Schuldnerberatung für alle
In der Schuldnerberatung gibt es eine Zweiklassengesellschaft. Zum einen sind es Menschen mit Schulden, die einen Anspruch auf Beratung bei Wohlfahrtsverbänden, Kommunen und Verbraucherzentralen haben, zum anderen jene - ebenfalls mit Schulden -, die auf gewerbliche Angebote verwiesen worden sind und die Kosten für Beratung selbst tragen müssen. Wer Zugang zu den kostenfreien gemeinnützigen Angeboten hat, unterscheidet sich von Ort zu Ort. Denn jede Kommune entscheidet selbst, welche Angebote sie finanziert. Häufig gehören jedoch Selbstständige und Erwerbstätige zu den ausgeschlossenen Gruppen. War diese Ungleichbehandlung bisher schon wenig nachvollziehbar, zeigen die Corona-Pandemie und ihre Folgen nun sehr deutlich, dass die zugrundeliegende Annahme, dass Selbstständige, Erwerbstätige und Rentner(innen) im Fall von Schulden ihre Beratung selbst bezahlen können, nicht trägt: Solo-Selbstständige ohne Einnahmen und Erwerbstätige in Kurzarbeit mit minimalem Auskommen sehen aktuell ihre finanzielle Sicherheit schwinden. Etwaige Reserven sind verbraucht. So verschärfen die derzeitigen Regelungen zur Schuldnerberatung in SGB II und XII die Ungleichbehandlung von Menschen mit Schulden: Die einen erhalten Hilfe - die anderen nicht.
Gesetzliche Umsetzungen wie diese offenbaren, wie Schuldnerberatung und das dahinterstehende Sozialstaatsprinzip verstanden werden, ebenso, welches Menschenbild sich dahinter verbirgt. Nur jene, die offenkundig schon "in den Brunnen gefallen sind", das heißt, bereits im Netz sozialer Sicherungssysteme hängen, können von Unterstützung und Beratung der Schuldnerberatungsstellen profitieren. Menschen, die gerade noch im System "funktionieren", aber Schulden bei Dritten nicht ausgleichen können und Sorge vor dem finanziellen Totalausfall haben, müssen für eine Beratung selbst zahlen. Weder ihre Überschuldungssituation bei Dritten noch ihre psychisch angestrengte Lage haben eine politische Relevanz. In diesem Sinne wird der Mensch allein anhand seiner aktuellen ökonomischen Kraft gemessen. Sowohl wirtschaftliche Konsequenzen als auch die psychosoziale Entwicklung sind dabei nicht im Blick. Das Recht auf soziokulturelle Teilhabe und auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wird in solchen juristischen Restriktionen ad absurdum geführt (Art. 20 GG; Urteil BVG 02/2010).
Die Forderung der kostenlosen Schuldnerberatung für alle entspringt dem ethischen Prinzip der Teilhabe und ihrer Ermöglichung.
Eine drohende Überschuldungssituation führt notgedrungen zu Einschränkungen wirtschaftlicher Teilhabe. Diese Einschränkung wiederum hat zur Konsequenz, dass sich die von Schulden bedrohten und betroffenen Menschen sowohl kulturell als auch sozial zurückziehen - aus Sorge vor weiterer Destabilisierung oder Eskalation der finanziellen Situation ebenso wie aus gesellschaftlicher Scham, nicht mithalten zu können.
Der Grund ist das ethische Prinzip der Teilhabe
Im Sinne der katholischen Soziallehre zielt Caritas-Arbeit und damit auch ihre Schuldnerberatung darauf, den Menschen zu befähigen, gesellschaftlich teilzuhaben, und das heißt auch: sich persönlich weiterzuentwickeln. Dieses Prinzip der Personalität steht an oberster Stelle. Ein dauerhaft psychisch angespannter Zustand, bestimmt von Angst, Stress und Sorgen aufgrund finanzieller Schieflagen, behindert eine Weiterentwicklung der Person. In unserer Gesellschaft ermöglicht erst finanzielle Sicherheit eine selbstverantwortete und selbstbestimmte Lebensweise.
