Heute nur Stiefkind, schon morgen dringend gebraucht
Frau W. lebt seit über 80 Jahren in einem Dorf in der Nähe von Trier. Heute ist sie verwitwet, ihre Kinder leben mit ihren Familien weit verstreut. Wegen ihres Gesundheitszustandes konnte Frau W. sich seit einiger Zeit nicht mehr im vertrauten Zuhause selbst versorgen. Die Lösung war der Umzug in ein Alten- und Pflegeheim am Ort, das sie schon seit vielen Jahren kennt: Früher war es ein Krankenhaus, ihre Kinder kamen dort zur Welt.
In diesem Alten- und Pflegeheim war Frau W. vor ihrem Einzug schon häufig zu Besuch gewesen, einige Bekannte von früher leben dort. Eigentlich fühlt sie sich in diesem Heim wohl: Sie bleibt an ihrem Wohnort, kennt Land und Leute, die Versorgung und Betreuung sind gut, und sie ist nicht mehr so einsam. Aber nicht nur Frau W. ist in die Jahre gekommen, das Haus, in dem sie jetzt lebt, ist es auch. Dabei hat sie immer einfach und bescheiden gelebt. Aber da sind diese alten Bäder, viele Mitbewohner leben in Doppelzimmern, Fenster und Türen knirschen, manches Möbelstück ist notdürftig ge- flickt, und ein einziger Aufzug im Haus ist zu wenig. Außerdem wundert sie sich, wie das Personal in den engen Dienstzimmern überhaupt zurechtkommt.
Der Heimleiter hat gesagt, dass eine Sanierungsmaßnahme geplant sei. Schließlich soll dieses Haus erhalten bleiben, das Gesundheitsamt und die Brandschutzinspektion waren auch schon da – es besteht dringender Modernisierungsbedarf. Aber der Heimleiter erklärt immer wieder, dass diese Baumaßnahme sehr teuer und die Refinanzierung nicht geklärt sei. Ansprechpartner hierzu sei das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung als überörtlicher Sozialhilfeträger, dort würden die Verhandlungen zur Refinanzierung stocken.
Die Politiker hingegen sagen in Zeitung und Fernsehen, dass es immer mehr alte Menschen gebe und man alles dafür tun müsse, deren Versorgung heimatnah bei möglichst hoher Lebensqualität zu gewährleisten.
Frau W. kann nicht verstehen, warum die Sanierungsplanungen für die Einrichtung, in der sie lebt, so schwierig umsetzbar sind. So wie Frau W. geht es vielen alten und pflegebedürftigen Menschen in Alten- und Pflegeheimen. Ebenso betroffen sind die Menschen, die dort arbeiten und Tag für Tag hohe Qualitätsstandards für Pflege und Betreuung erfüllen sollen.
Refinanzierung von Land zu Land sehr unterschiedlich
Die investive Refinanzierung von Alten- und Pflegeheimen wird grundsätzlich in § 82 SGB XI geregelt. Wesentliche Berechnungsparameter sollen demnach durch Landesrecht bestimmt werden. Somit stellen sich die Refinanzierungsmöglichkeiten bundesweit unterschiedlich dar, und sie sind landespolitisch geprägt.
