Intelligent designte Märkte belohnen menschliche Tugenden
Mit den Worten "Diese Wirtschaft tötet" sprach der Papst einer wachsenden Zahl von Menschen weltweit aus der Seele. Die Bertelsmann-Stiftung erhob, dass 88 Prozent der Menschen in Deutschland und 90 Prozent in Österreich eine "neue Wirtschaftsordnung" wünschen. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine vollständig alternative Wirtschaftsordnung, die seit 2010 von einer wachsenden Zahl von unterschiedlichen Akteur(inn)en entwickelt wird.
Die tragenden Säulen der Gemeinwohl-Ökonomie sind dabei nicht "neu", sondern zeitlose Werte und Verfassungsziele. Geld und Kapital werden als Mittel des Wirtschaftens betrachtet, als das Ziel hingegen das Gemeinwohl. Schon Aristoteles unterschied die Wirtschaftsweise der "oikonomia" (Geld ist ein Mittel) von der "chrematistike" (Gelderwerb ist das Ziel). Seit Thomas von Aquin ist das Gemeinwohl ein Leitwert der christlichen Soziallehre: "Bonus commune melius quam bonus unius" (Das Wohl aller ist wichtiger als das Wohl eines Einzelnen). Im gleichen Geist besagt heute die bayerische Verfassung: "Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl" (Art. 151), während "Kapitalbildung" als "Mittel" definiert wird (Art. 157). Das Grundgesetz sieht Eigentum in der Sozialpflicht, weshalb sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll (Art. 14). Das Gemeinwohlziel wird in der realen Wirtschaft jedoch weder erreicht noch gemessen. Es fehlen geeignete Erfolgsindikatoren.
Indikatoren für ein Gemeinwohl-Produkt
Heute bilden das Bruttoinlandsprodukt (BIP) (Volkswirtschaft), der Finanzgewinn (Unternehmen) und die Finanzrendite (Investition) die zentralen Erfolgsindikatoren. Sie messen jedoch nur die Mittel(-Akkumulation) und können daher gar nichts Verlässliches über die Zielerreichung aussagen. Das "Gemeinwohl-Produkt" könnte zukünftig anhand eines repräsentativen Indikatorensets (zum Beispiel Gesundheit, Bildung, Teilhabe, sozialer Zusammenhalt, ökologische Stabilität, Sicherheit, subjektives Wohlbefinden) direkt die Zielerreichung und damit den "Erfolg" einer Volkswirtschaft messen. Die konkreten Komponenten könnten von der Bevölkerung in kommunalen Bürgerbeteiligungsprozessen selbst definiert werden. Schon heute wird im kleinen Königreich Bhutan das Bruttosozialglück erhoben, die OECD hat den Better Life Index entwickelt und die UNO die globalen Nachhaltigkeitsziele ("SDG") verabschiedet. Das Gemeinwohl-Produkt wäre eine demokratische Alternative. Wenn es steigt, ist die Verbesserung wesentlicher Aspekte von Lebensqualität gewiss. Ein Anstieg des BIP garantiert keine Verbesserung auch nur eines dieser Indikatoren. Einer Umfrage des Bundesumweltministeriums zufolge befürworten nur 18 Prozent das BIP als höchstes Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hingegen befürworten 67 Prozent seine Ablösung durch einen umfassenderen Lebensqualitätsindex.
Menschenwürde und Solidarität machen den Erfolg aus
Der "Erfolg" eines Unternehmens, sein Beitrag zum Gemeinwohl, würde analog mit einer "Gemeinwohl-Bilanz" gemessen. Diese misst das Erfüllen der Verfassungswerte Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie. Sie beantwortet die brennendsten Fragen der Gesellschaft an alle Unternehmen, zum Beispiel: Wie sinnvoll ist das Produkt, die Dienstleistung? Wie ökologisch wird produziert, vertrieben und entsorgt? Wie human sind die Arbeitsbedingungen? Werden Frauen und Männer gleich behandelt und bezahlt? Wie werden die Erträge verteilt? Wer trifft die Entscheidungen? Wie kooperativ verhält sich das Unternehmen auf dem Markt?
Gemessen wird in Punkten, jedes Unternehmen kann derzeit maximal 1000 Punkte erreichen. Das Ergebnis könnte in einer Farbampel neben dem Strich- oder QR-Code auf allen Produkten und Dienstleistungen aufscheinen. Streicht der/die Konsument(in) mit dem Handy über den QR-Code, erscheint auf dem Display die gesamte Gemeinwohl-Bilanz. Damit würde die Gemeinwohl-Ökonomie ein Grundversprechen der Marktwirtschaft erfüllen: das nach umfassender und gleicher Information aller. Die Konsumenten hätten endlich eine belastbare Grundlage für eine ethische Kaufentscheidung.
