Ohne Aufenthaltsstatus und Gesundheitsschutz mitten in der Pandemie
Die Corona-Pandemie hat die ohnehin schwierige Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus noch verschärft. Menschen ohne Aufenthaltsstatus können vor Armut, Verfolgung oder einer Katastrophe geflohen sein; sie können mangels anderer Möglichkeiten irregulär in ein Transit- oder Zielland eingereist sein, sich dort über viele Jahre hinweg aufhalten. Sie können zur Ausreise verpflichtet sein, weil ihr Visum oder ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sind; sie reisen nicht aus und "tauchen unter", weil sie wenige Entwicklungsmöglichkeiten im Heimatland sehen und sich möglicherweise verpflichtet haben, Familienangehörige im Herkunftsland zu unterstützen.
Es sind Menschen ohne asyl- oder ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus, ohne Duldung und (manchmal) ohne behördliche Erfassung in Deutschland. Sie sind gewissermaßen unsichtbar und wollen es auch möglichst bleiben. Es gibt keine genauen Zahlen darüber, wie viele Menschen es sind. Die letzte ernstzunehmende Schätzung von 2014 geht von 180.000 bis 520.000 illegalisierten Menschen in Deutschland aus.
Im Jahr 2019 registrierte die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) mit 20 Standorten in Deutschland 1024 Personen ohne Aufenthaltsstatus in der Erstberatung. Das entspricht 12,94 Prozent aller Personen, die 2019 das erste Mal die Dienste der MMM aufgesucht haben. Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor.
Angst, die Arbeit zu verlieren
Menschen ohne Papiere arbeiten immer in prekären Arbeitsverhältnissen, weil sie nicht legal arbeiten dürfen. Das Fehlen eines Aufenthaltsstatus macht sie ausbeutbar ("zum Fußabtreter für jeden", sagte unlängst eine Kollegin). Sie haben oft keine feste Unterkunft und wohnen bei Landsleuten oder Freunden. Die prekären Wohnverhältnisse machen es schwer, Abstandsregeln einzuhalten. Nicht zu unterschätzen sind auch die psychischen Belastungen dieser Menschen. Man möchte auf keinen Fall negativ auffallen, nicht bei Rot über die Ampel gehen oder ohne Fahrkarte in der Straßenbahn fahren. Viele haben Sorge, ihre Arbeit zu verlieren - denn oft unterstützen sie auch Verwandte im Herkunftsland. Anspruch auf staatliche Hilfen haben sie nicht. Kollegen und Kolleginnen der Caritas in Schweden und Italien berichteten während des ersten Lockdowns, dass viele illegalisierte Menschen schlichtweg an Hunger litten und man wieder angefangen habe, Nahrungsmittel zu verteilen. Wie wir alle haben viele, insbesondere jetzt, Angst, krank zu werden.1 Daher ist es in Zeiten der Pandemie wichtig, dafür zu sorgen, dass auch Menschen ohne regulären Aufenthaltstitel adäquaten Gesundheitsschutz bekommen.
Menschen in der Illegalität haben das Recht auf Gesundheitsversorgung - gemäß §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) -, aber eben nur das Recht auf Behandlung akuter Schmerzzustände sowie die Versorgung bei einer Schwangerschaft. Allerdings müssen Behörden, die dabei von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Kenntnis erhalten, dies gemäß § 87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) an die Ausländerbehörde melden (sogenannte "Übermittlungspflicht"). Dann droht ihnen die Abschiebung. Das führt dazu, dass Menschen in der Illegalität faktisch einen Arztbesuch meiden. Lediglich wenn sie wegen eines Notfalls ins Krankenhaus müssen, gilt für beteiligte Behörden der verlängerte Geheimnisschutz, eine auf sie ausgedehnte Schweigepflicht, die normalerweise nur auf Ärzte zutrifft.
Corona schwächt auch Hilfenetze
Beim wichtigen Zugang zu notwendigen Gesundheitsleistungen werden Menschen in der Illegalität von einem Netzwerk aus Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung2 , "Medinetzen", humanitären Beratungsstellen und Selbsthilfe- und Migrantenorganisationen unterstützt. Dank dieser Beratungsstellen, die sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit/Illegalität vernetzen, gelangt die Realität der Menschen in der Illegalität an die Öffentlichkeit. Allerdings arbeiten viele dieser Initiativen ehrenamtlich oder sind zeitlich begrenzt. Sie können die Aufgaben - auch wegen der Pandemie - nicht stemmen. Manche mussten schließen, weil zum Beispiel die Helfer(innen) selbst zu einer Risikogruppe gehörten.
Auch das Katholische Forum "Leben in der Illegalität", ein Zusammenschluss verschiedener katholischer Organisationen,3 welches seit 2004 für die Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus eintritt, hat sich in den vergangenen sechs Monaten dem Thema Gesundheitsschutz während der Pandemie gewidmet. Der Annahme folgend, dass insbesondere Menschen ohne legalen Aufenthalt aufgrund ihrer prekären Situation Hilfe benötigen (und dass sie oft vergessen werden), hat das Forum eine Zusammenstellung relevanter Informationen für Menschen, die anderen ohne Aufenthaltsstatus helfen wollen, in drei Sprachen ins Netz gestellt.4
Das Forum ist politisch aktiv
Des Weiteren vertritt das Forum die Interessen der illegalisierten Menschen gegenüber der Politik. Die migrationspolitischen Sprecher von im Bundestag vertretenen Parteien wurden angeschrieben und mit zentralen Anliegen zum Schutz von Menschen in der Illegalität und letztendlich auch zum Schutz aller konfrontiert. Zentrale Forderungen des Forums sind:
die Aufhebung der Einschränkungen beim Anspruch auf Gesundheitsdienstleistungen gemäß §§ 4 und 6 AsylbLG;
- das Ermöglichen eines angstfreien Zugangs zur Covid-19-Testung, mithin eine Aussetzung der Pflicht zur Übermittlung von Daten der Gesundheitsbehörden an die Ausländerbehörden durch eine Klarstellung in § 87 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sowie eine klare Regelung der Kostenübernahme für diese Tests. Außerdem werden folgende weitere Maßnahmen empfohlen:
- Behörden und Dienstleister, die mit Menschen ohne Aufenthaltstitel in Verbindung treten, sollten klare Informationen erhalten bezüglich der Kostenübernahme von Covid-19-Tests und der Tatsache, dass sie nicht zur Übermittlung von Daten an die Ausländerbehörden verpflichtet sind.
