Mitarbeiter stoßen Veränderungen an
Mitarbeitende und ihre Organisation sind wechselseitig aufeinander angewiesen. Individuelle (Arbeits-)Ziele und Organisationsziele sind eng miteinander verwoben. Deshalb kann von einem Grundinteresse der Mitarbeiter(innen) ausgegangen werden, sowohl die eigene Arbeitssituation verbessern zu wollen als auch die Optimierung der Organisation im Blick zu haben. Mit dieser Betrachtungsweise kann es gelingen, dass Mitarbeiter(inne)n im Kontext einer Mitarbeiterbefragung nicht die Rolle der Fordernden und Problem-Benenner zugeschrieben wird, sondern dass sie zu aktiv Beteiligten, also im Wortsinn zu Mit-Arbeitenden werden.
Die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes (DCV) und die Büros in Berlin und Brüssel haben zu Beginn des Jahres 2010 ihre Mitarbeiter(innen) befragt. Der vor- und nachgelagerte Prozess sollte so angelegt sein, dass die Mitarbeiterschaft in möglichst hohem Maß beteiligt würde. Der Vorstand sah in der Befragung ein dialogisch orientiertes Steuerungsinstrument und hat dieses Verständnis von Anfang an kommuniziert. Es wurde ein dreistufiger Aufbau gewählt, in dem die jeweils nächste Stufe nach Abschluss der vorangehenden Stufe entschieden wurde:
1. Befragung und Datenaufbereitung;
2. Bearbeitung der Befragungsergebnisse;
3. Entscheidung über Umsetzung.
Von Anfang an wurde darauf geachtet, bei den Mitarbeitenden möglichst keine unerfüllbaren Erwartungen zu wecken, was Mitbestimmung und die Umsetzung der Ergebnisse betrifft. Deswegen wurden die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitarbeiter(innen) von den notwendigen Entscheidungen getrennt. Der Vorstand sagte aber zu, den Mitarbeiter(inne)n (vor allem in den Schritten zwei und drei) alle Entscheidungen transparent und zeitnah mitzuteilen. Die konzeptionellen Überlegungen waren Grundlage für die Auswahl eines die Befragung begleitenden Instituts.1 Alle darum gruppierten Aufgaben und Prozesse wurden von Mitarbeiter(inne)n der Zentrale übernommen.
Bereits in die Erarbeitung der Fragebögen wurden die Mitarbeitenden und die MAV über eine im Querschnitt der Berufsgruppen zusammengestellte Arbeitsgruppe eingebunden. Diese Gruppe stimmte die Inhalte mit dem Institut ab. Die Einbeziehung von Mitarbeitenden ermöglichte es, die organisationalen Besonderheiten abzubilden. Während viele Fragen aus anderen Befragungen übernommen wurden und ein Benchmarking ermöglichten, konnten jene Themenbereiche intensiver abgefragt werden, zu denen man Hypothesen überprüfen wollte. Ganze Frageblöcke zu Führungsthemen, dem Strategieprozess oder zu sozialethischen und religiösen Angeboten wurden eingefügt. Gleichzeitig konnte man ein Gespür dafür bekommen, welche allgemeinen Fragen die Mitarbeiter(innen) bewegen: Welchen Zweck verfolgt der Vorstand mit der Befragung? Wie steht es um die Zusicherung der Anonymität? Welche Auswertungstiefe wird es geben? Ist ein Benchmarking zwischen den Arbeitsbereichen vorgesehen? Wie wird allen Mitarbeitenden und den in Elternzeit Befindlichen die Teilnahme ermöglicht?
Hausinterne Arbeitsgruppe war wichtig für den Erfolg
Die zusammengestellte Arbeitsgruppe war ein wichtiger Erfolgsfaktor. Über sie konnten viele Anregungen aufgegriffen werden. Zum Beispiel war in den ersten Überlegungen ausschließlich eine Onlinebefragung geplant. Es stellte sich aber heraus, dass es Mitarbeitende gibt, die aufgrund ihrer Tätigkeit keinen Zugang zu einem eigenen PC haben (beispielsweise Küche oder Hausmeisterei). Auch für die Kommunikation in die Organisation hinein stellte die Arbeitsgruppe eine wichtige Schnittstelle dar. Die Mitglieder konnten durch ihren Einblick zum Beispiel die Zusicherung der Anonymität glaubwürdig in die Organisation vermitteln.
Ein zentraler, im Gesamtkontext aber kleiner Schritt war die Befragung selbst. Der Fragebogen umfasste 16 Themenbereiche mit jeweils zwei bis 13 geschlossenen Einzelfragen und insgesamt drei offenen Fragen. Nach einer anfänglich zögerlichen Beteiligung kam es zu einer für eine freiwillige Vollerhebung relativ hohen Rücklaufquote von 69 Prozent. Daraus konnte auf ein starkes Interesse und eine große Erwartungshaltung der Mitarbeitenden geschlossen werden.
Die Mitarbeiter erfahren alle Ergebnisse
Die Befragungsergebnisse wurden beginnend beim Vorstand entlang der Hierarchieebenen präsentiert und diskutiert. Dieser Ablauf war im Voraus mit der Zusicherung kommuniziert worden, dass alle Ergebnisse der Befragung den Mitarbeiter(inne)n zugänglich sind. Die einzelnen Ergebnisbewertungen wurden festgehalten und waren einsehbar. Bei der Ergebnispräsentation im Rahmen einer Mitarbeitervollversammlung lagen den Mitarbeiter(inne)n also nicht nur die Auswertungsdaten, sondern auch die Bewertung durch Vorstand, Abteilungs- und Referatsleitungen vor. In ad hoc gemischten Gruppen konnten sie Notwendigkeiten für die weitere organisationsweite Bearbeitung benennen.
