Osteuropäische Betreuungskräfte: Ende des Pflegenotstandes?
Die Zahl pflegebedürftiger Menschen steigt. Die Betreuung und Versorgung alter Menschen stellt im Zuge der sich wandelnden gesellschaftlichen und familiären Strukturen ein bisher nicht gelöstes Problem dar. Zudem wünschen viele Betroffene, bis zum Lebensende zu Hause gepflegt zu werden. Betreuungskräfte aus mittel- und osteuropäischen Ländern helfen hier aus. Sie sind oft rund um die Uhr für den Haushalt und die Grundversorgung pflegebedürftiger älterer Menschen zuständig. Viele ambulante Pflegedienste nehmen die Betreuungskräfte aus Polen und Rumänien als Konkurrenz wahr. Ist diese Furcht berechtigt? Häufig werden ein Sinken der Pflegequalität, mangelndes fachliches Wissen und schlechte sprachliche Voraussetzungen vonseiten der Pflegeprofis angeführt.
Das studentische Forschungsprojekt der Katholischen Hochschule Freiburg "Migration und Pflege"1 (2013/2014) hat diese Problematik unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse mündeten in eine Projektkonzeption. Die Studierenden befragten in einer quantitativen Studie Mitarbeitende ambulanter Pflegedienste in Freiburg, dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald und dem Landkreis Emmendingen. Sie führten qualitative Interviews mit den Betreuungskräften aus Osteuropa und Angehörigen der Pflegebedürftigen durch.
Zentrale Ergebnisse der Studie
Die in der Literatur2 kursierende Zahl von 150.000 Betreuungskräften in Deutschland konnte mittels einer Hochrechnung basierend auf der quantitativen Erhebung der Pflegedienste in den drei Gebietskörperschaften belegt werden. Dies lässt für das Land Baden-Württemberg für 2013 auf eine Zahl von mindestens 5000 24-Stunden-Betreuungskräften schließen. Sichtbar wurde, dass demenzielle Erkrankungen primärer Grund für die Beschäftigung einer 24-Stunden-Betreuungskraft aus Osteuropa sind. Dies wurde in mehr als 50 Prozent der Fälle angegeben.
Eine Zusammenarbeit der Pflegedienste mit den Betreuungskräften existiert im Ansatz und ist ausbaufähig. Pflegedienste gaben mehrheitlich (in über 70 Prozent der Fälle) an, über die Aufgaben der Betreuungskräfte informiert zu sein. In 50 Prozent der Fälle ist die Betreuungskraft bei der Pflegeleistung des Pflegedienstes anwesend und in über 40 Prozent der Fälle ist die Betreuungskraft in die Arbeit der Pflegekräfte eingebunden.
Sprachprobleme stehen im Vordergrund
Die Pflegedienste wurden auch darüber befragt, welche Bedingungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen professioneller Pflege und Betreuungskräften aus Osteuropa notwendig wären. Primär wurde genannt, dass sprachliche Barrieren abgebaut werden müssten, gefolgt von der Forderung einer klaren Aufgabenteilung, um Konkurrenzsituationen zu vermeiden. Darüber hinaus sehen die Pflegedienste bei den Betreuungskräften aus Osteuropa erhebliche Defizite in der Fachlichkeit.
Eine wichtige Erkenntnis der Studie stellt dar, dass Pflegedienste angaben, dass sie die Versorgung durch eine Betreuungskraft und den Pflegedienst insbesondere im Kontext demenzieller Erkrankung als bedarfsgerecht betrachten. Die demenzielle Erkrankung wurde unabhängig von der Pflegestufe erfragt. Deutlich wurde, dass die Pflegestufen eins und zwei annähernd gleiche Werte aufweisen. Im Durchschnitt sind in rund 82 Prozent der Fälle die Pflegeempfänger bedarfsgerecht versorgt (s. Grafik).
Es gibt den Wunsch nach Zusammenarbeit
Interessant ist ferner das Ergebnis, dass Konkurrenzen zwischen Pflegedienst und Betreuungskraft nur punktuell festgestellt werden konnten. Dies wurde insbesondere dann deutlich formuliert, wenn der Einsatz des Pflegedienstes reduziert wurde. 75?Prozent der Pflegedienstmitarbeiter(innen) gaben jedoch an, keine Konkurrenz in den Betreuungskräften zu sehen. Sie äußerten zudem das Interesse, eine Zusammenarbeit auszubauen.
Der Wunsch auf Verbleib in der eigenen Häuslichkeit kann nach Aussagen der befragten Angehörigen nur mittels der Betreuungskräfte realisiert werden. Die Interviews mit Angehörigen lassen erkennen, dass der familiäre Charakter der Pflege Priorität hat. Zugleich wird die Anstellung einer Betreuungskraft als kostengünstige Versorgung gesehen. Meist sind diese informell beschäftigt. Es gibt durchaus Absprachen zum Freizeitausgleich etc. - aber nie rechtlich bindende Regelungen zu Arbeitszeit oder Arbeitsauftrag und kaum Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Als Quintessenz der Studie lässt sich festhalten, dass hinsichtlich legaler Beschäftigung von Betreuungskräften aufseiten der Angehörigen einerseits ein Informationsdefizit und anderseits eine Kultur der Ignoranz herrscht.