Wesentliche Eckpunkte derartiger Kalkulationen sind die anzusetzenden Abschreibungssätze sowie die Finanzierungs- und Instandhaltungskosten. Diese Parameter sind jeweils im Zusammenspiel mit maximal zulässigen Platzzahlen, Einzel- beziehungsweise Doppelzimmeranteilen sowie anerkennungsfähigen Baukosten zu betrachten. Gerade hier lassen sich zum Teil erhebliche Unterschiede in bestehenden Landesregelungen ausmachen. So liegt der verhandlungsfähige Baukostenhöchstwert für Alten- und Pflegeheime in Rheinland-Pfalz bei 75.126 Euro pro Platz, der Vergleichswert aus dem benachbarten Saarland beträgt hingegen circa 103.592 Euro. Bei einer Einrichtung mit 80 Plätzen ergibt dies einen Unterschied in Höhe von circa 2,3 Millionen Euro refinanzierbarer Baukosten, das sind über 37 Prozent mehr für Einrichtungen auf saarländischem Boden. Dabei sind sich Baufachleute einig, dass für den rheinland-pfälzischen Wert heutzutage nicht mehr gebaut werden kann. Dies schon gar nicht bei steigenden Materialkosten und zugleich geforderten Qualitätsstandards: energieeffizientes Bauen, Flächenvorgaben für Einzel- und Gemeinschaftsräume, Ausstattung mit Pflegebädern, Küchen, Wohngruppenkonzepte, Demenzbereiche etc.
Derart große Unterschiede verwundern nicht nur in Grenzregionen, wie im Beispiel von Frau W. im Dorf bei Trier. Verwundern muss auch, dass zum Beispiel Rheinland-Pfalz bisher keine explizite weiterführende Regelung hierzu zustande gebracht hat, obwohl § 82 SGB XI als Bundesgesetz schon seit 1994 auf Landesregelungen verweist. Andere Bundesländer hingegen verfügen über klare und transparente landesrechtliche Regelungen zur investiven Refinanzierung.
Faktisch eine Politik zum Schlechteren
Derartige Unterschiede lassen vermuten, dass (landes-)politische Willensbildungen oder Ausprägungen ausschlaggebend für die jeweiligen Möglichkeiten zur investiven Ausgestaltung von Alten- und Pflegeheimen sind. Zwar wird sich wohl kaum eine Landesregierung bewusst für schlechtere Lebensbedingungen alter Menschen in Alten- und Pflegeheimen positionieren. Genau darauf laufen aber stark einschränkende oder fehlende Landesregelungen hinaus. Wenn der politische Wille zur Schwächung der stationären Pflege besteht – beispielsweise weil der ambulante Sektor ausgebaut werden soll oder weil vermeintlich innovative Wohnkonzepte gefördert werden sollen – so lässt sich dies weit jenseits der öffentlichen Wahrnehmung durch Einschränkungen bei Refinanzierungskalkulationen oder durch das Aussitzen fehlender Regelungen durchaus wirkungsvoll erreichen. Wer interessiert sich in der Öffentlichkeit schon für komplexe Berechnungsmodelle, in denen es um Abschreibungssätze, Baukostenhöchstwerte, Instandhaltungspauschalen oder Eigenkapitalzinssätze geht?
Flankiert wird diese Thematik von jüngerer Rechtsprechung, wie etwa durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. September 2011. Dort wurde juristisch spitzfindig klargestellt, dass § 82 SGB XI von „betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen“ spricht. Verkürzt wiedergegeben kann demnach nur mit tatsächlichen Aufwendungen mit entsprechenden Nachweisen der „Betriebsnotwendigkeit“ gerechnet werden. Pauschalierte oder kalkulatorische Rechnungsbestandteile sind dann nicht mehr zulässig, was zu erheblichen Umsetzungsproblemen führt. So müssten den Heimbewohner(inne)n ständig veränderte Investitionskostensätze in Rechnung gestellt werden, beispielsweise in Abhängigkeit von jeweils erfolgten Instandhaltungsmaßnahmen. Dass ein derartiges Verfahren weder flächendeckend umsetzbar noch allen Beteiligten zumutbar ist, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Es ist allerdings auch keine richterliche Aufgabe, über praxisrelevante Umsetzungsmöglichkeiten zu entscheiden, vielmehr geht es um Wort und Gesetz. Zumindest im Zusammenhang mit diesem Urteil hat die Politik reagiert und eine Gesetzesänderung, die diese Problematik etwas entschärft, auf den Weg gebracht.
