Fürsorge ist mehr als bloße Dienstleistung
Die Landkreise in Sachsen sind in nahezu allen sozialen Aufgabenfeldern zur verfassungsgemäßen Daseinsfürsorge verpflichtet. Sie sind Träger des Rettungsdienstes, der Sozial- und Jugendhilfe. Im Gesundheitsbereich übernehmen sie den Sicherstellungsauftrag für die stationäre Versorgung der Bevölkerung, wirken bei der Planung der ambulanten Angebote mit und verantworten den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Sachsen ist dabei konsequent den Weg gegangen, die sozialen Aufgaben kommunal zu verorten. So wurde mit der Gründung des Landeswohlfahrtsverbandes - ab dem Jahr 2005 Kommunaler Sozialverband Sachsen - anders als in den anderen ostdeutschen Bundesländern auch die überörtliche Sozialhilfe in kommunale Verantwortung übertragen. Mit der Funktionalreform im Jahr 2008 haben die Landkreise weitere soziale Vollzugsaufgaben vom Staat übernommen, so dass beim Freistaat Sachsen nun lediglich die überörtliche Jugendhilfe und einzelne wenige exekutive Sozialaufgaben liegen. Hinzu kommt, dass immerhin die Hälfte der Landkreise auch die Verantwortung für die vollständige Betreuung der Langzeitarbeitslosen übernommen hat. Das Subsidiaritätsprinzip bestimmt danach als gesellschaftspolitisches Gestaltungsprinzip nicht nur das Verhältnis zwischen der öffentlichen Hand und der freien Wohlfahrtspflege, sondern auch die staatsorganisatorische Aufgabenverteilung im Bereich der sozialen Fürsorge. Dieser liegt das Verständnis kommunaler Verantwortungsträger zugrunde, dass soziale Anliegen und der gesellschaftliche Zusammenhalt am besten vor Ort gelebt und organisiert werden sollten. Die Zuständigkeit der Landkreise beschränkt sich darauf, die sozialen Leistungen vorzuhalten. Im Regelfall erbringen sie diese nicht selbst.
Traditionell kommt hier den Trägern der freien Wohlfahrtspflege und den Trägern ihrer sozialen Dienste und Einrichtungen als Dienstleistungsanbieter eine große Bedeutung zu. Sie übernehmen in Sachsen ein breitgefächertes Leistungsspektrum, das vielfältige soziale und gesundheitsbezogene Unterstützungs- und Betreuungsangebote für Menschen in allen Lebensphasen umfasst. So liegen mehr als ein Drittel der Einrichtungen und Dienste im Bereich der Jugendwohnheime, Altenwohn- und Pflegeheime, der Heime für werdende Mütter sowie Einrichtungen zur Eingliederung und Pflege von Menschen mit Behinderung in der Verantwortung der freien Wohlfahrtspflege. Hinzu kommen vielfältige ambulante Dienste und Beratungsangebote.
In Sachsen ist der Altersdurchschnitt am höchsten
Zwischen den Landkreisen und der freien Wohlfahrtspflege haben sich über die letzten drei Jahrzehnte eine enge Kooperation und erfolgreiche Partnerschaft entwickelt. Doch die sozialpolitischen Rahmenbedingungen unterliegen erheblichen Veränderungen. Es sind dabei zwei zentrale Probleme auszumachen.
Auch wenn sich die soziale Situation im Freistaat Sachsen in den vergangenen Jahren deutlich positiv entwickelt hat und das Armutsrisiko insgesamt gesunken ist, stellt zum einen der demografische Wandel die Sozialpolitik in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen. Vor allem im ländlichen Raum nimmt die Zahl der älteren Menschen deutlich zu, während die der jüngeren Menschen zurückgeht. So weist der Freistaat mit den höchsten Altersdurchschnitt in der Bundesrepublik auf. Die Alterskohorte der über 70-Jährigen ist mit 800.000 Einwohner(inne)n genauso groß wie die der bis 25-Jährigen. 200.000 Jugendliche sind zwischen 15 und 20 Jahre alt. Ihnen gegenüber stehen knapp 378.000 Menschen im Alter von 55 bis 60 Jahren. In den Landkreisen ist die Zahl der 55- bis 60-Jährigen aktuell mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der 15- bis 20-Jährigen.
Die Nachfrage nach Dienstleistungen für ältere Menschen wächst
Dies führt zu einer deutlich wachsenden Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen für ältere Menschen in den Landkreisen, während in den größeren Städten der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen nach wie vor steigt. So ist davon auszugehen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit 205.000 auf circa 242.000 bis zum Ende des Jahrzehnts anwächst.
Dementsprechend sind für viele Menschen Themen wie eine auskömmliche Rente, eine gesicherten Pflegeinfrastruktur und gute Gesundheitsversorgung von zentraler Bedeutung. Bereits heute sind gerade auf dem Land Ängste und Verunsicherung in der Bevölkerung spürbar. Gemeinsame Aufgabe der Landkreise und der freien Wohlfahrtspflege ist es, nicht nur die notwendigen sozialen Dienste und Angebote abzusichern, sondern auch mit einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie der zunehmenden Verunsicherung der Menschen entgegenzuwirken.
