Altenpflegerinnen verdienen noch immer zu wenig
Beruflich Pflegende müssen anständig bezahlt werden. Doch die traurige Bilanz nach 20 Jahren Pflegemarkt: freier Fall der Löhne. Heute erhalten Altenpflegefachkräfte, die Vollzeit arbeiten, in den östlichen Bundesländern im Mittel ein monatliches Bruttoentgelt von 1945 Euro. Das heißt, die Hälfte der Beschäftigten verdient sogar noch weniger. Im Westen beträgt das Bruttoentgelt im Mittel 2568 Euro. Doch auch in den alten Bundesländern sind die regionalen Unterschiede groß. Die Lohnungleichheit hängt davon ab, wie hoch der Anteil privater gewinnorientierter Pflegeeinrichtungen im jeweiligen Bundesland ist, denn die Privaten zahlen am schlechtesten. Ein großer Teil der heute in der Altenpflege beschäftigten Arbeitnehmer(innen) wird regelrecht ausgebeutet, ihre Altersarmut ist absehbar. Das Problem wird dadurch verschärft, dass viele von ihnen Teilzeit arbeiten müssen, weil keine Vollzeitstellen angeboten werden: In den östlichen Bundesländern liegt der Anteil an unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung bei 46 Prozent.
Die Zahl pflegebedürftiger Menschen nimmt in Deutschland kontinuierlich zu. Wenn sich nichts ändert, werden nach Aussage der Bundesagentur für Arbeit bereits in 15 Jahren in der Altenpflege 140.000 Fachkräfte fehlen. Zusätzlich zum Nachwuchsmangel, bedingt durch die demografische Entwicklung, werden junge Menschen auch noch vom Pflegeberuf abgeschreckt. Schlechtes Einkommen und zu wenig Personal machen jungen Leuten keine Lust auf Altenpflege. Es braucht wirkungsvolle Maßnahmen, um die Attraktivität zu steigern.
Einen Arbeitgeberverband, mit dem die Gewerkschaft Verdi für alle Altenpflegeeinrichtungen einen Flächentarifvertrag abschließen könnte, gibt es nicht. Deshalb existiert ein Flickenteppich von Tarifverträgen. Bei den privaten Anbietern sind Tarifverträge die Ausnahme, nicht die Regel. Erst einmal müssen Arbeitgeber überhaupt an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Dann sind oft wochenlange Streiks notwendig, um einen Haustarifvertrag durchzusetzen. In drei Ostberliner Pflegeheimen des privaten Betreibers "Alpenland" mussten die Beschäftigten 90 Tage streiken, um einen Tarifvertrag zu bekommen. Einen langwierigen Konflikt mussten auch die Arbeitnehmer(innen) in "Prosenis"-Pflegeeinrichtungen im ostfriesischen Leer austragen. Dort haben sich schließlich 80 Prozent der Beschäftigten bei Verdi organisiert, um den tariflosen Zustand zu beenden. 26 Tage gestreikt haben Beschäftigte für einen Tarifvertrag bei "Curanum" in Zwickau.
Erschwert wird das Tarifgeschäft für Verdi dadurch, dass die Altenpflege bis auf wenige Ausnahmen noch nicht gut gewerkschaftlich organisiert ist. Die Beschäftigten davon zu überzeugen, dass sie sich auch für die eigenen Interessen einsetzen dürfen, ist gewerkschaftliche Pionierarbeit. Denn Geduld ist eine Kernkompetenz in der Altenpflege. Immer wieder die Hoffnung, dass die Versprechen wahr werden und ihre Arbeit endlich wertgeschätzt und entsprechend auch materiell honoriert wird. Die moralische Erpressung der Mitarbeiter(innen) durch ihre Arbeitgeber ist weit verbreitet. Und weil die Altenpflege so dicht am Menschen ist, funktioniert das Prinzip in der Regel auch.
