Betroffene rassistischer Gewalt brauchen und bekommen bedarfsgerechte Hilfe
Menschen, die rassistische Gewalt erfahren, finden sich auch unter den Klient(inn)en der Einrichtungen von Wohlfahrtsverbänden. Sie kommen zur Migrationsberatung, leben in stationären Einrichtungen, sind im schulischen oder im Pflegebereich zu finden. Die Fachkräfte an diesen Kontaktorten sind von hohem Wert für die seelische und soziale Gesundung, auch von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt.
Häufig unterschätzen Fachkräfte der Sozialarbeit die eigene Rolle, insbesondere bei hoch belasteten Klient(inn)en. Dabei sind gerade sie es, die erstens Hilfe anbieten, die an der gesamten Lebenswelt orientiert ist und so für einen stabileren Alltag der Klient(inn)en sorgt. Zweitens leisten sie kontinuierliche Beziehungsarbeit und ermöglichen positive soziale Erfahrungen. Drittens können sie belastete Menschen, die wenig Zugang zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung haben, durch niedrigschwellige Angebote überhaupt erst erreichen.
Rassistische Gewalttaten: hohe Dunkelziffer vermutet
Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) registrierte für 2019 allein in acht Bundesländern über 1347 vorurteilsmotivierte Angriffe mit fast zweitausend Betroffenen.1 Bei diesen Zahlen handelt es sich allerdings nur um das Hellfeld, also veröffentlichte Vorfälle oder Betroffene, die in den spezialisierten Beratungsprojekten Unterstützung gesucht haben. Eine Vielzahl an rechten Gewalttaten bleibt im Verborgenen. Zielgruppen der Unterstützung in der Opferberatung sind Menschen, die rassistisch oder antisemitisch motivierte Gewalt erleben oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität angegriffen werden; Menschen, die aufgrund ihres sozialen Status ausgegrenzt und abgewertet werden, wie obdachlose oder bettelnde Personen sowie Menschen, die gegen Rassismus und Rechtsextremismus aktiv sind.
Da in den letzten fünf Jahren viele rechte Gewalttaten ein rassistisches Motiv als Hintergrund hatten und tatsächlich ungefähr ein Drittel der registrierten Angriffe ausgemacht haben, konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf jene Betroffenengruppe. Deren Unterstützung erfolgt proaktiv, das heißt, Vorfälle werden durch die Fachkräfte recherchiert und den Betroffenen ein Beratungsangebot meist über Kooperationspartner(innen) in der sozialen Arbeit oder den Ermittlungsbehörden vermittelt. Dabei verfolgt die Opferberatung einen niedrigschwelligen, aufsuchenden und klientenorientierten Ansatz.2
Die Unterstützungshaltung ist parteilich, was bedeutet, dass die Sichtweisen und Interessen der Betroffenen für die Beratung handlungsleitend sind. Judith Porath, Opferberaterin in Brandenburg, beschreibt diesen grundlegenden Ansatz wie folgt: "Sie [die Parteilichkeit] macht einerseits eine persönliche Haltung der Berater(innen) aus, die durch Solidarität und Akzeptanz geprägt ist, ohne jedoch die kritische Distanz zu verlieren. […] Andererseits bedeutet Parteilichkeit auch den gesellschaftspolitischen Einsatz für die Interessen und Forderungen der Betroffenen."3
Die spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt haben ihre Unterstützung an die Situation und die spezifischen Bedarfe der Betroffenen angepasst. Nichtsdestotrotz sollten auch Akteure im weiteren sozialarbeitenden Kontext eine Idee davon haben, was für Menschen in einer psychosozialen Notlage nach erlebter rassistisch motivierter Gewalt hilfreich ist. Denn Betroffene finden nicht immer den Weg in die spezialisierten Beratungseinrichtungen, werden auch in anderen Angeboten betreut und brauchen neben Schutz und Sicherheit auch dort Verständnis für ihre Situation und Unterstützung in der Krise.
Beziehung und soziale Unterstützung als Wirkfaktoren
Rassistische Gewalt verletzt durch einschneidende schlechte und schädliche zwischenmenschliche Erlebnisse in massiver Weise das Grundbedürfnis nach Beziehung und Bindung. Hinzu kommt, dass rassisti sche Gewalt meist in eine Vielzahl negativer sozialer Erfahrungen eingebettet ist, die Betroffene gemacht haben, wie Diskriminierung und Herabwürdigungen im Alltag. Rassistisch motivierte Gewalt kann also möglicherweise weniger leicht mit positiven Beziehungserfahrungen kompensiert werden. Zusätzlich mussten Betroffene mit Fluchtgeschichte häufig mehrere Beziehungsabbrüche bewältigen. Nicht wenige Betroffene leben zudem weitgehend isoliert und haben gegenwärtig keine nahen Bindungspersonen. Dies macht Betroffene nicht nur im Vorfeld vulnerabel für Gewalt, auch ist das Risiko von Folgebeeinträchtigungen durch eine rassistische motivierte Gewalttaterfahrung deutlich erhöht.
