Ein Ort des Zusammenhalts in Vielfalt
Am Anfang stand die gemeinsame Vision eines Begegnungsorts, an dem Caritas und Pastoral miteinander wirken. Eines Orts, der christliche Werte konkret erfahrbar werden lässt – durch spirituelle Angebote ebenso wie durch professionelle Beratung und Hilfe zur Lebensbewältigung. Diese Vision war Ergebnis einer langen Diskussionsphase zum Umbau der sanierungsbedürftigen Kirche St. Anton unter Beteiligung der Gemeindemitglieder, von Bewohner:innen des Stadtteils sowie des Caritasverbands für die Stadt und den Landkreis Schweinfurt.1 Nach der Auftragsvergabe an ein Architekturbüro waren die Kooperationspartner in Planungsgremien beteiligt und konnten gemeinsam Leitlinien und Ziele der Zusammenarbeit entwickeln. Mit Diversität umzugehen, erkannten sie als gemeinsamen Auftrag, den sie mit der Namenswahl "Casa Vielfalt" pointierten (Casa = Akronym aus "Caritas" und "St. Anton"). Mit der Verkleinerung des Kirchenraumes wurden einladende Ermöglichungsräume geschaffen. Architekt Christian Brückner folgte dabei der Prämisse: "Die Menschen mit ihrer ganz eigenen Geschichte, Individualität und Vielfalt sind das Ziel aller architektonischen und pastoralen Bemühungen im Casa Vielfalt." Mit dem Einzug des CV Schweinfurt im Januar 2021 nahm die Koordinationsleitung mit einer halben Stelle ihren Dienst auf, mit dem Auftrag, das "Casa Vielfalt" zu einem offenen und lebendigen Haus mit intergenerationellen, -religiösen und -kulturellen Begegnungsmöglichkeiten werden zu lassen und die einrichtungsübergreifende Kooperation zu steuern. Vernetzung im Sozialraum, Konzeptarbeit (Inklusion, Diversität, Ehrenamt) sowie Öffentlichkeitsarbeit waren und sind erforderliche Aufgabenfelder. Bei der praktizierten Sozialraumorientierung geht es "darum, unter tätiger Mitwirkung der betroffenen Menschen Lebenswelten zu gestalten und Arrangements zu kreieren, die dazu beitragen, dass Menschen auch in prekären Lebenssituationen zurechtkommen".2 Zur Sicherung des Informationsaustauschs und der einrichtungsübergreifenden Zusammenarbeit lädt die Koordinationsleitung alle beteiligten Kooperationspartner im Zentrum circa sechsmal im Jahr zur "Nutzerversammlung", um gemeinsame Veranstaltungen zu planen und aktuelle Entwicklungen zu besprechen. Darüber hinaus steuert sie die Vermietung der drei vorhandenen Seminarräume für Nutzungen, die dem Geist des Zentrums gerecht werden. Bogenschießen für Trauernde, Babymassage, Vorträge, Fortbildungen in Psychologie, Pädagogik oder Pflege – das Programm im Haus ist bunt wie die Menschen, die es besuchen, und die Mieteinnahmen zur Deckung von Nebenkosten sind willkommen.
Zusammenarbeit gegen Stigmatisierungen
Die außergewöhnliche Bevölkerungszusammensetzung in Schweinfurt - 42 Prozent der Einwohner:innen haben einen Migrationshintergrund, bei Kita-Kindern sind es sogar 61 Prozent - ist ein Indikator für die Vielfalt der Besucher:innen im Zentrum. Häufig bringen sie persönliche Diskriminierungserfahrungen mit. Der Altenquotient beträgt 41 Prozent, zwölf Prozent der Bürger:innen beziehen Transferleistungen.3
Die einrichtungs- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit im Zentrum "Casa Vielfalt" ist vor diesem Hintergrund kein Selbstzweck oder "Nice-to-have", sondern Teil des Konzepts, Diskriminierung und Stigmatisierung zu bekämpfen und Teilhabe zu ermöglichen. Dazu organisiert die Koordinationsleitung gemeinsam mit wechselnden Kooperationspartnern regelmäßig Lesungen, Spieleabende oder Vorträge. Durch diese niederschwelligen, pädagogisch begleiteten Veranstaltungen und Projekte treffen Menschen aus sehr unterschiedlichen Lebenswelten aufeinander, erleben Respekt, Gemeinschaft und eine zugewandte Atmosphäre. Sie werden dazu ermutigt, sich zu engagieren und die Arbeit des Zentrums mitzugestalten - ihr Selbstwertgefühl und der Zusammenhalt werden gestärkt. »
Nicht zuletzt wird Inklusion großgeschrieben: im Bereich der Sozialpsychiatrie beispielsweise durch den Trialog in der Praxis, den Einsatz von Genesungsbegleitenden und durch das Zuverdienst-Café Charisma. Die Zusammenarbeit von Frühförderstelle, Kita und vorschulischem Angebot der Förderschule in einem Gebäude des Zentrums eröffnet innovative Möglichkeiten der Inklusion.
