Hauptsache trocken bleiben
Ein normales Mehrfamilienwohnhaus irgendwo in Wächtersbach, am Klingelbrett mehrere Namen, nichts Ungewöhnliches - eine WG eben. Kein Hinweis darauf, dass die Caritas diese Wohnung angemietet hat, kein Hinweis, dass es sich um eine betreute Wohngemeinschaft handelt.
Warum auch, es geht ja darum, nach Jahren des Ausnahmezustandes wieder in die Normalität zurückzukehren und nach Möglichkeit irgendwann wieder völlig auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne Begleitung, ohne Kontrolle von außen. Wolfgang H., Stephan M. und Peter G., die hier in der ersten Etage zusammen wohnen, waren alkoholkrank. Hart ausgedrückt: Sie waren Trinker. Säufer. Die übliche "Laufbahn" eben: ganz allmählich mehr und mehr konsumiert, erste Auffälligkeiten, private Krise, Arbeitplatzverlust, Zusammenbruch. Ihr Alkoholkonsum war zuletzt so stark, dass sie in akuter Lebensgefahr waren. Krankenhaus und Entzug bedeuteten für sie die einzige Rettung.
Danach die Erkenntnis, abhängig zu sein. Mit der Bereitschaft zur Therapie folgte zunächst ein Aufenthalt im Haus Noah, einer Spezialeinrichtung für an Alkoholismus Erkrankte des Deutschen Ordens in Bad Orb. Hier ging es darum, erst einmal einfach wieder in einen geordneten Tagesablauf mit Aufstehen, Arbeiten, regelmäßigen Mahlzeiten zu kommen - bei absolutem Verzicht auf Alkohol selbstverständlich.
Im Haus Noah lernten sich Wolfgang, Stephan und Peter kennen. Im Laufe der Zeit wurde Freundschaft daraus, schließlich hatte man einen guten Stück Weges gemeinsam zurück gelegt, vor allem die positive Erfahrung gemacht, dass es langsam wieder aufwärts ging. Und als dann die neue Idee von Landeswohlfahrtsverband und Caritas im Main-Kinzig-Kreis für ein Angebot "Betreute Wohngemeinschaft für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen", wie es offiziell heißt, geboren war, als es hieß: "Euch trauen wir das zu!", "…da waren wir uns dann auch einig, dass wir das machen", sagt Stephan.
"Das Entscheidende zunächst war es, eine geeignete Wohnung zu finden",
erzählt Karin Mechnich, Leiterin des Fachbereichs Suchtkrankenhilfe beim Caritasverband für den Main-Kinzig-Kreis. "Zum einen wollten wir zwar in der Heimatregion der Betroffenen bleiben, gleichzeitig sollte es aber auch ein räumlicher Neuanfang mit etwas Abstand sein." Wächtersbach erwies sich dabei als ideal, mit guter Bahnanbindung für die individuelle Mobilität und in direkter Nachbarschaft zu Bad Orb, wo bisher der Lebensmittelpunkt der Neu-WGler war. Karin Mechnich und ihre Mitarbeiter sichteten dann zahlreiche Wohnungen und sprachen mit den Vermietern, denn man wollte nicht "mit verdeckten Karten spielen": "Die Vermieter sollten genau wissen, was wir planen. Die Caritas trat zwar als der Mieter auf, Bewohner würden aber unsere Betreuten sein. Diese Aussprache hat sich letztendlich bewährt, besser als hier konnten wir es nicht treffen."
Auch die drei Männer schwören auf ihr gutes Verhältnis zu den Vermietern, die direkt unter der Wohngemeinschaft im Erdgeschoss zu Hause sind. "Davor wohnte hier auf der Etage eine Familie mit Kindern, da war es bestimmt auch nicht leiser", sagt Wolfgang. Und Peter ergänzt: "Wir sind echte Wohnprofis. Die Vermieter können jederzeit kommen, bei uns herrscht immer Ordnung!".
Alles im Griff in der WG
In der Tat ist alles gut durchorganisert im Zusammenleben. Zwar hat jeder seinen eigenen Alltag und Tagesrhythmus, Stephan, der jüngste der drei, geht inzwischen wieder einer regulären Beschäftigung nach, die anderen beiden arbeiten als arbeitsunfähig verrentet aushilfsweise in Beschäftigungsprogrammen, trotzdem teilt man sich die Hausarbeit gerecht und verbringt auch einen Teil der Freizeit gemeinsam. "Das ist für unser Gemeinschaftsleben wichtig", unterstreicht Wolgang, "so haben wir uns zum Beispiel vorgenommen, regelmäßig zusammen zu kochen und abendzuessen". Und klappt es? Stephan lacht: "Im Sommerhalbjahr wurde das ein wenig vernachlässigt. Aber jetzt mit den längeren Abenden werden wir das wieder etwas mehr pflegen!"
Mit gemeinschaftlichem Elan war man auch den Einzug in die Wohnung angegangen: "Um das Projekt starten zu können, war auch aus finanziellen Sachzwängen heraus bei der Herrichtung der Wohnung viel Einsatz gefragt. Die drei Herren haben dabei volle Arbeit geleistet: Tapezieren, malen, Möbel schleppen… Ohnehin: Die Entscheidung, sich endgültig von der Vergangenheit abzusetzen und wieder ein selbstbestimmtes Leben ohne Alkoholabhängigkeit zurückzugewinnen, erforderte für alle Drei den vollen Einsatz von Körper, Geist, Seele und auch der eigenen materiellen Ressourcen. Geschenkt kriegt hier keiner etwas!", stellt Karin Mechnich klar. Aber Wolfgang, der für Therapie und anschließende Teilnahme am WG-Projekt seine Eigentumswohnung in Südhessen veräußern und investieren musste, sowie die beiden anderen Männer sind sich darin einig, dass der volle Einsatz dafür auch voll in Ordnung geht.
Auf zwei Jahre ist die Verweildauer in der Wohngemeinschaft ausgerichtet. Der nächste Schritt könnte dann betreutes Einzelwohnen sein, oder vielleicht sogar schon das Leben völlig ohne Betreuung.