Vielfalt in der Caritas? Eine Frage der Haltung!
Katholische Kirche und Vielfalt? Dies ist auch eine lange Geschichte von Verletzungen und Diskriminierung. Eine wirkliche Aufarbeitung der Schuldgeschichte steht trotz neuer Grundordnung des kirchlichen Dienstes noch aus. Daher ist es umso wichtiger, Vielfalt nicht nur arbeitsrechtlich zu "regeln", sondern eine klare und theologisch fundierte Haltung zu entwickeln. Der DiCV Rottenburg-Stuttgart ist seit vielen Jahren zu dieser Frage unterwegs (Prozess "Caritas in Vielfalt"). Vielfalt ist kein Gegensatz, sondern gerade Ausdruck unserer christlichen Identität! Mehrere Aspekte sind hier wichtig:1
Ressource statt Forderung
Christentum wird oft mit Moral verwechselt: Mit einem "Du sollst, du musst …" Aber die erste Botschaft des Christentums ist die Zusage einer Liebe und Würde, die allen Menschen und der ganzen Schöpfung gilt - ohne Ausnahme, ohne Bedingung. Diese christliche Haltung prägt unser Tun als verbandliche Caritas. Christ:innen vertrauen auf die Gegenwart einer Liebe, die der Mensch nicht aus eigener Kraft herstellen muss. Sie nennen diese Liebe Gott.
Vertrauen statt Abgrenzung
Mit dieser Weite und mit diesem Zutrauen geht die verbandliche Caritas auf das Thema Vielfalt zu. Auf Abgrenzung angelegte Profildiskussionen oder eine kapitalistische Konkurrenzlogik ("Alleinstellungsmerkmal") führen in die Enge und machen den christlichen Glauben "klein". Wie der Theologe Michael Schüßler formuliert: "Die kürzeste Definition für Christentum ist ,Verbundenheit‘, die aus der Vielfalt und Verletzbarkeit des Lebens und der Schöpfung heraus entsteht."2
Entscheidend ist, was geschieht - ob sich Gutes, ob sich Liebe, ob sich Verbundenheit im Sinne Jesu "ereignet". Für Identitätsprozesse in christlichen Organisationen sind nicht Zugehörigkeitskategorien maßgeblich, sondern die Qualität des Handelns und der so ermöglichten "Ereignisse".
Und was heißt jetzt Kirche?
Caritas ist Kirche - weil hier Menschen in ihrer Vielfalt dazu beitragen, dass sich Liebe im Sinne des Evangeliums ereignet. Oder in der Sprache von Mitarbeiter:innen: Kirche ist dort, wo das Evangelium gelebt wird. Die Resonanz aus Workshops mit Führungskräften zeigt, wie befreiend und ermutigend diese "Ereignisperspektive" wahrgenommen wird. Sie löst Stolz aus und wird als identitätsstiftend erfahren.
Zugleich ist Kirche auch als Institution zu verstehen (die nicht einer Ereignislogik, sondern einer Mitgliedschaftslogik folgt) oder als Glaubensgemeinschaft. Alle Dimensionen gehören zusammen, sind wichtig und sind zugleich zu unterscheiden.
Perspektiven zum Umgang mit Kirchenaustritt
Auch für das Thema Kirchenaustritt kann diese Differenzierung Orientierung geben. Aus der Ereignisperspektive ergibt sich: Ein Kirchenaustritt ist kein prinzipielles Einstellungshindernis. Leitungsverantwortliche in der Caritas suchen das Gespräch und sehen jede einzelne Person. Entscheidend ist das Handeln im Sinne der Werte und Ziele der Caritas. Angestrebt wird eine Organisationskultur, in der diese Frage weder banalisiert noch tabuisiert wird.
Aus organisationaler Perspektive ergibt sich die viel wichtigere Frage: Wie können alle Mitarbeitenden in ihren religiösen Suchbewegungen begleitet werden - quer zu ihren Kirchen- oder Religionszugehörigkeiten? Wie es eine Führungskraft treffend formuliert: "Wir wollen von allen Mitarbeitenden wissen, wie es ihnen geht - das ist es, was uns ausmacht, so wird unser Menschenbild lebendig."
1. Siehe zum Folgenden ausführlich "Caritas in Vielfalt. Aktualisierte Handreichung zum Umgang mit der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart" (2024), verfügbar auf der Website des DiCV Rottenburg-Stuttgart: Caritas in Vielfalt (Kurzlink: https://tinyurl.com/nc24-18-vielfalt).
2. Ebd., S. 8.