Sowohl die Praxis als auch der Anspruch der Schuldnerberatung zeigt: Schuldnerberatung ist psychosoziale Beratung. Überschuldungsgeschichten sind oftmals Geschichten beruflicher oder persönlicher Schicksalsschläge. Neben der finanziellen Beratung, von der Analyse über Sicherung der Existenzgrundlage hin zu Schuldenregulierung und Budgetberatung, braucht es ebenso einen Blick für die individuelle Situation wie Kriseninterventionen, persönliche Stabilisierung und Reflexion des eigenen Konsumverhaltens.
Niedrigschwellig eine(n) Ansprechpartner(in) und persönliche Beratung zu finden, kann schnell das Selbstbewusstsein wie auch die Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden erheblich verbessern. Gerade auch Erwerbstätige können mit dieser Unterstützung finanzielle Krisen bewältigen. Um nicht tiefer in die Schuldenfalle zu geraten und das Arbeitsverhältnis zu gefährden, benötigen überschuldete Arbeitnehmer(innen) einen offenen Zugang zur Schuldnerberatung. Hier darf das Prinzip der Subsidiarität nicht durch einfache bürokratische Grenzsetzung ins Gegenteil verkehrt werden. Bestehende Arbeitsverhältnisse und Einkommen dürfen nicht per se so verstanden werden, dass keine Unterstützung notwendig sei. Es gilt, sowohl die individuelle Lebenssituation zu beachten als auch den Armutsrisiken in Deutschland politisch zu begegnen.
Der Bedarf an präventiver Aufklärung ist groß
Wird Schuldnerberatung sowohl als Teilhabeermöglichung und als psychosoziale Beratung ernst genommen, wird deutlich: Schuldnerberatung hat auch Präventionscharakter und trägt zur finanziellen Bildung bei. Dieser Aspekt ist vor allem deshalb wichtig, weil der Bedarf an präventiver Aufklärungsarbeit aufgrund des wachsenden neuartigen Kreditmarktes relativ jung ist. Ob für Handy- oder Streamingverträge: Das Konsumverhalten verändert sich stark durch Werbung und das wachsende Angebot direkter Finanzierungsmöglichkeiten. Die Verschuldung bei dem Erwerb von Konsumgütern nimmt zu. Vor diesem Hintergrund kommt der Schuldnerberatung vermehrt die gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu, über Risiken aufzuklären, Konsumverhalten zu reflektieren, zu kritisieren und Trends der Wirtschaft auf politischer Bühne zu diskutieren.
Obgleich das Recht auf Schuldnerberatung für alle hier vor allem aus der Perspektive der betroffenen Personen bedacht wird, ist dennoch auf wirtschaftsethische Hinweise aufmerksam zu machen. Das Angebot einer offenen und niedrigschwelligen Schuldnerberatung wird gesamtgesellschaftliche Folgekosten mindern. Indem ver- und überschuldete Personen wirtschaftlich und sozial schnell stabilisiert werden, bleiben zum einen die Mehrausgaben bei sozialen Sicherungssystemen aus und zum anderen Kaufkraft und Steueraufkommen der Personen erhalten.
Aufklären über die Schieflage in der Gesellschaft
Um die Problemlagen der auf Beratung angewiesenen Menschen an der Wurzel zu packen, braucht es neben den sozialethischen Fragen nach Sicherungssystemen und Beratungszugängen einen tiefergehenden Blick auf die Gesellschaft. Welches Bild von Schuldner(inne)n herrscht in der Gesellschaft vor, mit welchen Vorurteilen und Verurteilungen sind diese Menschen konfrontiert? Wie begünstigt Politik solche Bilder, wie wirkt sie dagegen?
Die Corona-Pandemie zeigt so manche Schieflage im System wie unter einem Brennglas auf. Die Schuldnerberatung der Caritas ist Dienstleister und Anwalt für Schuldner(innen). Und ebenso ist sie Solidaritätsstifter und das heißt: Überwindung der Zweiklassengesellschaft und eines Stereotypendenkens durch Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft und Durchbrechen gesellschaftlicher und politischer Logiken.
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