Der Dekalog als Ethikprogramm - ein Impuls
Das Thema Ethik boomt. In Wirtschaftsunternehmen wie in sozialen Organisationen. Man legt sich fest auf Werte: "Diese Werte sind uns wichtig." Man verpflichtet sich zu einem Wertemanagement: "So erreichen wir, was uns wichtig ist." Es gibt das Bedürfnis, nach innen und außen zu klären, wie es in dieser Organisation zugeht - mit Moral. Moral ist dazu da, Verhaltensunsicherheiten, die wir als riskant erleben, zu bearbeiten. Moral unterscheidet, was "gut" ist und was "böse", was "gerecht" ist und was "ungerecht". Durch diese Antwort kanalisiert sie Verhalten.
Weil es nicht die eine Moral gibt, sondern Moralen, stellt sich die Frage: "Was gilt hier als gut und gerecht?" Das zu wissen nimmt den Menschen etwas von der Angst, verschafft ihnen Sicherheit. Moral braucht jedoch ein Programm, das verlässlich klärt, wonach in "gerecht" und "ungerecht" entschieden wird. Solche Moralprogramme bieten Religionen. In Europa innerhalb der jüdisch-christlichen Tradition geben vor allem die zehn Gebote Orientierung, wie in riskanten Zeiten die von Gott geschenkten Freiheitsräume zu halten sind.
1. Gebot: Du sollt neben mir keine anderen Götter haben.
Es geht um den Freiheitsraum "Identität". Eine Identität ist zu sichern, die sie unterscheidbar macht von anderen - als rückgebunden an den Gott, der Freiheit schenkt.
2. Gebot: Du sollst den Namen deines Herrn nicht missbrauchen.
Es geht um den Freiheitsraum "Integrität". Eine Integrität ist zu wahren, die nach außen und innen für das gewählte moralische Programm steht. Gegen ein ethisches "Anything Goes", das alles für möglich erklärt, wenn es sich nur verkauft.
3. Gebot: Halte den Feiertag heilig.
Es geht um den Freiheitsraum "heilige Zeit". Fantasie ist gefragt, wenn es darum geht, den Sonntag auch in Organisationen, die keinen sozialen Tag der Ruhe einhalten können, als besonderen Tag in der Zeit- und Lebensordnung zu gestalten.
4. Gebot: Ehre deinen Vater und deine Mutter.
Es geht um den Freiheitsraum "Generationensolidarität". Die Freiheit der Alten ist sozial und wirtschaftlich zu schützen und zu fördern - zum Vorteil aller Altersstufen.
5. Gebot: Du sollst nicht morden.
Es geht um den Freiheitsraum "körperliches und geistiges Leben". Das eigene Leben und das der Mitmenschen ist zu fördern und zu schützen.
6. Gebot: Du sollst nicht die ehebrechen.
Es geht um den Freiheitsraum "verlässliche Vereinbarungen". Es geht um den verlässlichen Schutz des Verhältnisses, das der stärkere Partner zum schwächeren hat, und damit um eine Vertrauenskultur.
7. Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Es geht um den Freiheitsraum "Eigentum". Die freiheitsnotwendige wirtschaftliche Lebensgrundlage, die eigene wie die des anderen, ist zu sichern.
8. Gebot: Du sollst nicht falsches Zeugnis reden.
Es geht um den Freiheitsraum "Kommunikation". Kommunikation braucht verlässliche Strukturen, Orte und Zeiten, die horizontal und vertikal Information und Partizipation ermöglichen.
9. Gebot: Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen.
Es geht um den Freiheitsraum "intime Gemeinschaft". Organisationen haben die intimen Beziehungen ihrer Mitarbeitenden zu achten, zu schützen und zu fördern.
10. Gebot: Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen.
Es geht um den Freiheitsraum "soziale Gemeinschaft". Das "ganze Haus", das heißt die Organisation und ihr soziales Umfeld, ist vor Machenschaften zu schützen, die belastend und zerstörend wirken.
Die Entscheidung für ein Moralprogramm geschieht in einer Organisation ganz oben. Es kommt unten nur an, wenn es praxisrelevant durchbuchstabiert wird. Mit der Frage, was in der konkreten Organisation "geht oder nicht geht", wird sich die Organisation beschäftigen müssen. Nur so wird sichergestellt, dass die Gebote tatsächlich in die Strukturen und in das Handeln der Organisation verlässlich und nachhaltig integriert werden.