Patenschaften verwirklichen das Gebot der Nächstenliebe
Die Familie muss sich neu erfinden, "kleine Lebenskreise" müssen gestärkt werden: So lautet der Befund der Expertenkommission "Familie und demografischer Wandel" in ihrem Bericht "Starke Familie - Solidarität, Subsidiarität und kleine Lebenskreise" für die Robert-Bosch-Stiftung.
Familien sind das Grundelement unserer Gesellschaft. Familie ist für viele der verlässliche Ort, der für sie Heimat, Intimität, Glück, Liebe und Lebenssinn bedeutet. Familie sichert die gegenseitige Sorge, Verantwortung und Pflege zwischen den Generationen. Die Aufgaben der Familie sind jedoch nicht leicht zu stemmen: Wirtschaftliche Entwicklungen, neue Lebensformen und demografischer Wandel stellen Anforderungen, die die traditionelle Familie enorm unter Druck setzen. Viele Familien können ihre Funktion des "Kümmerns" kaum mehr erfüllen. Deshalb ist es Aufgabe der Politik, Familien zu entlasten und zu stärken. Dazu bedarf es zivilgesellschaftlichen Engagements, personaler Solidarität und gelebter Subsidiarität. Die kleinen Lebenskreise sind gefordert: quasi-familiäre Wohn-, Arbeits- und Zweckgemeinschaften, in denen sich Menschen freiwillig und selbstverpflichtend um einer gemeinsamen Sache willen zusammenschließen. Private Netzwerke, Nachbarschaftsinitiativen und neue Wohnformen sind Beispiele dieser Lebenskreise.1
Um Familien zu entlasten, gibt es bereits einige Ansätze. So wurde im Jahr 2006 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein "Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen" eingerichtet. Derzeit gibt es in Deutschland 156 Leistungen für Ehe und Familie mit einem finanziellen Umfang von rund 183 Milliarden Euro, davon 111,5 Milliarden für familienbezogene Leistungen. Aber neben der unerlässlichen finanziellen Unterstützung brauchen Familien auch persönliche nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Unterstützung. Hier gibt es von Verbänden, Kirchen und Kommunen Angebote für Familien. Der Förderverein "Patenschaften - Aktiv"2 dokumentierte in seiner Internetdatenbank für Deutschland im Jahr 2007 307 Patenschaftsprogramme aus den genannten Bereichen. Mittlerweile hat er 618 Projekte aufgeführt. Der Deutsche Caritasverband (DCV) hat in seiner Befähigungsinitiative im September 2009 über 800 Projekte gelistet, die sich als Patenschaftsprogramme für Kinder, Jugendliche und Familien einsetzen.3
Mentoring und Patenschaft werden synonym gebraucht
Doch welche Idee verbirgt sich hinter Patenschaft? Das Wort "Mentoring" ist seit einigen Jahren ein Synonym für Patenschaften geworden. Allgemein bezeichnet der Begriff Mentor die Rolle eines Ratgebers. Mentor war in der griechischen Mythologie der Freund des Odysseus und Erzieher von dessen Sohn Telemachos. Während der Irrfahrt des Odysseus nach dem Trojanischen Krieg nahm die Göttin Athene von Zeit zu Zeit die Gestalt Mentors an, um über Telemachos zu wachen und ihm Ratschläge zu geben.4
Die Patenschaft geht zunächst einmal von asymmetrischen Verhältnissen aus: Es besteht ein fürsorgliches Verhältnis zwischen einem Fürsorgenden und einem der Fürsorge Bedürftigen.5 Patenschaften allgemein und Patenschaften als Modell des bürgerschaftlichen Engagements konfrontieren mit der Realität ungleicher Verhältnisse und machen auf Defizite von einzelnen Personen oder sozialen Gruppen sowie von sozialen Strukturen aufmerksam. Sie fordern zum sozialen Handeln auf, in dem sie Alternativen gegenüber diesen Defiziten anbieten.
