Wie ein Kölner Verein Gemeinschaft gegen Einsamkeit schafft
Den „TauschRausch“ ermöglichen zehn Ehrenamtliche. Und fühlen sich selbst beschenkt.Barbara Allebrodt
Der Verein "Schmitzundkunzt" vernetzt Menschen in zwei Stadtteilen. Das Motto: "So geht Gemeinschaft". Wer hierherkommt, wird gehört, gesehen – und schnell Teil der lebendigen Community.
Die Kölner Innenstadt begrüßt ihre Gäste an diesem Samstagmorgen mit strahlendem Sonnenschein. Shoppingwetter. Wenige Hundert Meter entfernt von den Einkaufsmeilen bereiten die Engagierten von "Schmitzundkunzt" ein Einkaufserlebnis der anderen Art vor: Mit ihrem Kleider-"TauschRausch" locken sie hier alle zwei Wochen mehrere Hundert Frauen in die Vereinsräume am Rande des Belgischen Viertels, in bester Innenstadtlage also. Hier hat die Nachbarschaftsinitiative seit 2022 ihr Quartier.
Zehn ehrenamtliche Helferinnen sortieren Hosen, Röcke und Shirts. Die Atmosphäre ist fröhlich, jeder Handgriff eingespielt. Hinter der Theke teilt Anita Becker Obst in mundgerechte Stücke, das jemand vom Lebensmittelretten mitgebracht hat. Seit mehr als drei Jahren ist sie dabei. Und schätzt neben der Idee der Nachhaltigkeit besonders das Miteinander und die vielfältigen Angebote des Vereins. Als pflanzenbegeisterte Großstädterin betreut sie im benachbarten Urban-Gardening-Projekt "Rectangle" zwei Hochbeete. Lara Karsten und Valentina Rocchi bereichern seit gut zwei Jahren das TauschRausch-Team und fühlen sich selbst bereichert. "Das Ambiente hier, mit all den Frauen, die sich gegenseitig glücklich machen, ist toll, und die Menschen, die hier mitmachen, sind inspirierend. Menschen, mit denen man sonst nicht in Berührung kommen würde", sagt die 27-jährige Valentina.
Punkt elf Uhr öffnen sich die Türen, Frauen jeden Alters strömen in den Raum. Am Empfang erklären Petra Franke und Andrea Leheleiter allen Neuen die Regeln: wo Mitgebrachtes abgegeben, Kleidung anprobiert werden kann, wo man Getränke und kleine Snacks findet. Alles ist kostenlos – Spenden sind willkommen. "Anfangs bin ich hergekommen, weil ich zu Hause ausmisten und hier Sachen abgeben wollte", erzählt Petra Franke, von allen Pitti genannt. Es gefiel ihr und sie engagierte sich selbst - mittlerweile auch beim Repair-Café und der Betreuung des Dingsbums-Regals, in dem Gebrauchsgegenstände von Geschirr bis zu Gesellschaftsspielen ihre Besitzer wechseln. "Dass dabei manchmal Stücke zurück in mein inzwischen ‚ausgemistetes‘ Zuhause wandern, ist der einzige kleine Haken an meinem Engagement", sagt sie schmunzelnd.
Die Taschen voller Frühling
Auch den Kundinnen gefällt es hier: "Hier kann man sich ein neues Kleidungsstück gönnen, ohne die Umwelt zu belasten", sagt Andrea Leheleiter. Der Versuchung, etwas Neues zum Anziehen besitzen zu wollen, erliege wohl jede Frau einmal. Der Nachhaltigkeit wegen radelt Jennifer Tißen immer wieder von der anderen Rheinseite zum Kleidertausch. Heute hat sie ihre Tasche mit "ökologisch guter" Frühlingskleidung gefüllt, das ist ihr wichtig. Wie ihr geht es den meisten Frauen um mehr als um neue Kleidungsstücke. Viele stehen beieinander, plauschen, genießen einen Kaffee.
