Zwei Frauen stricken die Welt ein bisschen besser
Mit Engeln ist das so eine Sache. Wenn sie nicht gerade in der Bibel oder im Fernsehen vorkommen, erkennt man sie nicht immer. Bei den Wollengeln aus Düsseldorf ist das anders. Die Obdachlosen und Bedürftigen aus der Düsseldorfer Altstadt begrüßen Tanja Elle (43) und Sabine Schmitz (52) mit Freude, wenn sie wieder einmal mit dem Gute-Nacht-Bus unterwegs sind, um selbst gemachte Mützen, Schals, Socken und Handschuhe für die kalten Winternächte zu verteilen.
"Die Menschen fragen uns oft ganz ungläubig: ,Das hat jemand für uns gestrickt? Darf ich mir jetzt etwas aussuchen?‘ - Allein, dass sie nichts zugeteilt bekommen, sondern entscheiden, welcher Schal ihnen gefällt, berührt sie. Viele schämen sich auch", erzählt Tanja Elle. Sie fährt alle zwei Wochen mittwochs mit dem Gute-Nacht-Bus einer örtlichen Initiative mit, der jeden Abend an festen Stellen in Düsseldorf hält, Lebensmittel, Schlafsäcke - und eben auch Selbstgestricktes verteilt.
Vor gut drei Jahren hat die Bürokauffrau und Mutter dreier Kinder für das Projekt der Wollengel die Maschen aufgenommen. "Ich bin eine leidenschaftliche Strickerin, aber irgendwann hatte ich die ganze Familie eingestrickt. Da kam mir auf dem Sofa vor dem Fernsehen die Idee, Schals und Mützen für Obdachlose zu stricken. Ich machte mich auf die Suche nach einer Organisation, die das anbietet, und fand keine."
Elle holte ihre Freundin Sabine Schmitz zur Hilfe, die zwar nicht strickte, aber "Büro konnte". Sie suchten Gleichgesinnte, knüpften erste Kontakte und gründeten im Juni 2020 als gemeinnützigen Verein die Düsseldorfer Wollengel. Aus dem "Hirngespinst" auf dem Sofa ist inzwischen ein weit verzweigtes, straff organisiertes Netzwerk geworden, dessen Leitfäden Tanja Elle und Sabine Schmitz in den Händen halten: Mehr als 20.000 handgefertigte Sachen haben sie seit ihrer Vereinsgründung verteilt. Der Verein hat rund 210 Mitglieder plus unzählige fleißig strickende und häkelnde Helferlein sowie Wollspender jenseits von Düsseldorf. Sie arbeiten unter anderem mit der Armenküche, einem Straßenmagazin, der Drogenhilfe, den Tafeln der Caritas und vielen mehr zusammen.
Von der Idee zum sozialen Start-up
Wer Patentmuster und Stabmaschen kann, hat offenbar auch ein Händchen für Logistik und Organisation. Inzwischen haben die Wollengel eine Struktur wie ein Unternehmen: Sie erhalten Handarbeiten und Wolle als Spenden - per Paket oder per eigens eingerichtetem Wolltaxi. Die Spenden werden gesammelt und an Sortiertagen geordnet. Die Gründerinnen verschicken Wolle an die Handarbeiterinnen. Sie organisieren die Ausgabe der wärmenden Schals, Socken und auch Decken. Sie treffen sich in Handarbeitszirkeln. Sie knüpfen Kontakte mit Hilfsorganisationen. Sie rufen zu Sonderaktionen auf. Sie netzwerken über Instagram (mehr als 2000 Follower) und Facebook (mehr als 1000 Gruppenmitglieder).
Kaum etwas überlassen die beiden Düsseldorferinnen dem Zufall: Es gibt Bring- und Abholservices für Wolle und Fertiges in der ganzen Region. Sie haben eine Packstation eingerichtet. Die Paketaufkleber kann man sich auf ihrer Homepage ausdrucken. Die Arbeit ist klar verteilt: Tanja macht Instagram, Sabine Facebook. Eine Bekannte holt die Pakete bei der Packstation, eine andere kümmert sich um den Mailverkehr, einmal im Monat ist Teamsitzung.
Schnell wurde Elle und Schmitz klar, dass sie auch in anderen Dimensionen denken und lagern müssen. Anfangs sammelten sie die Pakete mit Wolle und Selbstgemachtem noch bei sich zu Hause. Inzwischen haben sie einen großen Keller in einem Gewerbegebiet angemietet, in dem die sauber beschrifteten Kisten die Regale füllen: Decken, Mützen, Schals, Loops, Handschuhe, Socken - nach Größe sortiert mit Banderolen und Vereinslogo - Wolle nach Farben und Garn geordnet. Und es gibt eine lange Wand voller Dankschreiben, von handbekritzelten Zettelchen bis zu Weihnachtskarten.
Im Regal stehen auch - bereits gepackt mit selbst gestrickten Mützen, Handschuhen, Süßigkeiten - die Adventstüten für eine Drogenberatungsstelle. "Sie sind für die Kinder von suchtbelasteten Eltern", erklärt Sabine Schmitz.
Ihr Hilfsradius hat sich seit der Gründung rasant vergrößert: Für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal haben sie kistenweise gesammelt und gespendet. Ebenso für die Menschen in der Ukraine. "Bei dem Gedanken, dass wir unsere Socken ukrainischen Soldaten im Krieg schicken, muss ich immer noch schlucken", sagt Schmitz. Inzwischen gibt es auch weitere Spendenaktionen, bei denen die Wollengel mit ihren Geldern Schlafsäcke kaufen und die Aktion "Sommer im Rucksack" finanzieren. 600 Rucksäcke - gefüllt mit Deo, Duschgel, Zahnpasta, Zahnbürste, Wasserflasche, Cappy, Handtuch und vielem mehr - im Wert von 12.000 Euro waren es in diesem Jahr.
Fokus soll weiterhin auf Hilfe für Obdachlose bleiben
Die Hilfe für Obdachlose sei das Herzstück ihrer Arbeit. "Da nimmt jemand in seinem Leben an einer Kreuzung die falsche Abbiegung, und dann steht man ganz schnell auf der Straße. Mich macht es traurig, wenn über die Menschen so schnell geurteilt wird. Es sind nicht einfach Penner oder Junkies. Jeder hat eine Lebensgeschichte", sagt Elle.
Bei den Gute-Nacht-Bussen finde man auch viele ältere Leute, erzählt Schmitz. Überhaupt kommen viele zu den Anlaufstellen: 120 Menschen etwa pro Station. "Wir befürchten, dass es im Winter noch mehr werden", sagt Schmitz angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten und Energiepreise. Und die Wollengel werden weiter an schneller Hilfe stricken.