Ohne Wertschätzung kein Ehrenamt
Warum engagieren Sie sich ehrenamtlich, Frau Schaefer?
Kristina Schaefer: Nach den beruflichen Elfenbeintürmen Universität und Verlag - dort waren alle jung, kreativ und schön - habe ich eine Lücke gespürt. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht viel mit Menschen in einem lebendigeren Sinn zu tun hatte - abgesehen von meinem Mann und meinen beiden Söhnen. Nach der Verrentung habe ich mich dann sozial engagiert.
Und warum im St. Lamberti?
Schaefer: Das kam ganz von selber. Denn in diesem Haus hat meine alte Latein- und Deutschlehrerin ihre letzten beiden Lebensjahre verbracht. Ich habe sie sehr geliebt und hier häufig besucht. So konnte ich erfahren, von welcher Atmosphäre dieses Haus getragen ist. Wie würdig, liebevoll, verständnisvoll und mit ganz viel Kreativität hier die Menschen betreut werden: nicht nullachtfünfzehn abgefertigt, sondern dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Immer mit dem Wunsch, ihnen Freude zu machen und ihnen die letzten Jahre noch Glück zu bescheren. Und da habe ich gedacht: Wenn meine alte Lehrerin mal nicht mehr ist, will ich weiter in diesem Haus sein.
Van Weegen: Dann hat sie mich gefragt: Darf ich hier weiter hinkommen? Ich bin so gerne hier im Haus.
Was antworteten Sie ihr?
Van Weegen: Sehr gerne! Denn ich hatte ja durch die vielen Besuche bei ihrer ehemaligen Lehrerin mitbekommen, welche Qualitäten sie hat. Ich habe sie in manche palliative Begleitung von Menschen mit wenigen Angehörigen reingeholt. Sie hat ihnen am Bett vorgelesen oder vorgesungen - das, was gerade guttat. Dann sprach ich sie auf die tägliche Abendrunde für die Menschen hier im Haus an.
Und was sagten Sie, Frau Schaefer?
Schaefer: Gerne! Denn das ist ja eigentlich genau das Richtige für mich. Ich wollte ursprünglich Lehrerin werden und mit Menschen zusammenarbeiten, reden, denken - voneinander lernen. Seither bin ich die ‚Montagsfrau‘ und gestalte einmal in der Woche die Abendrunde. Zu Beginn haben wir in der Cafeteria einen Stuhlkreis aufgebaut und vorgelesen, Rätsel geraten, Bewegungslieder gesungen, mit dem Leuchtball geworfen. Ich möchte aus den Menschen alte Erfahrungen herausholen, altes Wissen heben und dass sie etwas wieder entdecken - beispielsweise durch das Vorlesen von Märchen.
Und dann kam Corona …
Schaefer: Es hieß: keine Begegnungen mehr. Hier im Haus hat Reinhold van Weegen den "Qualitätszirkel Krisenzeit" eingerichtet. Ich habe dort die Ehrenamtlichen vertreten.
Van Weegen: Wir haben dann die Abendrunden verkleinert und in die Wohnküche der drei Abteilungen verlegt.
Schaefer: Das war eine Gewinnsituation. Weil dort auch die Schwachen dabei sein konnten.
van Weegen: Das haben wir bis heute so beibehalten. Gemeinsam haben wir Wege gefunden, dass trotz der Corona-Regeln Menschen nicht vereinsamen.
Warum beziehen Sie Frau Schaefer in so vielen Bereichen, sogar in den Qualitätszirkel, mit ein?
Van Weegen: Weil sie immer viele Ideen hat und kreativ ist. Denn wenn man keine Ideen hat, kann sich auch nichts positiv entwickeln. Zudem ist sie auch im Förderverein und so können wir beispielsweise die Kutschfahrten, den Sektempfang vorm Schloss oder das gemeinsame Backen umsetzen.
Schaefer: Also die ganzen Wohlfühlaktivitäten für die Bewohner.
Wie viele Ehrenamtliche haben Sie?
Van Weegen: Wir haben rund 50 Ehrenamtliche im Alter von 19 bis 75 Jahren: als Begleitpersonen einsamer Bewohner, für den täglichen Dienst in der Cafeteria, für die Hauspost, den Förderverein, den Blumenschmuck, für Orgel und Sakristei sowie die Abendrunden - die übrigens von Tina Schaefers Mann koordiniert werden.
