Im "Café InNa" setzt man auf gute Nachbarschaft
"Mein Deutsch ist aber nicht so gut." Wolodja Bielow ist ein bisschen verlegen. Eigentlich hätte er sich jetzt gerne gedrückt. Doch dann fasst er allen Mut zusammen und beginnt zu erzählen. Von seiner Jugend in Lettland, dem Wunsch, Künstler zu werden, und dem Besuch der Kunstschule in Riga, der Ausbildung zum Tischler, den vielen Jahren seines Berufslebens, die hart und schlecht bezahlt waren, und von seiner Holzschnitzerei und Malerei, der er nun im Alter endlich die meiste Zeit seines Tages widmen kann. Wolodjas Deutsch ist tatsächlich nicht lupenrein, doch es reicht, um seine Zuhörer(innen) zu fesseln. Erzählen, Erlebnisse und Erfahrungen miteinander teilen, aber auch zuhören, verstehen und Neues lernen - darum geht es im "Café InNa", mit dem der Caritasverband in Wuppertal zugewanderte Senior(inn)en darin bestärken möchte, ihr Alter aktiv zu gestalten und gesellschaftliche Teilhabe vor allem im direkten Wohnumfeld wahrzunehmen. Der Name ist Programm: "InNa" steht für Integration und Nachbarschaft. Als innovative und partizipationsfördernde Idee war das "Café InNa" im Jahr 2010 auch Preisträger bei der Ausschreibung "sozial couragiert" der Zeitschrift Sozialcourage des Deutschen Caritasverbandes (DCV) und von Hyundai Deutschland.
Dass Wolodjas Traum von einem Leben mit der Kunst nach Eintritt in den Ruhestand doch noch in Erfüllung ging, hat ganz viel mit dem "Café InNa" zu tun. Vor mehr als zehn Jahren wanderte er aus Lettland ein, arbeitete hier jahrelang, ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen. "Ich war immer mit russischsprachigen Baukolonnen unterwegs", erklärt der Lette und erinnert sich an einen Chef, der auf seine Bitte, ihn doch einmal in einem deutschen Team einzusetzen, gekontert hatte: "Du sollst nicht reden, du sollst arbeiten."
Im "Café InNa" ist das anders. Hier ist die Kommunikation Dreh- und Angelpunkt aller Integrationsbemühungen. "Traut euch, auch wenn wir heute Gäste haben", muntert Caritas-Mitarbeiterin Malgorzata Duzynski die Gruppe beim Tag der offenen Tür auf. Das Café hat eingeladen, um noch mehr Menschen aus dem von Zuwanderung geprägten Wuppertaler Stadtquartier Ostersbaum zum Mitmachen zu gewinnen. Die meisten Teilnehmer(innen) sind seit Jahren dabei und wollen zeigen, dass man nie zu alt ist, um neue Schritte zu wagen.
Wolodja Bielow ist ein gutes Beispiel. Vor fünf Jahren kam er das erste Mal ins "Café InNa". Wissbegierig, wie er ist, hat er schnell mehr und mehr von den dort angebotenen Vorträgen und in den Gesprächsrunden rund um politische, soziale und kulturelle Themen verstanden. So viel, dass er sich eines Tages traute, einen Kunstkurs an der Volkshochschule zu belegen. Die über Wuppertal weit hinaus bekannte Künstlerin und Kursleiterin Ulle Hees bestärkte den inzwischen 66-jährigen Zuwanderer in seiner Freude an der Kunst. So schmückt eine eindrucksvolle Ausstellung eigener Ikonenmalerei, kunstvoller Schnitzereien und wunderschöner Naturstudien am Tag der offenen Tür die Räume des Cafés.
Das "InNa" entstand vor gut vier Jahren und wurde zunächst von August 2006 bis Juli 2007 als Projekt des Caritasverbandes in Kooperation mit der Stadt Wuppertal und einem ebenfalls im Quartier angesiedelten Nachbarschaftsverein geführt. Als Standort wählte man einen bereits seit Jahren gut angenommenen Stadtteiltreff des Caritasverbandes. Hier wollte man einen offenen Ort der Begegnung für alle interessierten älteren Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im Stadtteil schaffen.
Kein stures Vokabelpauken, sondern Gespräche
Eine pädagogische hauptamtliche Fachkraft, eine pädagogische Honorarkraft und drei ehrenamtliche Helfer(innen) haben das Projekt begleitet. Sie organisierten interkulturelle Begegnungen im Stadtteil, zum Beispiel mit einer bereits bestehenden türkischen Frauengruppe, und vermittelten Informationen über Einrichtungen im Viertel und in Wuppertal. Jahreszeitliche Feste machten mit landestypischen Sitten und Gebräuchen bekannt. Externe Referent(inn)en beleuchteten das Leben im Alter in Deutschland, insbesondere unter den Aspekten der sozialen Sicherung. Sie erklärten die bestehenden Versorgungssysteme, informierten über Ernährung und Gesundheit, Verbraucherschutz, Freizeit und Alltagsstrukturierung. In Vorträgen und Diaschauen kamen die große Politik und die weite Welt in den kleinen Stadtteiltreff. Und natürlich ging es immer wieder um die Erweiterung der Sprachkenntnisse. Ohne stures Vokabellernen, sondern durch die permanente Pflege einer lebendigen Kommunikation.
