Wo es bei der digitalen Teilhabe klemmt
Gibt es ein Leben ohne Internet?
Möglich ist es schon. Die Frage ist nur, wie gut es sein wird. Die Möglichkeiten zur Teilhabe sind eingeschränkt, wenn man eine Kulturtechnik nicht beherrscht, etwa Lesen und Schreiben. So wird es jetzt auch mit dem Internet: Das Leben wird dann sehr mühsam.
Hat das Thema mit Scham zu tun?
Wenn man sich sein Leben lang gut zurechtgefunden hat - Arzttermine vereinbart, Fahrkarten gekauft, die Steuererklärung gemacht hat - und jetzt feststellt, dass man für all das demnächst Hilfe in Anspruch nehmen muss, fühlt man seine Lebenserfahrung entwertet. Natürlich ist das schambesetzt. Mehr noch, es wird als Entmündigung empfunden.
Haben nicht alle ein Recht auf Teilhabe - Internet hin oder her?
Teilhabe ist ganz wichtig, gerade auch im Alter. Die digitale Technik ermöglicht ja vieles, was das Leben erleichtert und bereichert. Gerade Ältere können von Digitalisierung profitieren, denn ihre Dienstleistungen sind jederzeit an jedem Ort verfügbar. Wenn man nicht mehr so mobil ist, ist das ein Segen. Deshalb ermuntern wir ältere Leute, sich damit auseinanderzusetzen. Wir wollen Digitalisierung nicht abschaffen, sondern Zugänge ermöglichen - für alle Menschen.
Was sind die Hürden für die Nutzer?
Eine Dauerhürde ist, dass die Technik sich andauernd ändert. Alle paar Tage haben wir ein Update auf dem Handy. Es müsste vernünftige Standardisierungen für die Oberflächen geben - Standardisierungen, die wir bei Industrieprodukten selbstverständlich haben, weil wir wollen, dass die Menschen sie einfach und intuitiv bedienen können. Eine weitere Hürde: schlechte Digitalisierung. Oft bleibt die Software, mit der wir da umgehen sollen, weit hinter dem zurück, was die Technik erlauben würde.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Wenn man eine Schwimmbadkarte braucht und das geht nur übers Internet: Findet man eine schlechte App dafür vor, macht man bei der Dateneingabe leicht Fehler und muss von vorn anfangen. Das hat nichts mit Digitalisierung an sich zu tun, sondern mit der Tatsache, dass es schlecht gemachte Digitalisierung ist.
Wo hakt es laut Ihrer Studie?
Der größte Teil der Beschwerden bezieht sich auf den öffentlichen Dienst. Die Steuer-App oder die Anmeldeverfahren bei Corona-Impfungen sind Beispiele. Genannt wurden auch Online-Terminvergaben beim Arzt oder die reduzierten Filialen bei Banken und Sparkassen. Was die Leute ebenfalls stört: Bei der Bank oder Post kann man zwar analoge Lösungen bekommen - die kosten aber oft Geld.
Sie würden sagen, dass es analoge Möglichkeiten geben muss?
Natürlich muss es sie geben. Unser Grundsatz lautet: Solange nicht alle problemlos Zugang zur digitalen Technik haben, müssen die öffentlichen Anbieter analoge Lösungen bereithalten, zum Beispiel analoge, also menschliche, Ansprechpartner.
Was ist zusätzlich zur Verbesserung der Technik noch zu tun?
Wir haben bei der Bundesregierung den "Digitalpakt für Ältere" angestoßen, um den Menschen mehr Qualifizierung anzubieten. Wir müssen aber auch bei den Herstellern, Anbietern und Entwicklern von Apps mehr Verständnis für die Nutzersicht entwickeln. Und: Zugangsprobleme sind vielfältig: Menschen auf dem Land sind ganz anders benachteiligt als die Menschen in der Stadt. Wer materiell schlecht dasteht, muss sich die Technik erstmal leisten können. Viele haben zudem Schwellenängste gegenüber Bildungseinrichtungen, da sie schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht haben.
Wie sind diese Leute zu erreichen?
Zum Beispiel über etwas, das sie täglich nutzen - das Fernsehgerät. Die Grundkompetenzen für die Digitalisierung könnte man mit Hilfe kleiner Filme vermitteln: Was ist ein Link? Was ist ein Screenshot? - So wie früher beim "Siebten Sinn" zur Verkehrssicherheit. Diese Videoclips haben eine ganze Generation mit Informationen versehen. Schweden macht das auch für die Digitalisierung. Dort gibt es schon eine zweite Staffel.
Was geben Sie Älteren mit?
Sie sollten sich nicht entmutigen lassen und von den öffentlichen Verwaltungen verlangen, dass diese Dienstleistungen auch analog anbieten, solange die Technik unzugänglich ist. Solange die Bürger das gelassen hinnehmen, ändert sich nichts. Sie müssen laut werden, nur dann kann sich in der Gesellschaft etwas verbessern.