Patenschaften verwirklichen das Gebot der Nächstenliebe
Die katholische Soziallehre untermauert das Prinzip der Patenschaften. Papst Benedikt XVI. hat mit seiner Enzyklika "Deus caritas est" aus dem Jahr 2005 auf die bleibende Aufgabe aufmerksam gemacht, sich für die gerechte Gestaltung des menschlichen Lebens einzusetzen. Als Leitmotiv benennt er dafür das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Dabei geht er theologisch davon aus, dass Gott uns Menschen das Geschenk seiner zuvorkommenden Liebe gemacht hat, das bei Annahme jeden einzelnen Menschen dazu befähigt, diese Liebe Gottes als erfahrene Liebe im Sinne der Caritas weiterzugeben.6 Er beschreibt Liebe als einen Dienst, den die Kirche entfaltet, um auch materiellen Leiden und Nöten der Menschen zu begegnen.7 Mit einem solchen Verständnis von Liebe, das Formen der sozialen Liebe im Sinne der Wertschätzung des je anderen in den Blick nimmt, kann auf die grundlegenden Prinzipien der katholischen Soziallehre und ihre Bedeutung für Patenschaftsprojekte verwiesen werden:
- Personalität: Paten selbst müssen sich dem Prinzip der Personalität stellen. Es verlangt von ihnen, die Personwürde desjenigen aufrechtzuerhalten, für den sie das Patenamt übernehmen.
- Solidarität: Paten setzen sich ein für den konkreten Einzelnen und arbeiten mit an den Strukturen einer gerechteren sozialen Ordnung.
- Subsidiarität: Paten achten die Befähigungen derer, für die sie Paten sind, und bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Hier geht es um Subjekt-Subjekt-Beziehungen.
Ein Beispiel für nachweisbar wirksame Subjekt-Subjekt-Beziehungen ist das Patenschaftsprogramm für Grundschulkinder "Balu und Du". Bereits knapp 1500 "Moglis" wurden durch ebenso viele "Balus" ein Jahr lang ehrenamtlich gefördert. Die Mentoringbeziehung wird durch das Konzept des informellen Lernens wesentlich geprägt. Eine qualitative Analyse von Tagebucheinträgen der Mentor(inn)en hat herausgefiltert, wie bedeutsam die persönliche vorurteilsfreie Zuwendung für das Gelingen der Beziehungen ist. Die Zuwendung ist von den Pat(inn)en und den Kindern gewollt. Aber es geht nicht um eine streng nachvollziehbare soziale Technik, die erlernt werden könnte, sondern eher um das fast schon spielerisch-kreative Aufeinanderzugehen von zwei einander zunächst unbekannten Menschen.
Die Kinder und deren Familien müssen sich freiwillig entscheiden können, bei welchen Patenschaftsprojekten sie teilnehmen. Sie haben sehr unterschiedliche Gründe für diese Entscheidung. Die meisten Familien erfahren über die Klassenlehrer(innen), dass es die Patenschaft gibt. Aus Interesse an einer außerschulischen Fördermöglichkeit für das Kind melden die Eltern dann das Kind an. Die Kinder wiederum sind einfach neugierig auf einen neuen optimistischen jungen Erwachsenen, der nur für sie Zeit zum Reden, Spielen, Ausflüge machen oder für stressfreies Lernen außerhalb der Schule hat. Patenschaften gelingen, wenn die Pat(inn)en regelmäßig, am besten wöchentlich mehrere Stunden, und zuverlässig für das Kind da sind. Die Pat(inn)en müssen ebenso regelmäßig die Möglichkeit nutzen, sich mit pädagogischen Fachkräften und anderen Pat(inn)en in Gesprächen auszutauschen. So bleibt kein Pate allein, sondern kann gut informiert und begleitet seine sinnvolle ehrenamtliche Aufgabe ausüben.
Die kleinen Persönlichkeiten entwickeln sich in vielerlei Hinsicht positiv: Verborgene Talente, Interessen und Begabungen entfalten sich. Alltagsprobleme werden gemeistert. Im "Balu-Jahr" passiert viel - mit Mogli und mit Balu.8
Anmerkungen
1. www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/25208.asp
2. www.patenschaften-aktiv.de
3. www.caritas.de/42144.html
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Mentor_%28 Mythologie%29. Eine kritische Sicht auf Mentoring bietet die angelsächsische Fachliteratur, beispielsweise Colley, Helen (2001c): Righting rewritings of the myth of mentor : A critical perspective on career guidance mentoring. British Journal of Guidance & Counselling, 29 (2), S. 177-197.
5. Die folgenden Ausführungen zur katholischen Soziallehre basieren auf einem Vortrag von Gundo Lames, gehalten am 11. Juni 2008 in Trier.
6. Pompey, Heinrich: Deus caritas est. Zur Neuprofilierung der caritativen Diakonie der Kirche. Würzburg, 2007, S. 18 ff.
7. DCE 19, vgl. Pompey, a.a.O., S. 37.
8. www.balu-und-du.de