Der Mindestlohn in der Pflege ist noch immer zu niedrig
Seit dem Jahr 2010 sorgt der Pflege-Mindestlohn dafür, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter(innen) nicht mehr mit einem Taschengeld von fünf oder sechs Euro pro Stunde abspeisen dürfen. Ab dem 1. Januar 2015 sind im Westen mindestens 9,40 Euro Stundenlohn zu zahlen und im Osten 8,65 Euro. In zwei Schritten wird der Mindestlohn bis Januar 2017 auf 10,20 Euro pro Stunde im Westen und 9,50 Euro im Osten wachsen. Seit 1. Oktober 2015 wird der Pflege-Mindestlohn auch für Betreuungs- und Assistenzkräfte in Heimen gelten.
Das Ziel von Verdi war es, einen Pflege-Mindestlohn von 12,50 Euro durchzusetzen. Widerstand gegen eine entsprechende Anhebung gab es bei den privaten Arbeitgebern und den kommunalen Arbeitgeberverbänden. Die einen sahen ihre Rendite-Erwartungen davonschwimmen, die Städte fürchteten wohl höhere Sozialhilfe-Kosten für Pflegebedürftige mit geringem Einkommen.
Tarifgebundene Träger geraten unter Druck
Der viel zu niedrige Pflege-Mindestlohn schützt tarifgebundene Träger nicht davor, im Wettbewerb unter Druck zu kommen. Zwar sind Tariflöhne als wirtschaftlich anzuerkennen und im Pflegesatz zu finanzieren. Das setzt jedoch den Preiswettbewerb nicht außer Kraft. Wer niedrige Löhne zahlt, kann mit billigen Pflegesätzen locken. Außerdem regelt ein Tarifvertrag natürlich mehr - neben dem Stundenlohn sind das die Arbeitszeit, Jahressonderzahlungen, Urlaub, Zuschläge oder Zulagen, betriebliche Altersversorgung und vieles mehr. Deshalb will Verdi erreichen, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag die schlimmsten Folgen des wirtschaftlichen Wettbewerbs eindämmt. Er soll bewirken, was üblicherweise durch einen klassischen Branchentarifvertrag erreicht wird, dass nämlich der Wettbewerb nicht auf Kosten der abhängig Beschäftigten über billige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen ausgetragen wird. Nach § 5 Tarifvertragsgesetz kann ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt und den Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen entgegengewirkt werden soll.
Wesentlich erleichtert würde dieser Weg, wenn die konfessionellen Träger, die Kirchen, Caritas und Diakonie, ihre kritische Haltung aufgeben und einen Tarifvertrag abschließen würden. Neben den kommerziellen sind sie die größten Anbieter auf dem Pflegemarkt. Was bereits vor Jahren in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie aktuell in Niedersachsen mit der Diakonie gelungen ist, braucht mutige Nachahmer.
Die Wohlfahrtsverbände insgesamt könnten mit Verdi einen Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege abschließen. Dieser könnte dann für alle Anbieter als allgemeinverbindlich erklärt werden. Dabei muss natürlich sichergestellt sein, dass bessere Tarifverträge weiterhin gelten und bei der Finanzierung der Pflegesätze auch weiterhin zugrunde zu legen sind.
Das Gros der nicht gewinnorientierten Anbieter, einschließlich Caritas und Diakonie, ist sich einig, dass es eine Lösung braucht. Auch die Politik hat zwischenzeitlich verstanden, dass es der Wettbewerb nicht richten wird. Nun gilt es gemeinsam und entschlossen nach Lösungen zu suchen. Im Interesse der Beschäftigten, aber auch im Interesse der Pflegebedürftigen, denn mit Armutslöhnen ist keine qualitativ gute Versorgung zu gewährleisten.
Das Ziel von Verdi ist, dass eine qualifizierte Altenpflegerin mindestens 3000 Euro im Monat verdient. Um das durchzusetzen, ist es erforderlich, dass sich die Beschäftigten selbstbewusst zusammenschließen, sich gewerkschaftlich organisieren und für ihre eigenen Belange stark machen: Sie übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Arbeit, tragen eine große Verantwortung und die Arbeit ist körperlich und emotional belastend. Das muss entsprechend honoriert werden. Heute ist es noch traurige Realität, dass eine Altenpflegerin von ihrem Einkommen oft nicht gut leben kann und später im Alter selber arm ist. Das muss sich ändern. Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Corporate Social Responsibility – hier gewinnen alle
Mehr Aufklärung ist nötig
Statement: Thomas Rühl
Statement: Lioba Ziegele
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