Heimat auf Zeit: Wie die Caritas geflüchteten ukrainischen Kindern Geborgenheit schenkt
Beste Freundinnen: Dasha (li.) und Maya lernten sich erst im Kinderheim kennen.@Philipp Spalek/Caritas international
Sabina Haczek atmet tief durch, dann greift sie zum Telefonhörer. Gerade hat eine Supermarktkette die Koordinatorin des Migrationszentrums der Caritas im südpolnischen Kattowitz informiert, dass übrig gebliebene Lebensmittel zur kostenlosen Weitergabe an ukrainische Geflüchtete abgeholt werden können. Nach dem Anruf ist klar: Eine befreundete Behinderteneinrichtung der Caritas schickt ihren Transporter. "Wir helfen uns gegenseitig, wo es nur geht", sagt Sabina Haczek, wie immer mit einem Lächeln. Als die Lieferung eintrifft, packt sie selbstverständlich mit an. Mit ihren Mitarbeiterinnen portioniert sie die Lebensmittel. Sie werden später an Kriegsvertriebene ausgegeben, oft zusammen mit Alltagsgegenständen wie Decken und Bettwäsche.
Wenn nur noch Trösten hilft
Der Verteilungsprozess im Migrationszentrum ist effizient organisiert: Die Geflüchteten aus der Ukraine müssen sich registrieren und ihre konkreten Bedarfe anmelden. Über Telegram-Gruppen lädt die Caritas sie dann gezielt zu Verteilungen oder Aktivitäten im Zentrum ein. Wer kein Smartphone besitzt, bekommt ein einfaches von der Caritas gestellt.
Im Migrationszentrum treffen sich ständig Gruppen von Geflüchteten und organisieren Aktivitäten. Mitarbeiterinnen beraten Neuankömmlinge oder verteilen Hilfsgüter. Im Flur mit seinen Wartebereichen sitzen ältere Menschen oft stundenlang, weil es hier schön warm ist. In den angrenzenden Räumen liegen die Treffpunkte für Einzelberatungen, Sprachkurse, Seniorentreffen und Jugendgruppen. Der Kids Club hat sogar ein schön gestaltetes eigenes Zimmer.
Das Zentrum belegt ein ganzes Stockwerk im modernen Gebäude der theologischen Fakultät der Universität. Die Uni hatte es der Caritas nach Kriegsbeginn unbürokratisch zur Verfügung gestellt. Trotz allem Trubel herrscht eine ruhige, freundliche Stimmung, Mitarbeiter:innen und Geflüchtete gehen herzlich miteinander um.
Der Grund für diese enge Verbundenheit liegt auf der Hand: 14 von 16 Mitarbeiter:innen im Zentrum stammen selbst aus der Ukraine und arbeiten nun für die polnische Caritas. "Meine Kolleginnen geben mir viel Kraft, es ist mein Dream-Team", sagt Koordinatorin Sabina Haczek. "Es gibt aber auch emotional schwere Tage, etwa am Jahrestag des Kriegsbeginns. Dann brauchen wir unseren Schrank mit Süßigkeiten, und wir nehmen uns gegenseitig in den Arm." Und manchmal haben ihre Mitarbeiterinnen Déjà-vu-Erlebnisse, wenn ihnen die Menschen aus der Ukraine traurige Geschichten erzählen, die sie selbst aus eigener Erfahrung kennen.
Das Migrationszentrum kämpft inzwischen – wie alle Einrichtungen für ukrainische Kriegsvertriebene – mit großen Finanzierungslücken. So hat beispielsweise das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) seine Förderung eingestellt. Aufgeben kommt für Sabina Haczek aber nicht infrage: "Die Unterstützung von ukrainischen Geflüchteten ist ein Hürdenlauf. Allerdings als Marathon!"
