Probier’s mal mit Genügsamkeit
Wer viel Geld hat, muss viel Klima schützen", lautet eine zentrale Forderung in der aktuellen Jahreskampagne "Klimaschutz, der allen nutzt" des Deutschen Caritasverbandes (DCV). Sie bezieht sich auf die Tatsache, dass der CO2-Ausstoß und damit der Beitrag zur Klimakrise proportional zu Einkommen und Vermögen steigt.
Die ärmere Hälfte der Welt lebt mit einem Klimafußabdruck von unter einer Tonne CO2 pro Person und Jahr klimagerecht und verursacht damit nicht die Umweltzerstörungen, die die Existenz der Menschheit bedrohen. Auch in Deutschland korreliert die Verursachung der Klimakrise mit sozioökonomischen Lebenslagen. Während die ärmere Hälfte der Bevölkerung das im Klimaschutzgesetz festgelegte Emissionsziel für das Jahr 2030 fast erreicht hat, steigen die Emissionen der Einkommensstärksten;
Klimaschutz muss daher auch bei den Emissionen dieser Gruppe ansetzen. Die offene Frage lautet, wie dies effektiv, effizient und sozial gerecht geschehen kann.
Säulen und Maßnahmen der Klimapolitik
Klimapolitik fußt auf Effizienz, Konsistenz und Suffizienz1 (S. auch Beitrag S. 9 in diesem Heft) und kann sich der politischen Werkzeuge des Ordnungsrechts, des Steuerrechts und der Förderprogramme/Infrastrukturförderung bedienen.
Unterzieht man die bisherige Klimapolitik einer Systematisierung entlang dieser Kriterien, fällt auf, dass Suffizienzmaßnahmen stark vernachlässigt sind.
Mit der im Juli 2022 abgeschafften EEG- Umlage und den verschiedenen CO2-Bepreisungsmodellen gibt es klimaschutzförderliche Instrumente im Steuerrecht.2 Auch Förderprogramme wie die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) oder die E-Auto-Prämie tragen zum Klimaschutz bei. Sie führen und führten bisher zweifelsfrei zu Effizienzerfolgen und zu Konsistenzbeiträgen, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien eindrucksvoll belegt. Das Ordnungsrecht hingegen ist häufig lückenhaft. Verbindliche Suffizienzmaßnahmen sucht man dagegen fast vergebens, obwohl diese den Energie- und Ressourcenverbrauch effektiv senken. So fehlt in Deutschland ein Tempolimit ebenso wie eine progressiv steigende Vielfliegerabgabe, ein Verbot von Inlandsflügen oder wirksame Maßnahmen zur Wohnflächenbegrenzung. Auch Auto-Abschaff-Prämien oder Förderprogramme bei gleichzeitiger Wohnflächenverkleinerung sind nicht Teil der Debatte.
Strategien sind ungenügend
Am Beispiel Mobilität wird deutlich, warum die bisherigen Strategien der Effizienz und Konsistenz auf der Seite der Bepreisung und Förderprogramme auf der anderen Seite nicht ausreichen, um die Klimaziele zu erreichen. Im Verkehr werden hohe Emissionen vor allem von einkommensstarken Haushalten verursacht, für die moderat steigende Preise keine Verhaltensänderung bewirken. Trotz starker Effizienzgewinne (effizientere Motoren, leichtere Bauteile …) sind die Emissionen durch die Steigerung des Pkw-Bestandes, stärkere Motoren, größere Autos und häufigere sowie längere Fahrstrecken nicht gesunken. Der stark geförderte reine Antriebswechsel hin zur E-Mobilität (Konsistenz) wird bei sonst gleichbleibenden Trends nicht ausreichen, den Ressourcen-, Energie- und auch Platzbedarf nachhaltig und mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel zu senken. Hierfür bedarf es der Reduktion des Pkw-Bestandes, der zurückgelegten Strecken sowie eines Wechsels hin zu anderen ökologischen Mobilitätsformen.3 Neben steigenden CO2-Preisen, dem Ausbau und der günstigen Preisgestaltung des ÖPNV braucht es wirksame Suffizienzmaßnahmen. Davon profitieren vor allem vulnerable und einkommensarme Personengruppen, da sie weit unterdurchschnittlich das eigene Auto nutzen (können).
