Hoffnung für pflegende Angehörige
Sie sind der größte Pflegedienst der Republik: Menschen, die sich um ihren pflegebedürftigen Partner, ihre Eltern oder andere Angehörige kümmern. So wie Kornelia Schmid. Seit 30 Jahren pflegt sie ihren an MS erkrankten Mann und weiß daher, wie wichtig es ist, "rauszukommen aus diesem Pflegeleben" und wieder Kraft zu schöpfen. "Sonst geht man körperlich und psychisch kaputt", sagt sie und kritisiert die Situation in Deutschland: "Es mangelt an Wertschätzung gegenüber pflegenden Angehörigen." Deshalb engagiert sie sich auch politisch als Vorsitzende des Vereins "Pflegende Angehörige". Das Motto ihres Vereins: "Pflegebedürftigen kann es nur gut gehen, wenn es Pflegenden gut geht."
Begeistert ist Kornelia Schmid deshalb über ein Verbundvorhaben, das drei Jahre lang unter dem Titel "Prävention und Rehabilitation für pflegende Angehörige", kurz: PuRpA, Hilfskonzepte erarbeitete. Daran war auch der Caritasverband für das Erzbistum Paderborn beteiligt. Die Konzepte sollen unterstützende Angebote für pflegende Angehörige schnell und leicht ermöglichen. Diese können "einen nützlichen Beitrag zur dringend notwendigen weiteren Entlastung pflegender Angehöriger schaffen", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann.
Vorsorge und Rehabilitation
Um die Konzeptentwicklung für die "Stationäre Vorsorge und Rehabilitation für pflegende Angehörige" ging es im ersten Teilprojekt der AW Kur und Erholungs GmbH. Das Ziel: "Bestehende Einrichtungen wie Vorsorge- und Reha-Kliniken sollen das auf die Bedürfnisse von pflegenden Angehörigen zugeschnittene Rahmenkonzept ohne Probleme umsetzen können", erklärt Leiterin Martina Böhler. Rehabilitationsbedürftige pflegende Angehörige sollen in der stationären Maßnahme unter anderem lernen, ihre Selbstfürsorge zu stärken. Idealerweise gelinge dann am Ende der Rehabilitationsmaßnahme eine gesunde Pflege-Life-Balance, so Böhler. Pflegenden Angehörigen solle in der Reha so etwas wie "Entschleunigung" ermöglicht werden. Es sei aber keine leichte Aufgabe, die vollen Therapiekalender in der Reha so zu gestalten, dass sie nicht als nächstes "Hamsterrad" empfunden werden.
Erprobt wurde das dabei erstellte Rahmenkonzept zur stationären Vorsorge und Rehabilitation in Kliniken in Bad Driburg und Bad Sassendorf. Begleitet wurde der Prozess vom PuRpA-Team, die Hochschule Bielefeld überprüfte die Wirksamkeit. Fazit: Das Rahmenkonzept bildet eine gute Basis für die Erstellung von Behandlungskonzepten in den Kliniken. Die befragten pflegenden Angehörigen zeigten sich zufrieden bis sehr zufrieden mit den durchgeführten Maßnahmen.
Begleitangebote für Pflegebedürftige
Viele pflegende Angehörige nehmen das Angebot einer Vorsorge- oder Reha-Maßnahme nicht war, weil sie ihren Angehörigen nicht allein lassen können und wollen. Ein weiteres Teilprojekt unter der Leitung von Verena Ising-Volmer vom Caritasverband für das Erzbistum Paderborn befasste sich deshalb mit der Konzeptentwicklung von "Begleitangeboten für pflegebedürftige Begleitpersonen während einer stationären Vorsorge- oder Reha-Maßnahme eines pflegenden Angehörigen". Ziel sei die Entwicklung von modularen Begleitangeboten für Pflegebedürftige am Kurort des pflegenden Angehörigen gewesen, erklärt Ising-Volmer. Diese sollen die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen verbessern und das Wohlbefinden im "Pflegetandem" der beiden Angehörigen stärken. Entwickelt wurden auch "Tandem-Angebote" für das Pflegepaar gemeinsam.
Die Vorgabe: Das Angebot sollte über die Regelversorgung finanziert werden. Keine leichte Aufgabe, immerhin sei dafür eine "sektorenübergreifende Zusammenarbeit" nötig gewesen, also Zuständigkeiten von gesetzlicher Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegekasse zu berücksichtigen gewesen. Denn: Ein "Pflege-Tandem" kenne das Sozialrecht nicht, kritisierte Dr. Dr. Thomas Ruppel, Fachanwalt für Medizinrecht, der die Projekte sozialrechtlich begleitete.
Als Partner waren Reha-Kliniken und Mutter-Kind-Kliniken jeweils in Kooperation mit Pflegeheimen beteiligt, die Kurzzeitpflegen anbieten. Einrichtungen in Löhne, Bad Lippspringe, Paderborn, Winterberg, Hallenberg, Brilon sowie Bad Rothenfelde beteiligten sich an der Entwicklung des Rahmenkonzeptes. In der wissenschaftlichen Begleitstudie stellte Alexandra Hirschmann von der Hochschule Bielefeld fest, dass für mehr als 80 Prozent der pflegenden Angehörigen die zeitgleiche Versorgung des pflegebedürftigen Angehörigen eine notwendige Voraussetzung für eine Teilnahme an der Reha gewesen sei. Wichtig sei auch die Möglichkeit gewesen, jederzeit Kontakt zum Angehörigen aufnehmen zu können und Tipps für die Pflegesituation zu bekommen. Insgesamt würden 90 Prozent der Befragten das Vorsorge- und Reha-Angebot samt begleitender Versorgung weiterempfehlen, so Hirschmann.
Case-Management
Im Teilprojekt "Case-Management für pflegende Angehörige" unter der Leitung von Martina Böhler ging es schließlich um die Entwicklung eines Konzeptes "für ein zugehendes Beratungs- und Unterstützungsangebot". Das Ziel: Gesundheit und Wohlbefinden pflegender Angehöriger zu stärken. Dabei wurde eine Schulung für die Qualifizierung von Case- Managern entwickelt. Für die Beratung pflegender Angehöriger sind zunächst etwa fünf Beratungstermine vorgesehen. Gemeinsam werden dabei Ziele für mehr Selbstsorge und Entlastung formuliert und dafür notwendige Maßnahmen besprochen. Die Case-Managerin unterstützt dann dabei, die gesetzten Ziele auch zu erreichen. Eine Umfrage zeigte, dass alle zwölf befragten pflegenden Angehörigen das Angebot weiterempfehlen würden. Für eine Interviewte war es gar "einer der besten Momente der letzten Jahre", berichtet Nele Buschsieweke von der Hochschule Bielefeld. Die Beratung habe Auswege aus Überforderung und Verzweiflung aufgezeigt und mancher pflegenden Angehörigen ein "besseres und ruhigeres Schlafen" ermöglicht. Der Medizinrechtler Ruppel schlägt vor, das Case-Management, das erhebliche Folgekosten verhindern könne, im Heilmittelrecht zu verankern. Bei Bedarf könnte es dann vom Arzt verordnet werden. "Dann bliebe die Bürokratie überschaubar", so Ruppel.
Das gesamte Projekt habe sie "begeistert", sagt Kornelia Schmid als pflegende Angehörige. Und das auch, weil es das Haupthindernis angeht, das Angehörige von einer Kur abhalte - die Versorgung des Pflegebedürftigen in dieser Zeit. "Meine Hoffnung ist, dass von diesem wertvollen Projekt etwas übrigbleibt", sagt sie in Richtung der Politik.