Teilhabechancen-Gesetz ermöglicht mehrjährige Förderung
Sozialcourage: Arbeitgeber suchen gerade händeringend nach Arbeitskräften und finden kaum noch jemanden. Warum braucht es geschützte Arbeitsgelegenheiten und bezuschusste Jobs?
Claire Vogt: Es gibt nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte auf dem Markt, sondern auch Menschen ohne Berufsabschluss oder solche, die sich beispielsweise um ihre kleinen Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen. Manche können aus gesundheitlichen Gründen nicht (mehr) voll arbeiten. Und auch die berüchtigten Lücken im Lebenslauf lassen viele Arbeitgeber von einer Einstellung absehen. Je größer eine solche Lücke ist, desto geringer sind die Chancen, wieder in Arbeit zu kommen.
Je nach Zählweise gibt es in Deutschland zwischen 100.000 und 200.000 Personen, die trotz der guten Situation am Arbeitsmarkt wegen fehlender Berufsabschlüsse oder wegen gesundheitlicher oder sonstiger Einschränkungen ihrer Arbeits- und Leistungsfähigkeit nicht am Arbeitsleben teilhaben. In manchen Regionen Deutschlands herrscht zwar nahezu Vollbeschäftigung, aber die Zahl der Menschen, die zum Teil schon jahrelang im ALG II verharren, wird nicht kleiner.
Seit vielen Jahren bietet die Caritas langzeitarbeitslosen Menschen Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten an. Weshalb brauchte es ein neues Teilhabechancen-Gesetz?
Mit dem Teilhabechancen-Gesetz wird ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet. Alle, die mal eine vom Jobcenter geförderte Maßnahme gemacht haben, haben das erlebt: Man fängt neu an, arbeitet sich ein und sobald man weiß, wie der Hase läuft, endet die Förderung. Auch wenn eine Verlängerung möglich ist, droht doch immer das baldige Ende wie ein schwarzes Loch, in das man dann wieder zurückfällt.
Es gab in den letzten Jahren zahlreiche befristete Programme und Projekte, in denen viel ausprobiert und wissenschaftlich ausgewertet wurde. Nun hat die Bundesregierung das neue Instrument "Teilhabe am Arbeitsmarkt" ins Gesetz geschrieben, das erstmals eine mehrjährige Förderung ermöglicht.
Wer profitiert von den neuen Gesetzesregelungen? Wer wurde bisher nicht ausreichend gefördert?
Das neue Instrument nimmt ganz gezielt diejenigen in den Blick, die ohne Unterstützung keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Es geht um Menschen, die zum Teil noch nie einen sozialversicherungspflichtigen Job hatten. Die Anforderungen an Arbeitnehmer sind heutzutage hoch: Neben der fachlichen Qualifikation werden viele sogenannte Soft Skills erwartet, also Teamfähigkeit, Flexibilität, selbstständiges Arbeiten etc. Für manche der potenziellen Teilnehmer ist aber schon das tägliche Erscheinen zu einer bestimmten Uhrzeit eine Herausforderung. Hier braucht es vor allem Zeit, um diese Dinge einzuüben.
Das war wegen der Befristungen bisheriger Maßnahmen oft nicht ausreichend möglich. Auch das verpflichtende Coaching ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Es bietet die Möglichkeit, Missverständnisse frühzeitig zu klären, gegenseitige Erwartungen zu kommunizieren und damit zur Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses beizutragen. Das haben die Evaluationen einiger regionaler Arbeitsmarktprogramme gezeigt.
Gibt es auch Verschlechterungen für die Klient(inn)en der Caritas?
Es ist der Wille des Gesetzgebers, dass
auch diejenigen teilnehmen können,
die zuvor im Rahmen der "Förderung
von Arbeitsverhältnissen" (§ 16 e SGB II
alt) oder des Bundesprogramms "Soziale
Teilhabe am Arbeitsmarkt" gefördert
wurden. Leider besteht aber kein
einklagbarer Anspruch darauf.
