Gemeinsam mehr bewirken: geballte Unterstützung im Sozialraum
Als Trägerin sozialer und gesundheitlicher Hilfen und Strukturen der Daseinsvorsorge hat die freie Wohlfahrtspflege eine Schlüsselfunktion bei der Umsetzung sozialstaatlicher Sicherung. Sie ist eine wichtige Partnerin der Jobcenter, wenn sie Arbeitsgelegenheiten, Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen anbietet. Beide spannen gemeinsam mit anderen Akteuren das sozialstaatliche Netz auf und tragen Sorge dafür, dass zielgerichtete wirkungsvolle Unterstützung ermöglicht wird und niemand durch die Maschen fällt.
Damit dies für die Jobcenter gelingen kann und um diesen Ansatz in die Fläche zu bringen, wurden im Deutschen Verein 2021 Empfehlungen erarbeitet.1 Ziel war auch, eine "schwierige" Klientel (wieder) besser zu erreichen und ihr durch eine Präsenz in den Quartieren zielgenauer zu helfen.
Es ist oft nicht nur einfach die fehlende Arbeit, die für viele Langzeitarbeitslose die Wiedereingliederung in Arbeit erschwert. Meist kommen weitere wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Belastungen dazu wie etwa eine geringe formale Bildung und fehlende berufliche Qualifikationen, fehlende soziale und berufliche Netzwerke, der Verlust des Partners oder der Partnerin, Migrationshintergrund, Wohnungsverlust, Verschuldung, eine Suchtproblematik und Ähnliches.
Solche sozialen Schwierigkeiten zu überwinden ist zwar keine originäre Aufgabe der Jobcenter. Dennoch sollten sie ihre Klientel in andere soziale Unterstützungsangebote vermitteln, falls es in Arbeit oder Ausbildung nicht möglich ist. Die Dienste und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege beraten, unterstützen und begleiten viele Kund:innen der Jobcenter oft über Jahre hinweg: etwa in der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) der Caritas. Über 50 Prozent der Ratsuchenden erhielten ALG II, nun Bürgergeld, oder stocken auf. Die Stichtagserhebung der ASB zeigt über die Jahre hinweg einen gleichbleibend hohen Anteil von Menschen in langjähriger Abhängigkeit von Transferleistungen: Über 40 Prozent der Ratsuchenden beziehen diese schon länger als 36 Monate.
Quartierszentrum als niedrigschwellige Anlaufstelle
Ehrenamtlich Engagierte unterstützen diese Menschen als Mentor:innen bei der Ausbildungsplatzsuche, in der Hausaufgabenhilfe, bei der Ämterbegleitung, beim Sortieren von Unterlagen und mehr. Das Quartierszentrum bietet eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen in einer schwierigen wirtschaftlichen, sozialen oder psychosozialen Situation. Meist gibt es hier auch Möglichkeiten für Leistungsberechtigte, sich selbst aktiv einzubringen und damit vor allem Selbstwirksamkeit zurückzugewinnen.
Aus dem Einblick, den die Dienste und Einrichtungen in die Lebenslage ihrer Nutzer:innen gewinnen, können die örtlichen Verbände der freien Wohlfahrt aufzeigen, bei welchen Personengruppen es einen besonderen Handlungsbedarf gibt. Daraus ergibt sich auch, in welchen Stadtteilen sich diese Problemlagen kumulieren und welche quartiersbezogenen Angebote die Menschen bei ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Integration stärken könnten. Die Mitarbeitenden der Dienste berichten, wie sie Menschen dabei unterstützen, überhaupt erst den Weg in die Jobcenter zu finden.
Die freie Wohlfahrt verfügt über solide Strukturen eines breitgefächerten Hilfenetzes. Doch in strukturschwachen Räumen hat sie Schwierigkeiten, dieses engmaschig aufgespannt zu halten. Umso mehr lohnt es sich, dieses Netz mit den Jobcentern zu verknüpfen. Hier gilt es noch Potenziale zu heben. Alle Strukturen der Unterstützungssysteme sollten genutzt, unterschiedliche Perspektiven auf die Lebenslagen der Klientel der Jobcenter einbezogen, verschiedene Lösungsansätze und Hilfen miteinander verknüpft sowie Zugänge zu schwer erreichbaren Zielgruppen geebnet werden, um dann integrierte Angebote machen zu können.
Die Versäulung der Fachdienste überwinden
Seit geraumer Zeit wird dieser Prozess von der freien Wohlfahrtspflege vorangetrieben. Mit dem Fachkonzept der Sozialraumorientierung soll die Versäulung der Fachdienste überwunden und ein ganzheitlicher Blick entwickelt werden, um in Stadtentwicklungsprozessen mitzuwirken und so die Lebenssituation von Menschen in sozialen Problemlagen nachhaltig zu verbessern. Denn bekannt ist: Armut und Ausgrenzung haben häufig auch eine räumliche Dimension. In benachteiligten und strukturschwachen Gegenden ballt sich Transferleistungsbezug und verstärken sich individuelle Benachteiligungen.