Kirchenschiff als Begegnungsraum
Nicht jede:r fühlt sich von einem Kirchengebäude angezogen. Die Zusammenarbeit mit nichtkirchlichen Akteuren gelingt durch den Aufbau eines nachhaltigen Netzwerks. Durch aktives und authentisches Engagement für gemeinsame Ziele entsteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, Berührungsängste werden abgebaut, Zugänge zu unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eröffnet. Im "Casa Vielfalt" hat die Zusammenarbeit mit dem Integrationsbeirat der Stadt im Einsatz gegen Diskriminierung und Rassismus zur engen Vernetzung mit verschiedenen muslimischen Gemeinschaften in Schweinfurt geführt, regelmäßige Veranstaltungen zur Begegnung von Christ:innen und Muslim:innen wurden möglich. Im Mittelpunkt stehen dabei die Gemeinsamkeiten zwischen Islam und Christentum und der persönliche Austausch. Die respektvolle Atmosphäre, das Interesse an der je anderen Religion und Kultur sind spürbar und begeistern die Gäste ebenso wie die Ehrenamtlichen der muslimischen Gemeinde, die mit viel Engagement und Liebe kochen, backen und dekorieren, um ihre Kultur mit allen Sinnen erfahrbar zu machen.
1. Vgl. Schoknecht, S.: Das Zentrum "casa Vielfalt"
steht und Kirche lebt. In: neue-caritas-Jahrbuch 2023,
S. 188 ff.
2. In: Fürst, R.; Hinte, W. (Hrsg.): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten. Wien, 2019, S. 9-28.
3. www.schweinfurt.de/rathaus-politik/stadt/zahlen-daten-und-fakten/1185.Soziales-und-Gesundheit.html
Fünf Learnings ...
… aus der gelebten Praxis der organisationsübergreifenden Kooperation in einem Gebäude
1. Ohne zusätzliches Personal geht es nicht
In sozialen Einrichtungen ist die Arbeitsbelastung in Zeiten schwindender Mittel und des Fachkräftemangels sehr hoch und verdichtet. Um einrichtungsübergreifende Projekte zu planen, zu entwickeln, anzustoßen und zu bewerben, wird Personal benötigt, das nicht im Alltagsgeschäft gebunden ist. Darüber hinaus muss die einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit von der Führungsebene ermöglicht und gefördert werden.
2. Auf die gemeinsamen Ziele fokussieren
Die Zusammenarbeit erfordert besonders in der Anfangsphase Arbeitszeit und Bereitschaft zur Kooperation bei den beteiligten Mitarbeitenden. Die gemeinsamen Ziele und der Auftrag jeder beteiligten Einrichtung sind abzustimmen: Denn wenn die Sinnhaftigkeit der Zusammenarbeit deutlich wird, weil die Zielgruppe des je eigenen Arbeitsfeldes profitiert, steigt die Motivation von Mitarbeitenden wie auch Finanzgebern.
3. Sozialraumorientierte Projekte anstoßen
Stehen Wille und Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt, trägt dies wesentlich zum Erfolg bei. Erfolgreiche Projekte dienen nicht nur den Menschen, für die sie erdacht sind, sondern verdeutlichen allen Beteiligten den Nutzen der Kooperation und konsolidieren dadurch die Vernetzung. Beispiel eines Projekts, das von keiner Einrichtung allein getragen werden könnte: Das "FriedhofsCafé Schweinfurt" ist im "Casa Vielfalt" seit März 2023 ein Projekt von Caritas, Gemeinde St. Anton und Malteser Hospizdienst gemeinsam mit den externen Kooperationspartnern Gesprächsladen Schweinfurt und Ehrenamtskontaktstelle der Stadt. Ehrenamtliche sind jeden ersten Sonntagnachmittag im Monat auf dem Hauptfriedhof Gesprächspartner:innen für Menschen, die Kontakte oder Unterstützung suchen und sich mit Gleichgesinnten austauschen möchten. Anlaufpunkt ist ein umgebautes Lastenrad, an dem Kaffee und Kuchen gegen eine Spende verteilt werden. Der Erfolg ist nicht nur qualitativ messbar an den intensiven Gesprächen und der Dankbarkeit der Besucher:innen, sondern auch quantitativ: 120 bis 150 Tassen Kaffee pro Nachmittag, großzügiger Spendeneingang, die Zahl der Ehrenamtlichen steigt kontinuierlich.
4. Vernetzung, Vernetzung, Vernetzung
Wenn jede Einrichtung ihr vorhandenes Netzwerk einbringt, erhöht sich die Reichweite für alle Beteiligten deutlich. Einrichtungsübergreifende Angebote können erfolgreicher unterschiedliche Zielgruppen erreichen und neue Stakeholder gewinnen. Die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit trägt zum positiven Image bei.
5. PDCA und Fehlerkultur
Das aus dem Qualitätsmanagement bekannte "Plan - Do - Check - Act" zur Verbesserung von Prozessen gilt auch beim Implementieren sozialer Angebote. Manch gute Idee scheitert vielleicht an besonderen Umständen, die nicht so leicht vorhersehbar waren. Ohne Schuldzuweisung Angebote zu beenden und neue, besser passende zu entwickeln, sorgt für gutes Arbeitsklima und wirklich bedarfsorientierte Angebote.
Kooperierende Einrichtungen und Dienste im Zentrum "Casa Vielfalt"
Katholische Gemeinde St. Anton, Griechisch-orthodoxe Gemeinde, Kita St. Anton, OKCV Schweinfurt mit Sozialpsychiatrie: Café Charisma, Krisennetzwerk Unterfranken mit Mobilem Einsatzteam, Allgemeiner Sozialer Beratungsdienst, Fachdienst Gemeindecaritas; Julius-Kardinal-Döpfner-Schule mit Heilpädagogischer Tagesstätte und Schulvorbereitender Einrichtung, Caritas-Frühförderstelle, Malteser Hospizdienst