Wie die Möglichkeiten des Teilhabechancen-Gesetzes konkret genutzt werden, hängt entscheidend von den Beteiligten vor Ort ab. Vor allem ist das Jobcenter zu nennen, das die Schwerpunkte in seiner Förderpolitik entsprechend den regionalen Gegebenheiten setzen kann.
Es gibt aber auch auf der gesetzlichen
Ebene eine Lücke: Die Zielgruppe des
neuen Instruments ist wegen der langen
Bezugsdauer sehr eng. Die Caritas hatte
sich für eine breitere Zielgruppe stark gemacht.
Zwar haben Menschen mit Behinderung
und solche, die mit kleinen
Kindern zusammenleben, einen etwas
leichteren Zugang. Es gibt aber auch
Menschen, die ebenfalls sehr arbeitsmarktfern
sind, aber "erst" seit drei oder
vier Jahren ALG II beziehen. Sie haben
gesundheitliche Probleme, eine Suchterkrankung,
keinen Schul- oder Berufsabschluss,
sind überschuldet oder pflegen
zum Beispiel Angehörige.
Wie können Ehrenamtliche langzeitarbeitslose Menschen unterstützen?
Die Gruppe der ALG-II-Beziehenden ist sehr heterogen. Jeder hat seine eigene Geschichte und folglich ist auch der Unterstützungsbedarf sehr unterschiedlich. Manche Menschen wären froh, wenn sie nicht allein zum Jobcenter müssten und sie jemand zum nächsten Termin begleitet. Andere können die seitenlangen Bescheide in schönstem Behördendeutsch kaum verstehen und nicht genau erkennen, was konkret entschieden wurde oder was von ihnen verlangt wird. Manche wissen nicht um Möglichkeiten, sich zu wehren, etwa mittels Widerspruch. Oder ihnen fehlen der Mut und das Durchhaltevermögen.
Zuhören, die Menschen ernst nehmen mit ihren Wünschen und Vorstellungen vom eigenen Leben, vom nächsten Schritt, den sie konkret planen - hier wünschen sich viele Unterstützung. Das sind gleichzeitig Forderungen, die die Caritas immer wieder an die Mitarbeitenden im Jobcenter richtet. Dort läuft einiges grundlegend schief, weil das Gesetz auf dem Bild des faulen Schmarotzers fußt, das lange Zeit die öffentliche Meinung prägte.
Aber auch in Jobcentern, die eine andere Haltung einnehmen, können die Mitarbeitenden ihre "Kund(inn)en", wie man so schön sagt, nicht bis nach Hause begleiten. Die Zuständigkeiten zwischen Ämtern werden oft sehr strikt eingehalten. Wer mit mehreren Stellen zu tun hat, verliert leicht den Überblick. Und umgekehrt wissen manche nicht um alle Leistungen, die ihnen möglicherweise zustehen. Ehrenamtliche könnten hier eine Art Lotse sein.
Sind die Caritas-Angebote Konkurrenten für Handwerk und Gewerbe?
Jeder Arbeitgeber kann den Lohnkostenzuschuss erhalten, wenn er eine förderfähige Person einstellt. Das Gesetz sieht an dieser Stelle - anders als bei den bekannten Ein-Euro-Jobs - keine Beschränkung vor. Bei der Festlegung der Tätigkeitsfelder haben zudem die Sozialpartner in den örtlichen Beiräten der Jobcenter die Aufgabe, zu möglichen Wettbewerbsverzerrungen Stellung zu nehmen. Tatsächlich zeigt die Erfahrung aus den Programmen der letzten Jahre, dass private Unternehmen oft schwer zu motivieren sind, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Vielleicht ist das verpflichtende Coaching im neuen Instrument der entscheidende Faktor, denn damit steht auch für die Arbeitgeber ein Ansprechpartner zur Verfügung, der die konkrete Situation gut kennt und schnell helfen kann.