Die Bedürfnisse wahrnehmen
Eine wertschätzende, tragfähige Beziehung ist die Grundlage für das Gelingen jeglicher sozialarbeiterischer Intervention. Sie hilft aber auch, Vertrauen in die Menschheit wiederherzustellen, das durch das Gewalterleben erschüttert wurde. Sie hat somit auch eine heilende Qualität. Wesentliche Merkmale einer guten Beziehung sind eine authentische Zugewandtheit, also ein ernsthaftes Interesse an der inneren und äußeren Not der Klient(inn)en sowie das Wahrnehmen ihrer Bedürfnisse. Dies bedeutet, sich selbst zu zeigen, Beziehung in ihrer Ambivalenz zu verstehen, auszuhalten und bewusst einzusetzen. Heilende Beziehungserfahrungen finden sich aber nicht nur zwischen zwei Personen im Beratungsverhältnis, sondern können auch aus öffentlichen Solidarisierungen entstehen. Denn ein wesentlicher Aspekt des Viktimisierungsprozesses sind die Reaktionen der Gesellschaft und des sozialen Umfeldes auf einen rassistischen Übergriff. Es hat einen enormen Einfluss auf die Tatfolgenbewältigung des Opfers, ob der Vorfall ernst genommen und dem Betroffenen Glauben geschenkt wird oder ob das Erlebnis bagatellisiert, dem Betroffenen vielleicht sogar eine Mitschuld unterstellt wird.
Alle Maßnahmen, die entlasten, sind gut
Gewalterfahrung und andauernd erlebte Ausgrenzung und Abwertung erzeugen Stress: Stress durch die Gewalterfahrung, durch die allgemeinen Lebensbedingungen, die Wechselwirkungen beider Aspekte und auch durch das Verhalten, das der/die Klient(in) entwickelt hat.⁴ Nicht selten folgt nach einem Gewalterlebnis auf eine Phase starker Affektivität eine Phase enormer Erschöpfung. Alle Maßnahmen, die Entlastung schaffen, also stressregulierend wirken, sind erst einmal hilfreich, sei es Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten, in alltagspraktischen Dingen sowie materielle Hilfe. Neben konkreter Hilfe und der Aktivierung individueller Kompetenzen geht es um die Entwicklung von Ressourcen im direkten Umfeld der Betroffenen, also soziale Unterstützung im Leben der Menschen. An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr die Aspekte Beziehung und soziale Unterstützung ineinandergreifen, um Menschen aus einer krankmachenden Situation herauszubegleiten und den Zumutungen einer rassistischen Realität gestärkt begegnen zu können.5
Sozialarbeiter(innen), die mit Betroffenen rassistischer Gewalt in Kontakt sind, sollten ihren Anteil an der Behandlung belasteter Menschen nicht unterschätzen, sondern sich ihres Einflusses auf das soziale Erleben der Klient(inn)en bewusst werden und als zentrale Intervention im Heilungsprozess begreifen.
Anmerkungen
1. Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.: Jahresbilanz rechte Gewalt, 2019. Verfügbar unter: https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2019-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen
2. Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.: Qualitätsstandards für eine professionelle Unterstützung (2. Aufl.). Berlin: Eigenverlag, 2015.
3. Porath, J.: Beratung für Betroffene rechter Gewalt. Spezifik des Arbeitsansatzes und des Beratungskonzeptes. In: Opferperspektive e.V. (Hrsg.): Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt. An der Seite der Betroffenen beraten, informieren, intervenieren. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2013, S. 227-242.
4. Das Person-in-Environment-Modell erfasst den Menschen in seiner Lebenswelt, unter deren Bedingungen er agiert, die er beeinflusst, die aber auch seine Möglichkeiten strukturiert. Pauls, H.: Klinische Sozialarbeit. Grundlagen und Methoden psycho-sozialer Behandlung (3. Auflage). Weinheim und Basel: Beltz, 2013.
5. Nowak, L.: Psychosoziale Beratung von Betroffenen rassistischer Gewalt mit Fluchterfahrung. In: Trauma - Zeitschrift für Psychotraumatologie und ihre Anwendungen, 18 (1)/2020, S. 82-93.
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