Die Interviews mit Betreuungskräften brachten hingegen folgende Erkenntnisse: Die befragten Frauen sehen sich als Familienmanagerin in der neuen Familie. Sie sind jedoch auch durch die Trennung von der eigenen Familie belastet. Sie zeigen einen gewissen Pragmatismus in der Ausübung ihrer Tätigkeit und planen keine dauerhafte Niederlassung in Deutschland. Die Betreuungskräfte fühlen sich durchaus von den Angehörigen respektiert. Die Kooperation mit den Pflegediensten bewegt sich ihrer Einschätzung nach jedoch in einem Spannungsfeld zwischen Ignoranz und Wertschätzung.
Arbeitsverhältnisse sollten legalisiert werden
In der Studie bestätigt sich: Die Arbeitsbedingungen der Betreuungskräfte sind informell geregelt und die mangelnde Realisierung formeller Rechte hinsichtlich arbeitsrechtlicher Bestimmungen lässt einen verdeckten Rassismus erkennen, der vielleicht aus der Not geboren ist, aber in der Wahrnehmung der Realität zur Unkenntlichkeit verschwimmt.
Fazit der Studie ist, dass die pflegefachliche Professionalität der ambulanten Pflegedienste und die zeitintensive Betreuungsleistung der Betreuungskräfte sich ergänzen könnten, wenn Kompetenzen klar strukturiert und getrennt werden. Entsprechend entwickelte die studentische Gruppe einen Vorschlag für ein Pflegebegleitgespräch, in dem Aufgaben und fachliche Anforderungen an beide Seiten diskutiert und festgehalten werden. Die Chancen für die ambulanten Pflegedienste liegen darin, durch ihre Professionalität und ihre Beratungsfähigkeit das häusliche Pflegesetting zu erhalten und zu optimieren. Die Unterstützung durch eine adäquate Information der Betreuungskräfte dient dem Wohlergehen der Patienten und damit der Geschäftsgrundlage. Die professionelle Unterstützung durch examiniertes Personal für die Betreuungskräfte in den Haushalten kann die Angebotspalette der ambulanten Pflegedienste erweitern.
Migrationsspezifische Unterstützung ist nötig
Die studentische Forschung mündete in der Installierung eines bundesweiten Projektes am Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung der Katholischen Hochschule Freiburg. Es wird gefördert vom Bundeswissenschaftsministerium.
Das Projekt zur "Verbesserung häuslicher Pflegearrangements" zielt auf die Entwicklung von Unterstützungsstrukturen für in Haushalten pflegebedürftiger älterer Menschen tätige mittel- und osteuropäische Migrant(inn)en. Einen wichtigen Ansatz bildet dabei der Zugang zu diesen über Pflegedienste und deren erweiterte Angebote. Angestrebt wird, die Arbeitsbedingungen der sogenannten "Live-Ins" (im Haushalt lebende Betreuungskräfte) und die Pflegearrangements zu verbessern. Aktuell werden die Problemlagen erforscht. Danach sollen nachhaltige und übertragbare Konzepte zur Verbesserung der Arbeits- und Pflegesituation entwickelt, erprobt und verbreitet werden sowie Konzepte zur Unterstützung und Qualifizierung der Migrant(inn)en, zur Angehörigenberatung und zur Kooperation mit den Pflegediensten. Ziel ist auch, legale Beschäftigung zu fördern. Die Entwicklung und Erprobung werden in zwei Modellregionen (Freiburg/Breisgau-Hochschwarzwald und Frankfurt/Main) realisiert und später auf ihre Übertragbarkeit hin diskutiert. Die Erkenntnisse und Modelle aus dem Projekt zielen auf eine Weiterentwicklung von Angeboten und Strukturen der ambulanten Pflegedienste. Migrationsspezifische Unterstützungsstrukturen werden diesen bundesweit zur Verfügung gestellt.
Anmerkungen
1. Studierende, die an der Studie mitgearbeitet haben: Jasmin Kiekert, Birthe Schöne, Jens Kürten; an der Leitung beteiligt waren: Elke Tießler-Marenda, Anna Waldhausen und Burkhard Werner. Die Federführung lag bei Nausikaa Schirilla, Professorin für Soziale Arbeit, Migration und Interkulturelle Kompetenz an der Katholischen Hochschule Freiburg.
2. Isfort, M.;?Weidner, F.: Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen. DIP-Studie, Köln, 2009
Erst wenn die Not sehr groß ist...
Anschluss an die Dorffamilie
Wertekonsens ist bedroht
Hinterlassen Sie einen Kommentar zum Thema
Danke für Ihren Kommentar!
Ups...
Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte laden Sie die Seite erneut und wiederholen Sie den Vorgang.
{{Reply.Name}} antwortet
{{Reply.Text}}