlicher Sicht bei einer verkürzten Dienstzeit kaum mehr zu rechtfertigen. Ähnliches gilt für assistierte Schulbegleitungen im Sinne inklusiver Bildung.
Die möglichen Kompensationskonzepte bei einer Verkürzung – sei es über das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder über sogenannte nicht-berufliche Hilfesysteme – werden nur bedingt als realistische Optionen gesehen, die zudem bestenfalls langfristig greifen würden. Jede zweite Rückmeldung verneinte klar die Frage nach möglichen Kompensationsmodellen.
Ehrenamt ist ausgereizt
Die Sorge ist groß, dass sich der Staat schleichend aus sozialstaatlichen Pflichten zurückzieht und deshalb umso mehr ehrenamtliches Engagement und Familiendienste anmahnt. Viele Caritas-Kolleg(inn)en haben aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Situation, wie sie sich in den täglichen Diensten darstellt, erhebliche Zweifel daran, dass über das existierende nicht-berufliche Hilfesystem hinaus noch viel mehr geleistet werden kann. Gerade in Familien, in denen Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung leben, sind in der Regel nahezu alle Ressourcen ausgeschöpft. Die Belastungen sind für diese Familien groß. Sie sind auch groß für die involvierten Caritas-Mitarbeiter(innen), die sich meist nicht in der Lage sehen, andere oder weitere nicht-berufliche Hilfesysteme zu motivieren oder gar neu zu organisieren. Insofern können viele Träger, Einrichtungen und Dienste die bisherigen Einsätze der Zivildienstleistenden schon seit geraumer Zeit nicht mehr als einen bloßen Lerndienst sehen, der die Regelarbeit nicht ersetzen darf. Ohne Zivildienstleistende – und auch mit ihnen, wenn sie nur sechs Monate da sind – werden viele Angebote in der gegebenen Form nicht mehr möglich sein.
Die Frage nach einem verpflichtenden sozialen Jahr für alle jungen Frauen und Männer als eine mögliche Alternative zum Zivildienst, gegebenenfalls auch zum FSJ, sehen 40 Prozent der Rückmelder als eine interessante Option, die im Sinne gesamtgesellschaftlicher Implikationen und bei der Fachkräftegewinnung positive Wirkungen entfalten könnte. Vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird Ablehnung signalisiert. Angedacht werde die Möglichkeit, den sechsmonatigen Zivildienst freiwillig zu verlängern.
Bei der Frage nach Anregungen, wie die Folgen eines verkürzten Zivildienstes bewältigt werden können, sticht die Forderung an die Politik und die Kostenträger heraus, gemeinsam mit den Anbietern um die bestmögliche Qualität der Angebote zu ringen. Darauf ist auch bei den aktuellen Debatten zur Reform der Eingliederungshilfe zu achten. Ein verkürzter Zivildienst darf keinesfalls zu einem weiteren Einfallstor für Kürzungen der Leistungsangebote werden, die Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sowohl die Selbstbestimmung als auch die Teilhabe gewährleisten sollen – so ein häufig formuliertes Votum.
Anmerkung
1. Vgl. neue caritas Heft 6/2010, S. 33 ff.