Ein Hürdenlauf als Marathon
Paulina Gradek gibt Kindern wie Dasha (2. v. re. vorne) und ihrer Schwester Karina (hinten re.) Hoffnung in düsteren Zeiten.@Philipp Spalek/Caritas international
Ortswechsel in die Nähe des 90 Kilometer nördlich liegenden Tschenstochau: Betritt Paulina Gradek dort den Raum, hellt ihr Lachen die Stimmung auf. Die Koordinatorin des Kinderheims Święta Puszcza ist eigentlich Juristin. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat sie aber eine neue, erfüllende Bestimmung gefunden: Sie schafft geflüchteten ukrainischen Kindern ein Zuhause auf Zeit.
Kurz nach Kriegsbeginn hat das von der polnischen Caritas betriebene Heim fast hundert Kinder und Jugendliche aufgenommen, die aus staatlichen Betreuungseinrichtungen im Südosten der Ukraine evakuiert worden waren. Die meisten stammen aus dysfunktionalen Familien, wurden vernachlässigt oder erlebten häusliche Gewalt. Oft war Alkoholismus im Spiel. Viele Kinder haben keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern, einige sind sogar verwaist; Kinder wie die neunjährige Dasha und ihre 13-jährige Schwester Karina. Hier im Heim haben sie nicht nur neue Freundinnen gefunden, hier fühlen sie sich auch geborgen. "Wir haben noch Familie in der Ukraine. Aber wir haben keinen Kontakt mehr", sagt Dasha. Umso wichtiger ist ihr die Freundschaft mit der ebenfalls neunjährigen Maya. Beide haben sich im Heim kennengelernt. "Unser gemeinsames Hobby ist Zeichnen. Am liebsten zeichnen wir Menschen, aber auch Tiere, vor allem Mäuse", erklärt sie.
Halt in Zeiten der Ungewissheit
Das Heim hat den Charme einer Jugendherberge aus den 1980ern. Jungen und Mädchen schwirren durch die Gänge. Es ist laut, oft hektisch, doch die Stimmung ist gelöst. Selbstverständlich ist das nicht. "Die Kinder waren sehr verängstigt, als sie hier ankamen. Die Sprachbarriere war riesig. Zumal viele aus der Ostukraine stammen und nur Russisch sprachen", erzählt Paulina Gradek.
Nun warten neue Herausforderungen: Die polnische Regierung verfügte im Sommer 2024, dass ukrainische Kinder polnische Regelschulen besuchen müssen. Doch das stellt die Kinder und ihre teils selbst aus der Ukraine stammenden Erzieher:innen vor große Hürden. Die meisten Kinder sprechen noch nicht genügend Polnisch. Deshalb hat die Caritas in Święta Puszcza eine Zeitlang eine eigene Schule betrieben, auch damit die Kinder der ukrainischen Sprache und Kultur verbunden bleiben. Die Hoffnung auf Rückkehr in ihre alte Heimat haben weder die Kinder noch andere Kriegsvertriebene aufgegeben.
Paulina Gradek bleibt trotz Hindernissen und finanzieller Engpässe zuversichtlich. Besonders eine Beobachtung motiviert sie: "Die älteren Kinder hier im Heim engagieren sich mittlerweile selbst als ehrenamtliche Helfer:innen für die Caritas. Sie schnüren zum Beispiel Weihnachtspakete für alte Menschen", sagt sie lachend. "Sie haben den Caritas-Gedanken für sich adaptiert."
Geflüchtete in Polen
Drei Jahre nach dem russischen Angriff leben noch 970.000 Ukrainer:innen im Nachbarland. Mit Unterstützung des internationalen Caritas-Netzwerks versorgt die Caritas Polen viele Tausend Menschen und betreibt 28 Migrationszentren. Caritas international hat bislang 3,7 Millionen Euro bereitgestellt.
Spendenkonto:
Caritas international, DE88 6602 0500 0202 0202 02 (BIC: BFSWDE33XXX), Stichwort "CY01026 Ukraine-Krieg"