Dies aufzubrechen ist keineswegs banal. Jeder Fachdienst hat sein spezifisches Profil, erfordert besondere Qualifikationen und Hilfeansätze. Zudem wird in den Sozialgesetzbüchern (SGB) ein Hilfebedarf von individuellen Schwierigkeiten und Problemen abgeleitet. Die Lösungsansätze sind entsprechend fachspezifisch und auf das individuelle Problem bezogen, beispielsweise Arbeitsförderung, Arbeitsvermittlung, Qualifikation wie etwa im Falle der Jobcenter, Schuldner- oder Migrationsberatung.
Fallmanagement funktioniert nur, wenn kooperiert wird
In andere Fachdienste weiterzuvermitteln ist Sache der Beratungsstellen. Aber nicht immer gelingt dies, da die Hürden für die Leistungsbeziehenden zu manchen Einrichtungen oder Behörden hoch sind. In vielen Beratungsdiensten ist mittlerweile das Fallmanagement Standard. Damit es funktioniert und unterschiedliche Beratungen und Unterstützungsleistungen sinnvoll ineinandergreifen, ist eine intensive Kooperation der Dienste und Einrichtungen Voraussetzung.
Fast noch wichtiger ist, den Fall in den Sozialraum einzubringen, das Lebens- und Wohnumfeld, in dem die Person lebt, einzubeziehen. Das bedeutet, dass die Unterstützungsangebote zu den Menschen kommen müssen.
Hier ist der Ansatzpunkt für die Jobcenter. Viele Leistungsbeziehende leben in benachteiligten und oft auch peripheren Sozialräumen. Dies erschwert die Zugänge zu den Hilfesystemen. Eine Außenstelle oder mobile Sprechstunden eines Jobcenters in diesen Quartieren verkürzt nicht nur den Weg für die Klient:innen. Die Schwelle lässt sich leichter überschreiten, wenn das Jobcenter nicht in einer zentralen Behörde verortet ist, sondern kleiner und persönlicher auftritt. Infrage kommen Büros im Stadtteil, etwa in einem Gebäude mit anderen Institutionen zusammen wie der örtlichen Bibliothek, dem Stadtteiltreff, den Beratungsstellen der Wohlfahrtspflege. Der Weg zum Jobcenter kann durch Letztere geebnet werden, da diese mit den Klient:innen schon ein Vertrauensverhältnis aufgebaut haben.
Auch die Lebenslage selbst erschwert oft die Zugänge zum Jobcenter und dessen Leistungen - seien es die mangelnde schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit, niedriger Bildungsstand, Unkenntnis über Rechtsansprüche, das Image, das Jobcentern vorauseilen mag, gesundheitliche Einschränkungen oder wenn im Extremfall Wohnungslosigkeit es verkompliziert, Unterlagen beizubringen.
Hilfen direkt im Lebensumfeld der Menschen anbieten
Eine Präsenz im Sozialraum ermöglicht dem Jobcenter, im unmittelbaren Lebensumfeld der Betroffenen ein Hilfenetz anzubieten und gemeinsam mit den anderen Akteuren vor Ort gezielt Maßnahmen der Arbeitsförderung zu entwickeln. Ein prominentes Beispiel ist hier der Stromspar-Check, der schon in mehreren Projektphasen weiterentwickelt wurde.
Für die Gemeinwesenarbeit in benachteiligten Sozialräumen sind die Jobcenter wesentliche Partner, denn sie sichern die Existenz ihrer Kund:innen. Sie übernehmen die Kosten der Unterkunft, fördern Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und Arbeitsgelegenheiten. Dies gemeinsam mit anderen Akteuren im Quartier zu entwickeln, erhöht die Zielgenauigkeit, aber auch die Bedarfsgerechtigkeit. Das gilt sowohl im Blick auf die Leistungsberechtigten wie auch aufs Quartier, wenn etwa der lokale Betrieb für eine Maßnahme der Arbeits- und Ausbildungsförderung gewonnen werden kann oder die Aufwertung des öffentlichen Raums gemeinsam mit den Bewohner:innen erfolgt und hierbei Arbeitsgelegenheiten entstehen.
Das Zusammenwirken in Netzwerken mag zunächst anstrengend sein, da unterschiedliche Professionen, Haltungen, Interessen und Perspektiven aufeinandertreffen. Aber genau dies verspricht wiederum den Erfolg sozialer und beruflicher Netzwerke. Vielfältige Expertise fließt in ganzheitlich gedachte und damit meist auch nachhaltigere Lösungen ein. Vor allem können schwer zu erreichende Zielgruppen von den freien Trägern meist besser motiviert werden, an den Lösungen mitzuwirken und Mitverantwortung zu übernehmen.
Anmerkung
1. Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Präsenz von Jobcentern im Sozialräumen. DV 16/20, 24. März 2021, https://bit.ly/3uJ03oC
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