Migration, nein danke! Engagierte spüren kritische Stimmung
Der Rechtsruck in Deutschland und vielen europäischen Ländern bleibt nicht ohne Folgen. Die zunehmend migrations- und integrationskritische Stimmung, die die Politik zu Verschärfungen im Migrationsrecht drängt, erschwert die Arbeit für beruflich und ehrenamtlich Engagierte in lokalen Unterstützungsnetzwerken. Dies zeigt eine Umfrage im Rahmen des Forschungsprojekts LokU 2.0 an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München.
64 Prozent der befragten Engagierten für junge neu Zugewanderte am Übergang in Ausbildung und Arbeit unter anderem in Behörden, bei freien Trägern, Kammern und NGOs bestätigten dies ganz oder überwiegend. Nur rund ein Viertel (26,7 Prozent) sieht die Arbeit nicht als erschwert an.
Beschrieben wurden von den Befragten negative Auswirkungen auf neu Zugewanderte, das freiwillige Engagement, das lokale Netzwerk oder ihre eigene Arbeit. Für die Auswirkungen auf die Arbeit von Netzwerkakteurinnen und -akteuren konnten Aussagen thematisch gebündelt werden.
Die Engagierten sehen die Gefahr, dass langfristige, bildungs- und erwerbsbiografische Strategien infrage gestellt werden und so das Ziel gefährdet wird, jungen Menschen zu einem selbstbestimmten und von staatlichen Leistungen unabhängigen Leben zu verhelfen. Sie sehen im "Jobturbo", der die Integration von Zugewanderten in Arbeit beschleunigen soll, eine politische Antwort auf die Stimmung im Land, die jedoch folgenschwer sei, weil sie prekäre Beschäftigungsverhältnisse fördere. Eine befragte Person teilt die Beobachtung, "dass die Jobcenter unseren Beratenden in langfristige Strategien ‚hineinpfuschen‘ - indem Anerkennungsverfahren nicht finanziert werden".
Mehr Bedarf an Anti-Diskriminierungsarbeit
Durch die ablehnende Haltung gegenüber Migration fühlen sich zwei Befragte verstärkt gefordert, nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Umfeld für die Lebenssituation von Zugewanderten zu sensibilisieren.
Weiter wird problematisiert, dass "Unwissenheit und falsche Behauptungen von Politikern die Arbeit [belasten], da zusätzlich gegen diese Stimmung und die geschürten Vorurteile gearbeitet werden muss".
Gegenüber neu Zugewanderten sieht man sich in der Pflicht, deren Selbstwertgefühl zu stärken und zu betonen, dass sie "unabhängig von ihrer ‚ökonomischen Verwertung‘ als potenzielle Fachkraft eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sind".
Um "den Rechten nicht noch Futter zu geben", offenbart eine Person ihre Hemmung, (strukturelle) Probleme offen anzusprechen. Das führe aber dazu, "dass Herausforderungen nicht mehr konstruktiv besprochen werden können, sondern nur noch Best Practices benannt werden".
Die gewonnenen Einzelaussagen geben einen alarmierenden Einblick in die Praxis gegenwärtiger Integrationsarbeit. Sie tragen dazu bei, ein Problembewusstsein zu schaffen. Weiterführende Forschung wäre wünschenswert, um mit belastbaren Daten auf die negativen Auswirkungen hinweisen, Begegnungsstrategien benennen und Supervisionsbedarfe ermitteln zu können.
Die obige Umfrage fand von Februar bis April 2024 im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojekts LokU 2.01 der Hochschule München statt. Es wurden 180 Netzwerkakteure und -akteurinnen aus 66 Großstädten im deutschsprachigen Raum (D: 61, A: 4, CH: 1) zu vier Themenblöcken, unter anderem zu Neuerungen in der berufsbezogenen Arbeit mit jungen Zugewanderten befragt.
„Die gegenwärtige migrations- und integrationskritische Stimmung erschwert die Arbeit im Handlungsfeld“ (N = 176).
1. Lokale Unterstützungsketten für junge neu Zugewanderte - Wandel und Potenziale im Zeichen der Corona-Pandemie (LokU 2.0) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Laufzeit: Februar 2023 bis Januar 2026, Vorhaben-Nr.: 01UP2227).
Beispielhafte Aussagen von Netzwerkakteur:innen
"Unwissenheit und falsche Behauptungen von Politikern belasten die Arbeit, da zusätzlich gegen diese Stimmung und die geschürten Vorurteile gearbeitet werden muss."
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"Ich sehe es weiterhin als eine unserer Aufgaben an, den neu ankommenden Geflüchteten zu vermitteln, dass sie auch unabhängig von ihrer ,ökonomischen Verwertung‘ als potenzielle Fachkraft eine Bereicherung für unsere Gesellschaft sind."
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"Politischer Diskurs führt dazu, dass Herausforderungen nicht mehr konstruktiv besprochen werden können, sondern nur noch Best Practices benannt werden, um den Rechten nicht noch Futter zu geben. Das führt dazu, dass (strukturelle) Probleme nicht
angegangen werden."
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"Außerdem hat der ,Jobturbo‘ als kurzfristige politische Reaktion auf die Stimmung dazu geführt, dass die Jobcenter unseren Beratenden in langfristige Strategien ,hineinpfuschen‘ - indem Anerkennungsverfahren nicht
finanziert oder Berechtigungen für B2-Sprachkurse verweigert werden."
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"Für meine Arbeit bedeutet das: besser machen und sensibilisieren im privaten wie beruflichen Umfeld."