Technischer Fortschritt, aber zu wenig Kapazitäten
Zeitnah wirksame Klimaschutzmaßnahmen werden in der öffentlichen Debatte immer wieder mit Verweis auf kommende techno-
logische Entwicklungen und damit verbundenen Effizienz- und Konsistenzpotenzialen ausgebremst - eine ungenügende Strategie. Zwar ist der technische Fortschritt in Bezug auf erneuerbare Energien bemerkenswert, höchst erfreulich und überaus wichtig. Ihre Nutzung zur Herstellung grünen Wasserstoffs und weiterer synthetischer Kraftstoffe wird ein wichtiger Baustein der ökologischen Transformation sein. Doch reichen die Kapazitäten in Deutschland bei weitem nicht aus, um den heutigen Energieverbrauch damit zu decken. Sobald Strom zum Speichern umgewandelt und über weite Strecken transportiert werden muss, gibt es hohe Umwandlungsverluste. Dies wird die Energie teuer machen und den Ressourcenhunger und Platzbedarf für Erneuerbare extrem in die Höhe treiben.
Ein hohes Maß an Energieautarkie ist nicht nur aus sicherheitspolitischen, sondern auch aus versorgungspolitischen und sozialen Gründen relevant. Je geringer der Energieverbrauch, desto geringer fällt die Abhängigkeit von anderen Ländern aus. Abgesehen davon müssen auch energieexportierende Länder zum Erreichen der weltweiten Klimaziele ihre Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen, was sie vor enorme Herausforderungen stellt.
Suffizienz in der Caritas
Eine systematische Analyse, an welchen Stellen Suffizienz in der Caritas ein wichtiger Pfeiler der Klimatransformation sein kann, hat noch nicht stattgefunden. Manche Stellschrauben wie eine Reduktion des Fleischkonsums in den Diensten und Einrichtungen oder der teilweise Ersatz von Dienstreisen durch Videokonferenzen sind leicht identifizierbar. Auch könnte die Lebensdauer technischer Geräte erhöht, Flachwäsche und Berufsbekleidung durch langlebige ökofaire Textilien oder mancher Firmenwagen auch bei Sozialstationen durch E-Bikes ersetzt werden. Doch auch grundlegendere Fragen sollten diskutiert werden. Wie sinnvoll ist es, dass Fahrzeuge unterschiedlicher Sozialstationen im selben Quartier/Dorf unterwegs sind? Eine Bündelung könnte den CO2-Ausstoß deutlich verringern. Welche sozialen Dienstleistungen lassen sich analog zur Telemedizin digital ressourcenschonender durchführen? Eine grundlegende Debatte könnte manches Potenzial eröffnen.
Verhetzungspotenzial gegen Suffizienzpolitik
Spätestens seit der Veggie-Day-Debatte4 im Bundestagswahlkampf 2017 ist das Verhetzungspotenzial von Suffizienzmaßnahmen deutlich. Politiker:innen versuchen seither, diese Debatte zu meiden. Verbotspartei, Klimawahn oder Ökofaschismus sind nur einige Etiketten, gegen die medial kaum ein Durchkommen mehr möglich scheint. Ein Weniger, Verzicht oder gar Verbote werden als inakzeptable Freiheitsberaubung und Rechteentzug dargestellt, gänzlich ohne Differenzierung. Weder wird zwischen (grundlegenden
Menschen-)Rechten und Privilegien unterschieden, noch werden die Risiken und Nebenwirkungen vermeintlicher Freiheitsrechte genauer analysiert. Darüber hinaus suggeriert die Debatte um Verzicht und Freiheitseinschränkung, dass im heutigen Status quo prinzipiell alle alles konsumieren können und Einschränkungen nicht hinnehmbar sind. Die Kernfrage der Suffizienz "Was brauche ich wirklich zum guten Leben?", wird nicht gestellt, stattdessen Ängste geweckt und geschürt. Die Alternative - eine außer Kontrolle geratene Klimakrise - wird ausgeblendet und somit wirkliches Abwägen und rationale Entscheidungen verhindert.