Dass die stationäre Altenhilfe angesichts der demografischen Entwicklung ein wichtiger Bestandteil zur Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen ist und bleibt, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Neben der Erfüllung personeller und qualitativer Anforderungen sind daher eben auch bauliche und investive Voraussetzungen zu schaffen und zu sichern. Dass diese politisch gewollt sind und unterstützt werden, bedingt die Einbindung der stationären Versorgungsform in das deutsche Sozialsystem. Unterbleibt diese notwendige politische Unterstützung, werden qualitativ hochwertige und moderne Investitionen im stationären Bereich erschwert beziehungsweise bleiben sie in zunehmendem Maße aus.
Gut gewappnet in Verhandlungen gehen
Was bedeutet all dies für die vielen sanierungsbedürftigen Alten- und Pflegeheime auf deutschem Boden wie die beispielhaft geschilderte Einrichtung nahe Trier?
Zunächst ist ihr Management gut beraten, seine „Hausaufgaben“ sorgfältig zu erledigen. So sollten die Investitionsvorhaben baufachlich fundiert und nachvollziehbar vorbereitet, Landesregelungen zur Refinanzierung in der aktuellen Ausprägung bekannt und schließlich die Finanzierungs- beziehungsweise Refinanzierungskalkulationen vollständig und begründbar sein.
Erfahrungsgemäß sollten insbesondere die Refinanzierungsverhandlungen mit den jeweiligen Verhandlungspartnern vor Beginn der Maßnahme geführt werden. Nur so können Bau- und Investitionsvorhaben mit der erforderlichen Planungssicherheit abgewickelt werden. Darüber hinaus gilt es, Verhandlungs-Know-how aufzubauen: Ist doch davon auszugehen, dass der Verhandlungspartner eine Vielzahl von Vergleichsprojekten heranziehen kann. Hier bieten beispielsweise Caritas-Fachverbände für ihre Mitgliedseinrichtungen wertvolle Unterstützungsdienste an. Die planungskonforme Umsetzung der Maßnahmen sollte später dann Aufgabe eines professionellen Baumanagements sein – in der Regel ergeben sich während der Bauphasen immer wieder refinanzierungsrelevante Änderungserfordernisse.
Scheitern die Refinanzierungsverhandlungen trotz aller nachvollziehbaren Erfordernisse, sollten die Einrichtungen oder ihre Träger den Rechtsweg nicht scheuen. Hierzu müssen sie gut gerüstet sein. Unterstützung bieten einige sehr professionelle und erfahrene Fachanwältinnen und -anwälte, wenn die eigenen juristischen und betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse nicht ausreichen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass manche Kostenträger den Rechtsweg lieber umgehen, zumal dessen Ergebnis häufig absehbar ist. So werden Kompromisslösungen möglich, die vor dem Aufzeigen rechtlicher Schritte nicht zu diskutieren waren. Die Kompromisse werden von den Kostenträgern allerdings gern als Einzelfall-Lösungen deklariert, um eine Präzedenzwirkung für Vergleichsprojekte zu vermeiden. Solche Lösungen im Einzelfall lassen sich neben rein kalkulatorischen Inhalten auch durch die konzeptionelle Darstellung der geplanten Investition begründen. Diese kann bestimmte Bauweisen, zum Beispiel im energetischen Bereich, Betreuungs- und Wohn- konzepte, etwa für Demenzerkrankte, oder auch sonstige begründbare Besonderheiten (beispielsweise Lärmschutz) beinhalten.
Wer also derzeit in ein Alten- und Pflegeheim investieren will, darf nicht an jedem Ort von Planungssicherheit gebenden Voraussetzungen ausgehen. Dies verwundert insoweit, als die Versorgung pflegebedürftiger Menschen unbestritten weiter an Bedeutung gewinnen wird und der Pflegemarkt fester Bestandteil unseres Sozialsystems ist. Der politische Wille scheint hier von maßgeblicher Bedeutung zu sein – dass föderalistische Strukturen zielführend sind, darf bezweifelt werden.
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