Von Anfang an war das Projekt auf Nachhaltigkeit angelegt, die Überführung in eine Selbstinitiative das erklärte Ziel. "Doch neben ausreichenden Sprachkenntnissen fehlt es vielen älteren Migranten an Selbstbewusstsein", weiß Malgorzata Duzynski. Also mussten die "Café InNa"-Teilnehmer(innen) lernen, aus der Not eine Tugend zu machen, eigene Ideen zu entwickeln, ihre Treffen zu organisieren, denn nach Ende der Projektzeit war die Beschränkung der pädagogischen Betreuung unausweichlich. "Ganz alleine aber hätten die Teilnehmer die Verselbstständigung wohl nicht bewältigt", ist sich Malgorzata Duzynski sicher.
Die Gruppe lebt mit Hilfe von Ehrenamtlichen
Seit Oktober 2007 gibt es sie nun, die "Initiative Café InNa" - selbstständig, aber weiter verankert beim Caritasverband. Man durfte in den gewohnten Räumen bleiben und wird sachbezogen unterstützt. Noch wesentlicher für den Fortbestand der Gruppe, die aus einem festen Kern von 14 Teilnehmer(inne)n besteht, ist aber die Begleitung durch ein engagiertes Team Ehrenamtlicher. Lebenserfahrene Menschen wie Jürgen Thierling, der als pensionierter, rhetorikgeschulter Verkaufsleiter vorliest und Diskussionen anregt. Oder Informatiker Detlev Dalitz, der nach einer Fortbildung zum ehrenamtlichen Alltagsbegleiter für demenziell erkrankte Menschen viele Informationen über gesetzliche Regelungen und Hilfeangebote im Alter beisteuert. Oder auch Agniezka Kloska, die Soziale Arbeit studiert und eine Menge Anregungen für eine aktive Freizeitgestaltung in Gesellschaft geben kann.
Die Sprache ist das A und O
Dass man vom Mitwirken in einer Initiative wie dem "Café InNa" nur profitieren kann, hat Tatjana Prymak erlebt. Die heute 81-Jährige kam vor elf Jahren aus der Ukraine nach Deutschland, konnte kein Wort Deutsch. "Vor einigen Monaten musste ich ins Krankenhaus. In meinem Zimmer lag auch eine türkische Frau, die schon 35 Jahre in Deutschland lebt, aber kein Deutsch kann. Sie hat nicht verstanden, was die Krankenschwestern und Ärzte gesagt haben. Aber ich habe fast alles verstanden und konnte sagen, was mir fehlte."
Auch Mira Rabicheva aus der Ukraine und Aelita Gammel aus Russland, die beide dem "Café InNa" von seiner Gründung an die Treue halten, sind überzeugt: "Wenn man hier leben und sich im Alter in der deutschen Gesellschaft zurechtfinden will, muss man die Sprache lernen." Und wie zum Beweis steht Aelita vom gemütlichen Kaffeetisch auf und trägt ein Gedicht von Heinrich Heine vor. Nicht fehlerfrei, aber doch gut verständlich. "Ich kannte das Gedicht schon früher auf Russisch. Aber auf Deutsch klingt Heine doch viel schöner."
Für den Caritasverband in Wuppertal ist "Café InNa" der Beweis, dass Integration keine Frage des Alters ist. Doch das Projekt hat auch bestätigt, dass es ältere Migrant(inn)en tatsächlich besonders schwer haben, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Gerade für Zuwanderer aus den ehemaligen Sowjetstaaten ist das Leben in Deutschland eine ungeheure Herausforderung. "In Deutschland muss man sich um vieles selber kümmern. Es gibt eine Menge Angebote und Hilfen. Aber du musst wissen, wo. Und wie man drankommt." Mira Rabicheva hat sich im "InNa" zur Expertin in eigener Sache entwickelt. Inzwischen ist sie fit genug, auch anderen Senioren in ihrer Nachbarschaft zu helfen. "Auch das ist von Anfang an eines unserer Ziele gewesen. Die Teilnehmer der Initiative Café InNa können in ihrem direkten Umfeld Multiplikatoren sein", erklärt Malgorzata Duzynski. Dabei geht sie das Thema nicht blauäugig an: "Es ist sehr schwer, die älteren Migranten zu einer Öffnung zu bewegen."
"Café InNa" selbst ist der Beweis: Aus dem ursprünglich auf alle Nationalitäten zielenden Projekt wurde eine Initiative russischsprachiger Migrant(inn)en. "Wir haben eben gemeinsame Interessen. Trotzdem sind auch nicht russischsprachige Senioren bei uns sehr willkommen. Vor allem wäre es schön, wenn noch mehr deutsche Leute zu uns kommen würden, damit wir uns mit ihnen unterhalten und austauschen können", wünscht sich Mira Rabicheva und findet damit zustimmendes Nicken in der geselligen Runde.
Immerhin seit fast fünf Jahren läuft "Café InNa" nun gut - und ist doch kein Selbstläufer. Die Arbeit mit und für zugewanderte Senior(inn)en ist intensiv und bedarf besonderer Rahmenbedingungen. Dazu gehört, ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) zu gewinnen und zu schulen. Auch begleitende Fachkräfte braucht es, die den Ausbau der Netzwerke und Kooperationen vorantreiben. Teilhabe ist eine Form der Selbsthilfe im Alter - Migranten-Senioren, die diese Erkenntnis mit Hilfe der Caritas gewinnen können, leben besser. Eine Gesellschaft, die das möglich macht, spart sich manche Folgen wie Vereinsamung und soziale Armut.