Nicht minder wesentlich ist der zweite Schritt, die Belohnung hoher ethischer Leistungen: Je besser das Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis eines Unternehmens, desto mehr rechtliche Vorteile erhält es, zum Beispiel: günstigeren Steuersatz, niedrigeren Zolltarif, günstigeren Kredit bei der "Gemeinwohl-Bank", Vorrang beim öffentlichen Einkauf oder bei der Forschungskooperation mit öffentlichen Universitäten.
Mit Hilfe dieser marktwirtschaftlichen Anreizinstrumente wird die verkehrte Situation von heute - dass unethische und rücksichtslose Unternehmen auf dem Markt belohnt werden, weil sie ihre Produkte billiger anbieten können - umgedreht: Ethische, ökologische, langlebige, regionale und faire Produkte werden billiger als unfaire. Endlich würden die "Gesetze" des Marktes mit den Werten der Gesellschaft übereinstimmen.
Gewinnstreben differenziert einschränken
Die Finanzbilanz bliebe erhalten, aber das Gewinnstreben könnte differenziert eingeschränkt werden: Nach wie vor verwendet werden dürfen Gewinne für sozial und ökologisch wertvolle Investitionen, Kreditrückzahlungen, begrenzte Ausschüttungen an die Mitarbeitenden oder Rückstellungen. Nicht mehr erlaubt werden könnten hingegen: feindliche Übernahmen, Investitionen auf den Finanzmärkten, Ausschüttung an Personen, die nicht im Unternehmen mitarbeiten - mit Ausnahme der Gründer(innen) - oder Parteispenden.
Um die Konzentration von Kapital und Macht und damit einhergehende übermäßige Ungleichheit zu verhindern, könnten "negative Rückkoppelungen" bei Einkommen, Vermögen und Unternehmensgröße eingebaut werden: Während der Start in das Wirtschaftsleben gefördert und harte Lebenslagen solidarisch abgefedert werden, wird mit zunehmendem Reicher-, Größer- und Mächtigerwerden das weitere Reicher- und Größerwerden immer schwieriger bis zu einer relativen Obergrenze. Die erste Million wäre die am leichtesten zu erwirtschaftende, jede weitere immer schwerer bis zum gesetzlich festgelegten Maximum von Ungleichheit. Die Ungleichheit zu begrenzen dient primär dazu, die Überkonzentration von ökonomischer und politischer Macht zu verhindern. Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich deshalb nicht nur als ethische, sondern auch als eine tatsächlich liberale Marktwirtschaft, weil sie die gleichen Rechte, Freiheiten und Chancen für alle nicht nur propagiert, sondern auch konsequent schützt.
Kooperation statt Konkurrenz
Im größeren Bild möchte die Gemeinwohl-Ökonomie die Anreizkoordinaten für die Wirtschaftsakteure von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation umstellen. Die gegenwärtige Dynamik, dass Marktteilnehmende im Gegeneinander den höchsten Finanzgewinn anstreben, ist der Systemfehler schlechthin und die Ursache für die lange Liste von Kollateralschäden der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung. Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit grassieren nicht etwa deshalb, weil dies der Menschennatur entspräche, sondern weil es auf Märkten belohnt wird. Intelligent designte Märkte belohnen menschliche Tugenden und Beziehungswerte wie Ehrlichkeit, Respekt, Vertrauensbildung, Kooperation und Teilen. Entgegen dem Menschenbild der neoklassischen Ökonomie gibt es breite wissenschaftliche Evidenz, dass Kooperation stärker motiviert als Konkurrenz. Der Grund dafür ist: Kooperation motiviert über gelingende Beziehungen, während Konkurrenz primär über Angst motiviert. Die Gemeinwohl-Ökonomie schlägt vor, dass aggressives Gegeneinander-Agieren wie Kannibalismus, Preisdumping oder Sperrpatente mit stark negativen Anreizen versehen werden sollen; das Unterlassen von Hilfe mit schwach negativen; individuelle Kooperation mit schwach positiven und systemische Kooperation mit stark positiven Anreizen. Wörtliche "Konkurrenz" (zusammenlaufen) und "competition" (gemeinsam suchen) sollen die gegenwärtige "Kontrakurrenz" und "counterpetition" ablösen.
