Ukrainische Psychologin berät Landsleute
"Ich versuche, meinen Klienten Mut zu machen, indem ich ihnen sage: Das Glas ist halbvoll." Mit diesen Worten bringt Ganna Savchenko ihre Beratungsarbeit zum Wohl geflüchteter Menschen aus der Ukraine auf den Punkt. Es gehe darum, ihnen zu vermitteln, "dass sie zum Beispiel eine neue Sprache und Kultur mit anderen Menschen kennenlernen können und nicht nur etwas aufgeben mussten". Ganna Savchenko kam selbst bereits vor zehn Jahren aus der Ukraine nach Deutschland. Sie studierte hier Psychologie. Seit fünf Jahren berät sie bei der Caritas-Erziehungsberatungsstelle Nürnberg-Langwasser Russisch und Ukrainisch sprechende Menschen mit Migrationshintergrund. Seit der Invasion russischer Truppen in ihrem Heimatland widmet sie sich zudem den Kriegsflüchtlingen von dort. Ihr bisheriger Stellenumfang von zehn Stunden wurde dafür zunächst bis Ende November dieses Jahres auf 20 verdoppelt - mit Spendenmitteln aus der Caritas-Sammlung im Bistum Eichstätt (Stand: September 2022). Sie hofft, dass ihre Stelle anschließend zumindest auch mit dem derzeitigen Stundenkontingent fortgeführt wird. "Denn es suchen mich immer mehr neue Klienten auf, und auch die, die schon länger kommen, bleiben bei mir in der Beratung."
"Zustrom" weiterhin hoch
Besonders viele geflüchtete Menschen aus der Ukraine sind Ganna Savchenko zufolge im März unmittelbar nach Kriegsbeginn zu ihr gekommen. "Das waren vor allem jene, die hier bei Verwandten und Freunden unterkamen, die bereits Kontakt zu unserer Beratungsstelle hatten." Doch auch derzeit sei der "Zustrom" an neuen Flüchtlingen weiterhin hoch. Denn inzwischen hat sich das Angebot herumgesprochen und es wurde mit Flyern sowie im Internet bekanntgemacht. Rund ein Drittel ihrer Fälle sind inzwischen ukrainische Kriegsflüchtlinge, "und da diese wegen der akuten Belastungen intensivere Betreuung benötigen, nehmen sie rund 70 Prozent meiner Beratungszeit in Anspruch". Von den Klienten der Erziehungsberatungsstelle insgesamt habe sich deren Anteil von Ende Juni mit 6,4 Prozent bis heute verdoppelt. Aktuell werden bei der Beratungsstelle nach eigenen Angaben rund 25 ukrainische Familien betreut.
Die Familien, die Ganna Savchenko aufsuchen, haben unterschiedliche Anliegen und Erfahrungen. Da ist zum Beispiel eine 43-jährige alleinerziehende Mutter, die zusammen mit ihrem achtjährigen Sohn und dessen Oma nach Nürnberg geflüchtet ist. Die Familie hatte es in der Ukraine schon schwer, weil der Sohn unter einer Entwicklungsverzögerung leidet und seine Oma kurz vor der Flucht einen Schlaganfall hatte. Sie mussten mehrere Tage im Keller einer Schule verbringen, von wo aus sie Luftangriffe hörten. Drei Tage lang hatten sie dann eine stressige Zug- und Busfahrt mit wenig Schlaf und Essen, bevor sie zuerst in einer Sporthalle und schließlich in einem Flüchtlingsheim unterkamen. Die Familie ging davon aus, nur einige Wochen in Deutschland zu bleiben. "Nun fließen beim Beratungsgespräch oft Tränen. Die Oma ist depressiv geworden, und die Mutter wirkt müde und gestresst", berichtet die Psychologin. Eine andere Mutter kam mit ihren beiden Kindern direkt nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu ihrer Schwester nach Nürnberg. Die 14-jährige Tochter entwickelte aufgrund von massiven emotionalen und körperlichen Belastungen eine Tic-Störung am Auge. Eine Desensibilisierung hat ihr hier geholfen. Ebenso, dass sie ihre Ängste in der Beratung bei Ganna Savchenko malen konnte. Diese Familie möchte in Deutschland leben. Allerdings weiß sie nicht, wie lange der Vater noch in der Ukraine bleiben muss.
Ressourcen stärken
"Bei mir können die Menschen endlich einmal kurz durchatmen", sagt die Caritas-Mitarbeiterin. Sie hat vor allem ein offenes Ohr für die Fluchtgeschichten. Die Flüchtlinge sind froh, dass sie jemand in ihrer Muttersprache anhört. "Gefühle lassen sich viel besser in der eigenen Sprache ausdrücken. Unsere Beratungsstelle wird manchmal zur zweiten Heimat der Betroffenen, da sie hier Verständnis finden und Vertrauen aufbauen." In den Gesprächen geht es zum einen um praktische Dinge wie den Kindergarten oder die Schule für die Kinder. Zum anderen um tiefgründige Themen wie die Trennung vom Ehepartner, der in der Ukraine zurückgeblieben ist, oder um existenzielle Fragen. Die Psychologin versucht, die Ressourcen der Geflüchteten zu stärken, fragt, was diese gerne tun und gut können, damit sie ihre Stärken auch gut im neuen Umfeld nutzen können.
Bei Kriegstraumata vermittelt die Caritas-Mitarbeiterin die Menschen zu Psychotherapeuten, die ebenfalls ukrainisch oder russisch sprechen. "Allerdings bekommen sie dort oft erst nach langer Wartezeit einen Termin", bedauert Ganna Savchenko. Neben den Kriegs- und Fluchterlebnissen geht es auch um die Themen, wegen denen eine Erziehungsberatungsstelle grundsätzlich aufgesucht wird: "Beziehungs- und Verhaltensprobleme, Entwicklungsverzögerung, Schulschwierigkeiten oder Familienthemen. Da habe ich die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine übernommen", so die Psychologin. Ein grundlegender Schwerpunkt ihrer Arbeit ist aber immer das vielfältige und komplexe Thema Integration.
Dankbarkeit als Motivation
Grundsätzlich empfindet es Ganna Savchenko als "belastend, so eine hohe Konzentration von Leid und Trauer zu bearbeiten, doch ich habe hier Gott sei Dank ein gutes Team, mit dem ich über alles sprechen kann". Motivation schöpft Ganna Savchenko immer wieder aus der Dankbarkeit der Geflüchteten, die diese ihr gegenüber zeigen. "Ich bin froh, dass ich den Menschen helfen kann."
Kontakt:
Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, Giesbertsstraße 67b, 90473 Nürnberg, Telefon 0911 8001109, E-Mail: erziehungsberatung@caritas-nuernberg-sued.de, Internet: www.erziehungsberatung-nuernberg-langwasser.de