Fürsorge für Fremde
Am Anfang stand die Italienerfürsorge. Italienische Emigranten: die größte Massenwanderung der neueren Geschichte, vor allem wegen Armut und Übervölkerung, vor allem vom Land und aus dem agrarisch geprägten Süden. Über 14 Millionen machten sich seit der Staatsgründung bis 1915 auf den Weg ins Ausland, ins damalige Deutsche Reich 1,2 Millionen. Suchten Arbeit, vor allem als Bauhilfsarbeiter, als Garnspinnerinnen und Näherinnen. 150.000 italienische Männer arbeiteten zeitweilig in Süddeutschland im Eisenbahn- und Kanalbau und in Steinbrüchen, lebten und schliefen, wo sie arbeiteten, in Zelten und im Freien, von Unfällen, Krankheiten und Sprachdefiziten geplagt. Ihre Not schrie zum Himmel, vor den Toren von Freiburg.
Lorenz Werthmann, erster Caritaspräsident, sammelte konkrete Erfahrungen in der Fürsorge für diese Arbeitsmigranten: Nicht nur der Seelsorge schienen sie ihm bedürftig, es brauchte konkrete Sozialarbeit. Beratung in Passangelegenheiten, arbeitsrechtlich, bei Unfall- und Krankheitsfolgen. Dazu gründete Werthmann 1896 ein italienisches Arbeitersekretariat in Freiburg, warb Italiener als eigene Mitarbeiter und gab eine Wochenzeitung auf Italienisch heraus. Er regte Zusammenschlüsse zur Selbstvertretung an, leitete Briefe und Post weiter und schuf eine Sparkassenstelle gegen Übervorteilung der oft bildungsfernen und rechtlosen Migranten. Mehr Parteinahme geht nicht? Doch, er vernetzte alle gleichartigen Initiativen seiner Zeit in Deutschland zum Schutzkomitee für italienische Arbeiter in Deutschland. Frauenvereine für die Arbeiterinnen initiierte er, Abend- und Sonntagsschulen sollten den Frauen mehr Eigenständigkeit durch Bildung verleihen. Er verfocht die Anliegen der Migranten als Caritasanliegen auf jedem Katholikentag beredsam, werbend, kenntnisreich. Für deren Finanzierung hatte er das Erzbistum Freiburg, den badischen und den italienischen Staat, aber auch private Spender gewonnen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach die Italienerfürsorge, doch selbst da organisierte Werthmann Hilfe zur Rückkehr.
Das Werthmann’sche Modell der Fremdenfürsorge war umfassend, erfolgreich und identitätsprägend. So, dass sich deutschlandweit die Caritas Jahrzehnte darauf an seinen wesentlichen Prinzipien orientierte, als Hunderttausende Flüchtlinge und Heimatvertriebene Ende der Vierzigerjahre in vergleichbarer existenzieller Not und Rechtlosigkeit sahen. Fürsorge der Caritasstellen und Seelsorge der katholischen Kirche wurden zugeschnitten auf kulturelle Bedürfnisse. Dass den Flüchtlingen in diesem Fall keine Rückkehroptionen zur Verfügung standen, machte aber einen neuen, ganzheitlichen Ansatz der Caritas für migrantische Menschen jeden Alters notwendig.
Hilfe: individuell und umfassend
Die Arbeit für und mit Migranten wurde fortgesetzt nach dem deutsch-italienischen Anwerbeabkommen 1955 - dem später ähnliche Verträge mit anderen europäischen Ländern folgten. Angeworben wurden Arbeitskräfte für die Kohle- und Stahlindustrie, dann für den allgemeinen Personalbedarf im wirtschaftlichen Aufschwung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik. Den Italienern (1956 bis 1972 kamen zwei Millionen italienische Arbeitskräfte nach Deutschland) folgten Spanier, Portugiesen, Türken - und deren Familienangehörige, als sich abzeichnete, dass es für sehr viele Migranten nicht nur um zeitweilige Arbeitsaufenthalte ging, sondern um eine Entscheidung für viele Jahre oder Generationen. Dabei soll daran erinnert werden, dass sich die materielle Not und Rechtlosigkeit sogenannter "Gastarbeiter" auch in der Wirtschaftswunderzeit kaum unterschied von der Lage der Italien-Auswanderer zur Jahrhundertwende. Später waren es vor allem Aussiedler aus Russland und Flüchtlinge als Asylbewerber, die nach Deutschland kamen. Die Caritas handelte und betreute auch bei großem Zuwanderungsdruck individuell, umfassend und ohne jemanden wegen Herkunft oder Religion auszuschließen. Heute leben übrigens nur in Italien und Argentinien mehr Italiener als in Deutschland. Dass sie sich hier zu Hause fühlen, ist auch ein Stück Caritasgeschichte. (Mehr zur Caritasgeschichte im neue
caritas Jahrbuch 2022: www.neue-caritas.de/jahrbuch)
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