Landkreise wie auch die freie Wohlfahrtspflege verbinden insofern ihre Allgemeinwohlverpflichtung und ihre Funktion als Sachwalter der Interessen gerade für die Hilfebedürftigen. Die Betonung dieses gemeinsamen Werteverständnisses aus unterschiedlichen Aufträgen heraus scheint besonders wichtig in einer Zeit der zunehmenden Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen und der Marktöffnung im entgeltfinanzierten Einrichtungsbereich. Mit Sorge ist zu beobachten, dass Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ihre Rolle zunehmend auf die Dienstleistungsfunktion fokussieren und sich immer weniger von gewerblichen Anbietern unterscheiden.
Transparenz in den Kostenstrukturen zu schaffen ist aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Steuergeldern zur Finanzierung unabdingbar. Nur lässt sich nicht jede Leistung in Euro und Cent ausdrücken. Gute soziale Fürsorge ist mehr als die bloße Dienstleistung.
Fachkräftemangel spitzt sich zu
Mit der Bevölkerungsentwicklung geht die zweite große Herausforderung einher, der sich zuspitzende Fachkräftemangel. So sinkt die Zahl der Erwerbstätigen in den Landkreisen bis zum Jahr 2030 bei einem Bevölkerungsanteil von 2,7 Millionen Menschen um 280.000. Parallel dazu erhöht sich die Zahl der über 65-Jährigen um 88.000, die der unter 20-Jährigen verringert sich um gut 23.000. Der Verlust an Erwerbspersonen entspricht im Übrigen zufälligerweise annähernd der Zahl derjenigen, die insgesamt im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens tätig sind. Auf eine kurze Formel gebracht, sinkt das Potenzial an Erwerbstätigen, während die Zahl der auf Betreuung und Hilfe angewiesenen Menschen steigt.
Doch die Brisanz dieser Entwicklung scheint in der Politik bis auf Sonntagsreden noch nicht richtig angekommen zu sein. Anders ist es kaum nachvollziehbar, wenn sowohl in Berlin als auch in Dresden die Politik nach wie vor neue beziehungsweise erweiterte soziale Leistungen und Personalstandards formuliert und regelt. Leider gehen auch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege in ihren Forderungen in diese Richtung, wenn beispielsweise ein deutlich verbesserter Betreuungsschlüssel in den sächsischen Kindertagesstätten gewünscht wird. So begrüßenswert eine bessere Betreuung von Kindern und älteren Menschen sein mag, letztlich muss sie auch umgesetzt werden können. Hier werden Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind. So werden die Sorgen in der Bevölkerung eher wachsen.
Hilfreich wäre eine gemeinsame Strategie
Angesichts dieser enormen Herausforderung sind vielmehr eine stärkere Bündelung der Kräfte, mehr zivilgesellschaftliches Engagement und eine strategische Sozialplanung auf der Grundlage einer intensiveren Kooperation von Landkreisen und freier Wohlfahrtspflege vonnöten. Dies könnte mit einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie hinsichtlich der sozialen Angebote, Dienste und Einrichtungen gelingen. Es erfordert jedoch von beiden Seiten ein Umdenken und eine Neujustierung im Verhältnis von Aufgabenträgern und Leistungserbringern.
In diesem Jahr werden der 30. Jahrestag der deutschen Einheit und die Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen begangen. Mit den Kommunalwahlen in der DDR vom 7. Mai 1990 wurden kommunale Selbstverwaltungsstrukturen auf Ebene der Gemeinde- und Landkreise errichtet. An diesem Punkt startete die Erfolgsgeschichte, ein dichtes soziales Netz auf der Grundlage einer engen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Caritas, Diakonie, dem Deutschen Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt, der Parität und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Sachsen zu schaffen.
Ich kann mich gut erinnern, wie ich berufsbedingt Anfang der 90er-Jahre das erste Mal ein Altenheim und eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung besuchte. Ich war ehrlich schockiert. Sie hatten den Charakter von Aufbewahrungsanstalten.
Wie sehr hat sich dieses Bild in den letzten drei Jahrzehnten zum Positiven gewandelt. Wenn wir über die Aufgaben in der Zukunft sprechen, dann sollten wir diese bemerkenswerte Aufbauleistung zum Wohle der Menschen, die besonders auf Unterstützung und Hilfe angewiesen sind, nicht vergessen. Ich bin mir sicher, dass sich die aufgezeigten Herausforderungen über eine gute Zusammenarbeit zwischen den Landkreisen und den Trägern der freien Wohlfahrtspflege auf der Grundlage eines verlässlichen Fundaments sozialpolitischer Leitplanken und einer klaren Werteorientierung bewältigen lassen.
Transparenz lohnt sich
Subsidiarität. Gemeinwohl. Postleitzahl.
Interview: Caritas-Präsident Peter Neher
Pflegekommission sichert Mindestlohn
Gemeinsam in die Zukunft
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}