Besuchshund Camino: Wie tiergestützte Therapie Einsamkeit lindert
Begleithund Camino und sein Herrchen Christian ScharfAndreas Reeg
Einmal im Monat ist Camino Stargast bei der Fuldaer Tagesgruppe St. Joseph. Denn er kann kleine Kunststücke und weiß vor allem, was Menschen brauchen. Dafür ist er in die Schule gegangen - wie sein Herrchen.
Spätestens, wenn Camino um diese letzte Ecke biegt, weiß er, wo es hingeht. Dass er heute Lust auf seine Fans dort hat, spüre ich daran, wie er mich an der Leine zieht. Zielstrebig geht es durch die automatischen Türen der Eingangshalle und hinter dem Treppenhaus scharf links. Dort wartet die Tagesgruppe St. Joseph, und das bedeutet "Showtime". Nein, so ekstatisch laut wie bei einem Rockkonzert werden wir nicht empfangen. Aber das Raunen schwillt an, als wir den Raum im Caritas-Haus St. Elisabeth betreten. Barbara, Doris, Gerhard, Kerstin, Rainer und Sandra freuen sich auf, nun ja, vor allem auf Camino. Neun Gäste der Tagesgruppe und zwei Betreuerinnen sitzen im Kreis und sind gespannt, was nun passiert. Alle hier sind im Rentenalter, haben mit Einschränkungen zu kämpfen und kommen zur Tagesgruppe, weil sie hier gemeinsam und damit weniger einsam sind. Unser regelmäßiger Besuch ist unter den Betreuten sehr beliebt. Zur Begrüßung gehe ich mit Camino reihum und sehe in leuchtende Augen. Ich achte darauf, dass Camino zum Wiedererkennen an der Hand schnuppern darf, und wer will, kann ihn streicheln. Camino begrüßt alle nacheinander, wedelt mit dem Schwanz, hat "Verständnis", wenn jemand vorsichtig ist und lieber zurückweicht, lässt sich von den Mutigeren kraulen, und er hält auch still, wenn dabei jemand mal etwas robuster ins Fell greift. Ich spüre dann aber seine Anspannung, greife vorsichtig ein, führe die streichelnde Hand und erkläre, wie man es richtig macht, ohne dabei am Fell zu reißen. Camino macht intuitiv vieles richtig. Dennoch mussten wir beide dafür zuerst die Schulbank drücken. Die Anforderungen für diese "itergestützte Arbeit", wie es bürokratisch heißt, sind groß: Erst einmal wartete auf Camino der Eignungstest. Er sollte die Grundbefehle wie "Sitz" schon beherrschen, zeigen, dass er gehorchen und sich bei Begegnungen mit anderen Hunden benehmen kann, zudem Fremden gegenüber nicht aggressiv auftritt.
Am Anfang stand der Eignungstest
Aber auch an mich hatten die Trainerinnen von der Hundeschule Fragen: Warum ich eigentlich Camino zum Besuchshund ausbilden lassen wolle? Und wo ich uns als Team am ehesten sehe? Sollten es eher Einzelbesuche bei Senior:innen sein oder trauten wir uns auch Besuche von Gruppen, zum Beispiel in der Grundschule oder eben in Wohnheimen zu? Je nach Zielvorgabe der Hund-Mensch-Teams variiert der Schwerpunkt der Fortbildung. Camino lernte, wie er am besten neben einem Rollstuhl läuft. Genauso wie er sich neben einem Pflegebett auf ein Podest ablegt, damit auch ein bettlägeriger Patient ihn berühren kann. Bei den Unterschieden ist die Aufgabe der Besuchshunde jedoch letztendlich immer die gleiche: Nimm die Menschen vorbehaltlos an und sei ihnen nahe. Das aber war Camino von Anfang an klar. Damit jeder Besuch Abwechslung bei "unseren" Besuchten bringt, haben wir stets ein paar Kunststücke in petto. So kann Camino einen Schaumstoffwürfel mit der Nase stupsen und würfeln. Er kann Bälle fangen, eine Decke ausrollen und das dort versteckte Leckerli aufspüren. Heute starten wir nach der Begrüßungsrunde mit dem Hütchen-Spiel: Camino findet zielstrebig den einen Blumentopf von dreien, unter dem wir etwas für ihn versteckt haben. Dann darf sich Camino ausruhen. Und wir Menschen tauschen uns aus: Was gab es so Erzählenswertes in den letzten Wochen? Ich berichte, dass Camino in eine Glasscherbe getreten war und ein paar Tage nur mit Verband vor die Tür durfte. Camino döst derweil völlig entspannt mitten im Stuhlkreis. Ist er mal gestresst, verzieht er sich eher hinter meinen Stuhl und dreht Gruppen den Rücken zu, was so viel heißt wie "Lasst mich jetzt bloß in Ruhe".
Früher war Camino ein Halbstarker
Und bekommt ein Leckerli. Zufrieden legt er sich wieder ab, bettet seinen Kopf auf den Vorderpfoten und blickt Doris an. "Jetzt betet er", sagt Doris andächtig. "Wenn Hunde so die Vorderpfoten zusammenlegen, beten sie", sagt sie überzeugt. Ja, warum eigentlich nicht. Vielleicht spricht Camino tatsächlich in solchen Momenten ein Dankesgebet, dass er es so gut getroffen hat: als Welpe von der rumänischen Landstraße gefischt, über den Tierschutz in ein hessisches Tierheim und noch als Halbstarker in ein richtiges Zuhause gekommen, dazu noch eine sinnvolle Aufgabe als Besuchshund. Camino wird geliebt und revanchiert sich, indem er das tut, was er perfekt kann - nämlich seinem Umfeld signalisieren: "Das Leben ist doch toll, du bist auch toll, und ich mag dich!"
Heute ist "indoor" alles im grünen Bereich. Wir sprechen so angeregt miteinander, dass Camino bis zum Schluss inmitten der Senior:innen liegen bleibt. Es reicht, dass er einfach da ist. Dann aber hat Doris noch eine Bitte. Sie möchte Camino gerne "Sitz" machen lassen. Camino hört den Befehl, guckt mich an. Ich mache die entsprechende Handbewegung nach oben. Brav setzt sich Camino.