Verzicht ist Alltag
Unterzieht man das Freiheitsnarrativ einem Wirklichkeits-Check, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Für viele einkommensärmere Haushalte ist Verzicht ein ständiger Begleiter. Ein eigenes Auto kann sich die Hälfte der Haushalte in den unteren Einkommensgruppen nicht leisten, damit auch nicht die Fahrt am Wochenende ins Grüne oder den spontan organisierten Kurzurlaub über den Brückentag. Selbst wenn sie ein Auto besitzen, ist der Motorisierungsgrad gering. Ein Tempolimit würde sie nicht stören. Was öffentlich häufig als unzulässige Einschränkung von Freiheitsrechten empört diskutiert wird, ist für viele Menschen Realität - ganz ohne aufgeregte Debatte. Die Akzeptanz von Suffizienzmaßnahmen in repräsentativ ausgewählten Bürger:innenräten und Befragungen ist erstaunlich hoch, deutlich höher als die in den von der Regierung vorgelegten Klimaplänen.5
Letztendlich führt die Suffizienz und die damit verbundene Frage nach dem guten Leben für alle Menschen auch in die Auseinandersetzung mit Macht. Wer kann bestimmen, dass es für Jenny, die in der aktuellen Caritas-Kampagne stellvertretend für einkommensärmere Gruppen steht oder für Bürgergeldempfänger:innen (vermeintlich) zum Leben reicht, während dieser Lebensstil für andere als Zumutung und Freiheitseinschränkung deklariert wird? Warum ist "zu wenig" für manche Leute genug und für andere ist "zu viel" noch nicht genug? Wer hat durch ein "Weniger" tatsächlich (vermeintlich) zu verlieren? Und warum beanspruchen manche ein "Freiheitsrecht", durch ihr Verhalten die Lebensgrundlagen anderer Menschen zu zerstören? Jenny widerspricht und fordert zu Recht, dass alle ihren Beitrag leisten.
1. Exkurs: Was bedeuten Effizienz, Konsistenz und Suffizienz? Effizienz bedeutet: Energie besser nutzen. Ziel von Effizienz ist es, mit weniger Ressourcen den gleichen oder einen besseren Effekt zu erzielen. Was im Einzelnen funktioniert, führt jedoch nicht dazu, dass der Gesamtenergieverbrauch tatsächlich sinkt. Ganz im Gegenteil. Die Geräte werden effizienter, gleichzeitig aber auch größer (Kühlschränke), leistungsfähiger (Motoren in Pkw) oder zusätzliche Verbräuche finden statt (Saunen in energetisch sanierten Häusern), so dass der Gesamtenergieverbrauch nicht sinkt (Rebound-Effekt).
Konsistenz bedeutet: Produkte anders herstellen.
Ziel von Konsistenz ist es, Produkte herzustellen, welche die Umwelt weniger stark belasten. Wasserkraftwerke, Solaranlagen und andere erneuerbare Energien erzeugen Energie weniger klima- und umweltzerstörend als fossile Brennstoffe und sind in diesem Sinne konsistent. Auch dies führt häufig nicht zu sinkendem Ressourcen- und Energieverbrauch.
Suffizienz bedeutet: Weniger verbrauchen.
Suffizienz bedeutet, tatsächlich weniger Energie und Rohstoffe zu verbrauchen. Es geht darum zu prüfen, was wirklich notwendig ist, es geht darum, die Genügsamkeit mehr ins Rampenlicht zu befördern. Konkret kann das bedeuten: weniger Fleisch essen, motorfrei mobil sein oder in eine kleine Wohnung umziehen. Wird Suffizienz gesetzlich geregelt, hat das den Vorteil, dass sich alle Menschen daran halten.
2. Es gibt auch klimaschädliche Regelungen im Steuerrecht, wie die Subventionen in den fossilen Sektor eindrucksvoll belegen.
3. Dies gilt im Übrigen auch für den Güterverkehr.
4. Die Forderung der Grünen, in öffentlichen Kantinen an einem Tag nur vegetarische Gerichte anzubieten, schlug in den Medien hohe Wellen.
5. Vgl. Artikel von Benjamin Best und Jonas Lage auf S. 9 ff. in diesem Heft.
Ein Öko-Dorf am Rande einer Großstadt
Probier’s mal mit Genügsamkeit
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