In der direkten Kommunikation über alle Ebenen und Bereichsgrenzen hinweg entstand ein kollegiales Gespräch. Die Führungsebenen konnten relevante Fragen und drängende Themen von Mitarbeitenden wahrnehmen, ohne den Druck zu haben, sie gleich lösen zu müssen. Das gleichberechtigte Nebeneinander der Ergebnisse aus den unterschiedlichen Beratungsrunden bildete die wesentliche Grundlage für die weitere Bearbeitung in der folgenden Stufe.
Aus der Vielzahl von möglichen Themen wurden von Vorstand und zweiter Führungsebene (also Abteilungsleitungen) in mehreren Diskussionsrunden Umsetzungsprojekte von zentraler Bedeutung ausgewählt und näher beschrieben. Zwischenzeitlich waren die Arbeitsbereiche aufgefordert, ihre Bereichsergebnisse gemeinsam auszuwerten und zu überlegen, welchen Bearbeitungsbedarf es gibt. Die Mitarbeitenden konnten sich in die Gestaltung ihres direkten Arbeitsumfeldes einbringen. Die Reichweite möglicher Veränderungen war kleiner und die Beteiligung direkter möglich. Benannte Fragen konnten schneller bearbeitet, Änderungen schneller umgesetzt und damit spürbar werden. Innerhalb eines halben Jahres waren von 65 benannten Fragestellungen bereits 42 abschließend bearbeitet.
Freiwillige mussten erst überzeugt werden
Für die Umsetzungsprojekte wurden Arbeitsgruppen gebildet, beispielsweise zu Feedback und Führungskultur, Arbeitsart und Arbeitsbelastung oder Innovationspotenzialen. Bei deren Besetzung wurde ein für die Organisationskultur ungewöhnlicher Weg beschritten: Während die Projektleitungen vom Vorstand eingesetzt waren, konnten sich Mitarbeitende freiwillig melden. Inhalt und Auftrag der Projektgruppe waren bekannt. Vorausgesetzt wurde, dass sie einen Beitrag zur vor- gegebenen Fragestellung leisten können.
Die Besetzung der Projektgruppen dauerte länger als ursprünglich angenommen. Es mussten viele Gespräche geführt werden, um Mitarbeiter(inne)n deutlich zu machen, inwieweit ihre Sicht und Einschätzung ein Beitrag zur Lösung der Fragestellung sein könnte. Schließlich beteiligten sich rund 15 Prozent der Mitarbeitenden in den Projektgruppen. Der hohe Ressourceneinsatz verdeutlichte die Ernsthaftigkeit des Vorhabens: Rechnerisch war jeder siebte Mitarbeitende beteiligt und konnte gegenüber den Kolleg(inn)en zum Stand der Weiterarbeit Auskunft geben. Innerhalb der Projektgruppen ergaben sich ganz neue Verbindungen untereinander und Einblicke in andere Arbeitswirklichkeiten.
Nach einer kreativen Phase der Ideenentwicklung war eine hohe Identifikation der Mitwirkenden mit ihren erarbeiteten Ideen und mit dem Gesamtprozess festzustellen. Die Projektgruppen haben mit der Präsentation ihrer Ideen und Vorschläge bei Vorstand und zweiter Führungsebene ihre Arbeit abgeschlossen. Eine kontinuierliche Berichterstattung und das Einstellen aller vorhandenen Informationen im Intranet (Carinet) flankierten diesen Arbeitsschritt. Alle Mitarbeitenden hatten damit die Möglichkeit, nachzufragen und eigene Einschätzungen in den laufenden Prozess einzuspeisen.
Der Vorstand entscheidet über die Vorschläge
Der Schwerpunkt der letzten Stufe lag auf der Bewertung der Vorschläge und den Entscheidungen des Vorstandes zur Umsetzung. Naturgemäß sind die Beteiligungsmöglichkeiten hier gering - bei gleichzeitiger Gefahr der Enttäuschung, falls Vorschläge "einfach in der Schublade verschwinden" sollten. Deswegen wurde jeder einzelne Vorschlag vom Vorstand beraten und im Anschluss sowohl der Originalvorschlag als auch das Beratungsergebnis an die Mitarbeiter(innen) kommuniziert. So soll beispielsweise zur besseren Nutzung von Innovationspotenzialen das Ideenmanagement grundsätzlich vereinfacht werden. Fortbildungen zu Kreativitätstechniken sollen angeboten und Besprechungsräume umgestaltet werden.
Die Ablehnung von Vorschlägen und das Setzen von Prioritäten wurden ausführlich begründet. Über eine permanente Berichterstattung konnte der Beratungsstand verfolgt werden. Für die weitere Umsetzung wurden Verantwortliche benannt. So haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich auch weiter einzubringen.
Mit Blick zurück auf den rund zweieinhalb Jahre dauernden Prozess ist festzustellen, dass durch die umfangreiche Beteiligung der Mitarbeitenden Impulse aus der Mitarbeiterbefragung die Organisation kontinuierlich mit verändert haben. Aus diesem Grund ist kein simpler Ursache- und Wirkungszusammenhang zu konstruieren. Wenn mit einem nicht zu großen Abstand eine weitere Befragung mit vergleichbarem Design stattfindet, könnte gezielt nach erfolgten Lernprozessen gesucht werden.
Anmerkung
1. ISPA consult GmbH, www.ispa-consult.de