Ruhestand im Ersatzbüro
"Fast noch Nachkriegszeit war das.", erinnert sich Bernd Lattig, wenn er an die Anfänge der Caritas in Cottbus denkt. Das erste Büro war das Büro der Pfarrcaritas, eingerichtet mit alten Möbeln. 22 Jahre alt war er damals, als er anfing. Einzige Ausstattung des Büros war ein Buch. Lattig lächelt: "In dem Buch wurden Kleiderspenden verzeichnet. Wer hat was gespendet? Und wer hat was bekommen?"
Die Aufgaben waren noch übersichtlich, aber nicht weniger wichtig. "Viele Kinder lebten in Kinderheimen. Da mussten die Pfarreien ein Drittel der Heimkosten zuschießen.", erzählt er von den Verwaltungsaufgaben der sechziger Jahre.
Informationen wir eine Flutwelle
Die größte Veränderung während seiner Dienstzeit? Lattig muss nicht lange überlegen: "Die Wende ist wie ein Tsunami über uns hereingestürzt." Der Westen habe damals sein Know-how in den Osten transportieren wollen. Es habe Angebote über Angebote gegeben. In dieser rasanten Zeit seien die Informationen wie eine Flutwelle gewesen. Irgendwann habe er gar nichts mehr gemacht, sei wie gelähmt gewesen, auf seiner Ein-Mann-Stelle, erzählt der 64-Jährige. Jahrelang habe er nur mit seiner Frau und wechselnden Jahrespraktikanten zusammengearbeitet, dann - nach der Wende - seien die Aufgabenfelder förmlich explodiert.
"Eine wilde Zeit" nennt Lattig die Wendejahre. Zehn große Projekte habe die Caritas in Cottbus seit 1990 "aus dem Boden gestampft": Das Müttergenesungswerk, Schuldnerberatung, Schwangerschaftsberatung, Suchtberatung, Aussiedlerberatung, Seniorentreff und das Lazarushilfswerk seien nur einige davon.
Tiefschläge? "Ja, die gab es auch.", erzählt Lattig und legt die Stirn in Falten. "Die Bahnhofsmission hätte ökumenisch gut funktionieren können.", sagt er und zählt eine schier endlose Liste auf, was er alles unternommen habe, um die Bahnhofsmission in Cottbus zu installieren. Der entscheidende Hinderungsgrund sei aber schlussendlich der Bahnhofsmanager gewesen. Der habe geblockt, wollte keine Bahnhofsmission in seinem Bahnhof.
Auf Qualität Wert gelegt
Die Zukunft der Cottbuser Kreisstelle sieht Lattig durchweg positiv. In der Rückschau könne man sagen, dass die Kreisstelle jetzt sehr gut aufgestellt sei. "Das erfüllt mich auch mit einer gewissen Genugtuung.", sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern, und die Genugtuung sieht man ihm auch an. Verschiedene Dienste stünden jetzt für alle möglichen Situationen und Notfälle bereit. Die Mitarbeiter seien gut qualifiziert, vier von fünf Mitarbeitern hätten einen Abschluss als Diplom-Sozialarbeiter. "Auf Qualität habe ich immer Wert gelegt. Wie wir heute dastehen, das erfüllt mich mit einer gewissen Freude.", sagt er und lacht.
Zuhause Ersatzbüro aufbauen
Wie der Ruhestand aussieht? "Die ersten Reisen sind schon gebucht.", erzählt er. Doch ganz auf Arbeit will er nicht verzichten. Die Arbeit in der Sucht- und Eheberatung mache er nebenbei weiter. Zuhause würde aber der Garten warten und außerdem habe er einen Hang zu den Bergen, dem er jetzt mal häufiger nachgeben könne. Und lesen will der 64-Jährige: "Es gibt so viele Bücher, die ich schon immer lesen wollte. Jetzt habe ich endlich die Zeit dafür.
Ob die Zeit tatsächlich zum Lesen reicht neben Garten, Beratung, Ehefrau, Reisen und seiner Arbeit als Notfallseelsorger ist fraglich. "Zu Hause baue ich mir gerade ein Ersatzbüro auf.", sagt Bernd Lattig zum Abschluss und lacht, wissend, dass ihm der Ruhestand wohl doch noch ein paar Jahre versagt bleiben wird.
Für seinen Einsatz beim Aufbau der Caritas in Cottbus überreichte der zweite Vorsitzende des Caritasverbandes, Dr. Josef Horntrich, Bernd Lattig während der feierlichen Verabschiedung am 18. April die Johannes-Zinke-Medaille, die Ehrenmedaille des Caritasverbandes der Diözese Görlitz. Johannes Zinke wurde 1938 zum Caritasdirektor der Erzdiözese Breslau berufen und war 1945/1946 Caritasdirektor in Cottbus. (d.R.)
INFO:
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Telefon: 03 55 38 00 37 30
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