- Informationen über Covid-19 gerade für Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sollten in verschiedenen Sprachen zur Verfügung gestellt werden. Es könnte sich auch die Einrichtung einer mehrsprachigen Hotline zu Covid-19 empfehlen.
- In den Gesundheitsämtern sollte es Ansprechpartner(innen) geben, die verschiedene Sprachen beherrschen oder zumindest unkompliziert den Kontakt zu Sprachmittlern mit den betreffenden Sprachkenntnissen herstellen können.
- Für jene Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus, die unter prekären Bedingungen leben, sollten Quarantäne-Wohnungen bereitgestellt werden. Weitere "Lobbykanäle" wurden genutzt, insbesondere über Kollegen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, um bei verschiedenen pandemiebezogenen Gesetzesvorhaben (zum Beispiel dem Bevölkerungsschutzgesetz) immer wieder auf die Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus aufmerksam zu machen.
Gesundheitsversorgung muss sein
Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen zeichneten im März dieses Jahres einen Brief an den Corona-Krisenstab der Bundesregierung, in dem auf die Situation von Menschen in der Illegalität aufmerksam gemacht wurde. Während in anderen Ländern aktiver auf die Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus eingegangen wurde - wie in Portugal oder Italien, die jeweils zeitlich und inhaltlich begrenzte Legalisierungskampagnen durchgeführt haben (unter anderem, um den Zugang zum Gesundheitssystem zu sichern) -, gab es in Deutschland wenig spezifisch auf diese Zielgruppe ausgerichtete Reaktionen. Dennoch gibt es auch Positives zu berichten:
1) Es stehen inzwischen deutlich mehr fremd- und mehrsprachige Informationen zu Covid-19 zur Verfügung.5
2) Im Juli sind Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zum Umgang mit Covid-19 in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete6 erschienen.
3) Auf kommunaler Ebene wurden Verbesserungen auch für Obdachlose (und somit auch für obdachlose Menschen in der Illegalität) erreicht, unter anderem durch die Nutzung von Hostels und Ferienwohnungen.
4) In der Testverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 14. Oktober 20207 (s. §§ 1, 2, 3, 4) wurde aufgenommen, dass Covid-19-Tests für asymptomatische Personen unter bestimmten Bedingungen auch für diejenigen kostenfrei sind, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Die Kostenbefreiung gilt allerdings nur, wenn der Test außerhalb einer Krankenbehandlung notwendig wird.
5) Auf Länderebene hat das Land Berlin (analog zu einigen anderen Bundesländern) den anonymen Krankenschein eingeführt, um Menschen ohne Krankenversicherung den Arztbesuch zu erleichtern. "Menschen ohne Krankenversicherung dürfen sich seit dem 15. April in einer Hausarztpraxis ihrer Wahl ambulant behandeln lassen. Die Berliner Clearingstelle vergibt vorab Kostenübernahmescheine, die zunächst für ein Quartal gelten. Abgerechnet wird direkt mit der Kassenärztlichen Vereinigung."8
Anmerkungen
1. S. a. PICUM (Platform for international cooperation on undocumented migrants): Befragung: https://picum. org/whats-happening-to-undocumented-people-during-the-covid-19-pandemic
2. www.eugleichbehandlungsstelle.de/resource/blob/203274/1594458/b2a7fc70b50780d5abc45d35040d9346/ verzeichnis-clearingstellen-2020-data.pdf
3. Deutsche Bischofskonferenz, Deutscher Caritasverband, Jesuiten Flüchtlingsdienst und die Malteser.
4. http://forum-illegalitaet.de/wordpress_01/wp-content/ uploads/2020/04/Corona-Hilfe-finalDE_EN_ES_FR-1.pdf
5. Website der Bundesbeauftragten der Bundesregierung zu Migration, Flüchtlinge und Integration: www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/amt-und-person/informationen-zum-coronavirus; b. Mehrsprachiges Informationsangebot der BZgA auf www.infektionsschutz.de/coronavirus/informationen-in-anderen-sprachen.html; c. IOM für den Mediterranen Raum hat eine Broschüre zum Coronavirus in 26 Sprachen verfasst, auch in weniger bekannten Sprachen wie Wolof, Igbo, Edo, Haussa, Urdu, Somali, Tigrinya: https://italy.iom.int/sites/default/files/ news-documents/LeafletIOMCovid19.pdf
6. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ AE-GU/Aufnahmeeinrichtungen.html
7. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/Corona-TestVO_BAnz_AT_141020.pdf
8. Lasarzik, A.: Unter dem Radar. In: Die Zeit vom 5. Mai 2020; Clearingstelle der Stadtmission: Pressemitteilung: Menschen ohne Krankenversicherung dürfen Hausärzte aufsuchen - Berliner Stadtmission (berliner-stadtmission.de)
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