Der Umsetzungsprozess
Die Gemeinwohl-Ökonomie beschreibt 20 Grundelemente der Wirtschaftsordnung. Dazu zählen weitere Innovationen wie ein "Freijahr" je Dekade im Erwerbsleben, ökologische Menschenrechte, die gleichzeitig Schutzrechte des Planeten wären, oder "Geld als öffentliches Gut". Alle Vorschläge der Bewegung sollen in demokratischen Bottom-up-Prozessen, in "Kommunalen Wirtschaftskonventen", gemeinsam mit anderen Ideen diskutiert und vorsortiert werden. Über Delegation aus den "Gemeinwohl-Gemeinden" könnte ein Bundeswirtschaftskonvent konstituiert werden, der die finalen Varianten für jeden Grundbaustein ausarbeitet. Diese könnten vom gesamten Souverän final abgestimmt werden - durch "Systemisches Konsensieren", das bedeutet, dass der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand gewinnt. Die Ergebnisse würden als Wirtschaftsteil in die Verfassungen eingehen und bindend für die gesetzgeberische Arbeit von Regierungen und Parlamenten wirken. Langzeitziel ist eine "souveräne Demokratie", in der der Souverän, wörtlich die "über allem stehende" Instanz, das höchste Dokument, die Verfassung, selbst schreiben und verändern kann. Ein historisch würdiges Datum für einen demokratischen Verfassungsprozess könnten 2019 und 2020 sein: 100 Jahre Demokratie in Deutschland und Österreich.
Eine internationale Bewegung
Der "Gesamtprozess Gemeinwohl-Ökonomie" (GWÖ) startete 2010 in Wien. Ein Dutzend klein- und mittelständischer Unternehmen aus Österreich wollte nicht länger hinnehmen, dass ihnen ethisches Verhalten zum Wettbewerbsnachteil gereicht. In fünf Jahren ist die Initiative zu einer internationalen Bewegung gewachsen: Ende 2017 unterstützen über 2300 Unternehmen aus 45 Staaten die Bewegung, rund 500 haben die Gemeinwohl-Bilanz freiwillig erstellt. Darunter befinden sich so unterschiedliche Unternehmen wie die Sparda Bank München, die Biogroßhändler Bodan (Baden-Württemberg) und Oikopolis (Luxemburg), der Outdoor-Ausrüster Vaude, der Event-Dienstleister Satis & Fy aus Frankfurt, der Waldviertler Kräutertee-Hersteller Sonnentor, die Hotels Hochschober und La Perla aus Kärnten und Südtirol oder die Sozialbetriebe Lebenshilfe Tirol und Herzogsägmühle in Oberbayern.
Großes Interesse an der GWÖ herrscht an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten. Die Universitäten Flensburg und Kiel erforschen die Erstellbarkeit der Gemeinwohl-Bilanz in Großunternehmen. Drei Fachhochschulen haben bereits selbst die Bilanz erstellt. Die Universität Valencia hat im Juni 2017 einen Lehrstuhl Gemeinwohl-Ökonomie eingerichtet, an der FH Burgenland startet 2018 der Lehrgang "Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie".
Neben Unternehmen und Universitäten haben sich in Spanien die ersten Kommunen per Ratsbeschluss auf den Weg zur Gemeinwohl-Gemeinde gemacht: Miranda de Azán bei Salamanca, Carcaboso in Extremadura und Orendain im Baskenland. An der Spitze ist die Region Valencia mit insgesamt vier Gesetzen zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie. In Österreich wurden Nenzing und Mäder als erste Gemeinden gemeinwohlbilanziert. In Bayern hat Wielenbach mit einstimmigem Ratsbeschluss den Anfang gemacht. In Stuttgart erstellen vier Kommunalbetriebe die Bilanz.
Erste politische Erfolge
Den bisher größten politischen Erfolg feierte die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung auf EU-Ebene. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, ein 350-köpfiges Beratungsorgan von Kommission, Parlament und Rat, verfasste eine sogenannte Initiativstellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie, die in einem achtmonatigen Verfahren auf ein Zehnseitendokument kondensiert wurde. In der Abstimmung im Plenum im September 2015 votierten 86 Prozent der Ausschuss-Mitglieder für die Gemeinwohl-Ökonomie und ihren Einbau in den Rechtsrahmen der EU und ihrer Mitgliedstaaten.
Am Prozess der Gemeinwohl-Ökonomie kann sich jede Privatperson, jedes Unternehmen, jede Organisation und jede Gemeinde niederschwellig beteiligen. Mehrere Tausend Menschen von Schweden bis Spanien, von Holland bis Chile tun dies bereits. Infos unter: www.ecogood.org; www.mitgruenden.at; www.christian-felber.at
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