Wie klappt denn die Zusammenarbeit zwischen Ihnen?
Schaefer: Ich hab keine Klagen (beide lachen). Es ist wunderbar im gegenseitigen Austausch, in gegenseitiger Anregung und in manch kritischer Hinterfragung, um am gleichen Ziel anzukommen.
Van Weegen: Ich kann die Zahl der Vollbeschäftigten, die wir haben dürfen, nicht überschreiten. Aber es können Menschen hinzukommen, die unsere Arbeit unterstützen. Wenn ich einen Besuchsdienst habe für eine Frau, die sehr traurig ist und einmal in der Woche ihr Leid loslassen kann, dann ist diese Frau gut versorgt. Dann geht der pflegende Mitarbeitende nicht mit dem Gefühl nach Hause, dass er eigentlich noch zu ihr gemusst hätte. Um die Hauptamtlichen zu entlasten, habe ich die ehrenamtliche Arbeit sehr im Blick. Wir sind dafür da, das Leben der Menschen am Lebensende rund zu machen.
Schaefer: Zuwendung erhält die Gesundheit.
Van Weegen: Die Bewohner sind von den Hauptamtlichen und von ihrer Familie abhängig. Ein Freiwilliger ist neutral. Da haben sich schon viele schöne, vertrauensvolle Verbindungen aufgebaut. Auch, wenn über das Personal einmal geschimpft wird. Das wird dann abgepuffert oder es wird mir oder Kollegen vorsichtig weitergegeben, ohne dass "gepetzt wird".
Schaefer: Eher als Feedback.
Van Weegen: Genau. Als Möglichkeit, etwas zu verbessern. Die Ehrenamtlichen sind vor allem in Krisenzeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner da. Beispielsweise nach dem Einzug. Die Menschen müssen alles hinter sich lassen - die Wohnung, die Nachbarschaft, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ihre Selbstständigkeit. Sie müssen bei uns lernen dürfen, mit Verlusten zu leben. Das ist für mich palliative Kultur. Das heißt vor allem Ablenkung und ein bisschen Spaß.
Warum klappt das mit Frau Schaefer besonders gut?
Van Weegen: Weil sie offen ist für vieles und unsere Intention gut versteht.
Schaefer: Herr van Weegen ist einfach ein Engel von einem Mann.
Van Weegen: Also, das mit dem Engel lassen wir mal besser raus (lacht).
Schaefer: Ich erfahre von den alten Menschen viel Dankbarkeit, Bescheidenheit, Freundlichkeit und Entgegenkommen. Sie sind zwar auch krabitzig, aber das Zusammensein mit ihnen bereichert mich. Man sieht die eigene Zukunft gespiegelt. Sie so zu behandeln, wie man es für sich selbst wünscht, ist schön und macht das Ehrenamt zu einer Win-win-Situation.
Hakt es in der Zusammenarbeit auch einmal?
Van Weegen: Ja, das gab es. Wir sind da aber immer sehr ehrlich zueinander.
Was sind denn - über die Ehrlichkeit hinaus - die Zutaten für das Rezept Ihrer Zusammenarbeit?
Schaefer: Vor allem Vertrauen. Ergänzen muss ich als Linguistin, dass das Wort Ehrenamt schnöde als unbezahlte Arbeit verstanden wird. Für mich ist es eine Ehre, dass ich dieses Amt machen darf. Denn das setzt ein großes Vertrauen voraus. Dieses Vertrauen macht stark.
Van Weegen: Das stimmt. Es gibt kein Geld, es gibt einen anderen Wert zurück. Und damit wären wir bei meinen Zutaten: Wertschätzung und Bindung.
Schaefer: Wir Ehrenamtlichen erfahren durch die große Dankeskultur in dieser Einrichtung wirklich eine hohe Wertschätzung. Denn dass uns so viel Ehre in Form von Dankbarkeitsveranstaltungen erwiesen wird, wo wir einander kennenlernen und uns austauschen können, ist ein sehr wichtiger und motivierender Punkt im Miteinander.
Mit welchen drei Worten würden sie Ihr Gegenüber beschreiben?
Van Weegen: Tina Schaefer ist kreativ, verbindlich und unterstützend.
Schaefer: Musisch, spirituell, zugewandt. Den Engel hatten wir ja schon … (beide lachen).