TauschRausch“-Besucherinnen mit ihren Fundstücken.Barbara Allebrodt
Ehrenamtlicher Fulltimejob
Der Mann, der diese Gemeinschaft angestoßen und dafür gesorgt hat, dass sie vielfältig und lebendig geworden ist, sitzt im gemütlichen Außenbereich. Günter Michael Schmitt, von allen Günni genannt, hat "Schmitzundkunzt" gegründet und firmiert als Vorsitzender des Vereins. "2018 habe ich ein Atelier gesucht und ein ehemaliges Hausmeisterbüro im Stadtteil Sülz gefunden. Für mich allein war es zu groß, so kam die Idee auf, es mit anderen zu teilen. Bald waren wir so viele, dass wir Garagen dazumieten mussten", erzählt der 63-Jährige. Dann entstand die Idee, Werkzeuge, die nicht genutzt werden, zu verleihen, heute umfasst der Verleih mehr als 2000 Artikel. "Schmitzundkunzt" ist für Schmitt ein - ehrenamtlicher - Fulltimejob geworden, der ihn sieben Tage die Woche täglich zehn Stunden und mehr beschäftigt. Sei es vor Ort oder daheim, um E-Mails zu beantworten, Organisatorisches zu regeln oder Förderungen zu beantragen. Angetrieben ist er von der Idee, "immer wieder dazu zulernen, auch, was das Thema Nachhaltigkeit angeht, und mit grundverschiedenen Menschen zusammenzukommen, die man sonst nicht treffen würde". Und auch von dem Gefühl, "es jedem Vereinsmitglied, jeder Besucherin, jedem Förderer schuldig zu sein".
Schmitzundkunzt“-Gründer Günni hat alle Hände voll zu tun.Barbara Allebrodt
Günni, so beschreiben es alle hier, sei immer ansprechbar, offen für neue Ideen und er finde Wege, diese auch umzusetzen. Und noch etwas ist ihm wichtig: "Diese Art von Initiative tut wirklich etwas gegen Vereinsamung in der Gesellschaft." Wie etwa das tägliche Format "Klönschnack", das Hartwig Prüßmann, Mitglied im erweiterten Vorstand, anbietet. Hier können sich Neugierige über die Initiative informieren, doch oft kommen die Menschen einfach, um mit jemandem zu sprechen. "Sie müssen sich dann erstmal alles von der Seele reden, da braucht man Geduld. Wenn sie dann bei uns mitmachen, ihre Erfolgserehnisse haben, merkt man, wie sie ruhiger werden." "Schmitzundkunzt" sei, so fügt er hinzu, wie "ein großer Clan", der alle aufnehme. Und der Familie auch an Weihnachten die Tür öffne. Bereits zweimal haben gut 100 Menschen hier gemeinsam bei Kuchen, Würstchen und Kartoffelsalat Heiligabend gefeiert.
Großfamilie für alle
Nach zwei Stunden ist der Kleider-"TauschRausch" beendet, der Raum in kürzester Zeit wieder aufgeräumt. Denn am nächsten Morgen öffnet hier das Repair-Café. Da schraubt dann der Ehrenamtliche Sigl, den sie hier laut Pitti "Nähmaschinen-Gott" nennen, weil er "jede Nähmaschine wieder hinbekommt". Paul schleift Messer, das Gerät dazu hat er extra besorgt. Ehrenamtliche Helferinnen bessern Kleidungsstücke an der Nähmaschine aus, und hinten in einer Ecke reparieren Peter und Tom Haushaltsgeräte. Eine Mikrowelle haben sie bereits hinbekommen, die Besitzerin war extra aus Düsseldorf angereist. Gerade schrauben sie an einem Wasserkocher, dessen Besitzer muss sich allerdings gedulden – es fehlt ein Ersatzteil.
Warum wegwerfen, wenn man es gemeinsam reparieren kann?Barbara Allebrodt
Währenddessen tauschen draußen im Hof Besucherinnen Pflanzen. Auch hier ist das Tauschen Mittel zum Zweck. Hier reden alle miteinander, egal ob Stammgast oder Neuankömmling. So wie Sara und Ja. "Ich wollte schon lange einmal herkommen", sagt Sara, weil sie liebend gern Gemüse und Kräuter zieht. Die mitgebrachten Rucola- und Paprikapflanzen hat sie gegen Minze, Erdbeere und Aloe Vera getauscht.
Die beiden jungen Frauen fühlen sich wohl bei "Schmitzundkunzt". In könnte sich vorstellen, hier Kurse im gestalterischen Bereich anzubieten. Und Ermöglicher Günni erklärt ihr, wie das funktionieren könnte. Hier ist Kennenlernen einfach. Die Gemeinschaft empfängt mit offenen Armen. Das ist wunderschön - und heute wichtiger denn je.