Konzerne bilden aus - Bildungswerke betreuen
"In meinem Einsatzbetrieb wurde ich wie ein ganz normaler Auszubildender behandelt. Die Kollegen waren klasse und die Ausbildung hat Spaß gemacht", sagt Rüdiger G., ein ehemaliger Auszubildender.
Kooperationen zwischen Bildungsträgern und Unternehmern zur Ausbildung Jugendlicher mit Behinderung gibt es schon seit Jahrzehnten. Neu ist aber, dass sich ein Konzern - hier die Metro Group - findet, der mit Berufsbildungswerken zusammen die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung vorantreibt und diese Kooperation so weit systematisiert, dass sie "verzahnt" genannt werden darf. Das Konzept wurde vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHKT) mit dem Otto-Wolf-Preis für besonders innovative Ausbildungskonzepte ausgezeichnet.
150 Betriebe haben sich angeschlossen
Seit mehr als vier Jahren arbeitet die Metro Group erfolgreich mit den Berufsbildungswerken zusammen, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke organisiert sind. Im Lauf der Zeit sind weitere Firmen hinzugestoßen. Neben großen Betrieben wie Edeka Südwest und Vattenfall ist das Projekt gezielt auf kleine und mittelständische Unternehmen ausgeweitet worden. Mittlerweile wird in mehr als 150 Betrieben verzahnt ausgebildet.
Das Projekt richtet sich an Jugendliche, die wegen einer Behinderung in einem Berufsbildungswerk ausgebildet werden, aber durchaus "betriebsfähig" sind, wenn man sich ihrer dort annimmt und sie angemessen unterstützt. Sie werden mindestens sechs Monate betrieblich betreut und an realen Arbeitsplätzen ausgebildet. Das kann in der Wäscheabteilung eines Kaufhauses, bei einer Bäuerin in der Hauswirtschaft oder aber auch in einem Gartenbaufachmarkt sein. Auch in einer Großküche oder in Baumärkten sind Beispiele verzahnter Ausbildung anzutreffen. Inzwischen bieten 34 Berufsbildungswerke 200 Ausbildungsplätze in fünf unterschiedlichen Ausbildungsbereichen an.
Kein regulärer Ausbildungsplatz ist gefährdet
Um überhaupt eine verzahnte Ausbildung durchführen zu können, müssen sich alle Partner an bestimmte Spielregeln halten. Diese sind von vorneherein festgelegt. Die Partnerfirmen verpflichten sich, die praktischen Inhalte der Ausbildung nach den gesetzlichen Bestimmungen und einem Ausbildungsplan zu vermitteln, der gemeinsam erstellt wird. Die Berufsbildungswerke hingegen treffen weitere Entscheidungen bezüglich des Ausbildungsverlaufs und der Schwerpunktsetzung.
Die Partnerbetriebe garantieren, dass kein regulärer betrieblicher Ausbildungsplatz durch einen verzahnten Ausbildungsplatz verloren geht. Auch werden nur solche Personen mit der Ausbildung beauftragt, die aufgrund ihrer Ausbildung und durch ihre Berufserfahrung dafür qualifiziert sind. Des Weiteren wird die verzahnte Ausbildung nur an geeigneten Ausbildungsplätzen durchgeführt und nur solche Tätigkeiten und Aufgaben übertragen, die dem Ausbildungszweck dienen. Dies stellt sicher, dass alle Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden, die notwendig sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen.
Da die Ausbildungsverantwortung bei den Berufsbildungswerken verbleibt, übernehmen diese die Auswahl der Auszubildenden nach bestimmten Kriterien, steuern die Ausbildung und haben auch die Verantwortung gegenüber dem Rehabilitationsträger und den Kammern.
Selbstverständlich kommt den Auszubildenden, die an einer verzahnten Ausbildung teilnehmen, das komplette Hilfepaket entsprechend der Konzeption beruflicher Rehabilitation in den Berufsbildungswerken zugute, wie die sozialpädagogische, psychologische und medizinische Begleitung. Fester Bestandteil dieser Leistungen sind Stütz- und Förderunterricht in Abstimmung mit den betrieblichen Ausbildern und der Berufsschule. Die Begleitung, Vor- und Nachbereitung des Lernstoffs während der betrieblichen Phase sind als kontinuierlicher Prozess gestaltet. Ein Schwerpunkt liegt in der Prüfungsvorbereitung für die Zwischen- und Abschlussprüfung.
,,Unsere Auszubildenden profitieren von der Betriebspraxis nicht nur in der mündlichen Abschlussprüfung. Sie machen meist durch die Akzeptanz der Mitarbeiter(innen) und Kund(inn)en in den Betrieben einen Entwicklungssprung, werden offener, selbstständiger und selbstbewusster", weiß Birgit von Elmpt-Hybel, Ausbilderin im Kolping-Berufsbildungswerk Essen aus Erfahrung.
Bei Krisen gehen Ausbilder selbst in Betriebe
Den Berufsbildungswerken und ihren Mitarbeiter(inne)n kommt eine koordinierende Funktion zu. Dies verändert deren Aufgabenfeld. Um gezielt arbeiten zu können, halten sie engen Kontakt zu den Betrieben. Sie sind auch Bindeglied zu den Berufsschulen.
Zu Beginn des Ausbildungsjahres wird mit den betrieblichen Ausbildern ein Förderplan erarbeitet, der laufend überprüft und fortgeschrieben wird. Angestrebt werden ein kontinuierlicher wechselseitiger Informationsfluss und eine enge Kooperation. Wichtigster Punkt ist die Krisenintervention. Bei Problemen im Betrieb müssen die dortigen Mitarbeiter(innen) sofort einen Ansprechpartner in den Berufsbildungswerken erreichen können, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Es war bisher bei Berufsbildungswerken eher unüblich, dass ihre Mitarbeiter(innen) während bestimmter Phasen der Ausbildung und bei Krisen selbst in die Betriebe gehen. Heute arbeiten sie dort schon mal selbst mit, um so die Teilnehmer(in) vor Ort stabilisieren zu können. ,,Ich begrüße es, wenn die Ausbilder der Berufsbildungswerke mit unseren betrieblichen Ausbildern engen Kontakt halten, um gemeinsam für die im Betrieb arbeitenden Auszubildenden ein Optimum an Förderung und Entwicklung zu erreichen", meint Jürgen Pfister, Bereichsleiter Personal und Soziales der Metro Group.
Dass eine verzahnte Ausbildung den behinderten Jugendlichen zugute kommt, liegt auf der Hand. Schließlich ist der eigentliche Zweck der beruflichen Rehabilitation eine Vorbereitung auf die Berufswelt, die der dualen Ausbildung nicht behinderter Jugendlicher gleichwertig ist.
Alle Beteiligten profitieren
Der Vorteil für die Berufsbildungswerke ist, dass hier eine Ausbildung mit einer hohen Betriebsnähe ermöglicht werden kann, eine Ausbildung mit intensivem Kundenkontakt, Realaufträgen und mit der Möglichkeit einer Teilnahme der Auszubildenden an betrieblichen Schulungen. In diesem Ausbildungssystem haben aber auch Betriebe eine ganze Reihe von Vorteilen: Zum Imagegewinn hinzu kommt die Möglichkeit, die Auszubildenden auf die Schwerbehindertenquote anzurechnen. Darüber hinaus gibt es einige Nutzen, die nicht von Anfang an in den Blick geraten. So erhalten die Betriebe auch einen Know-how-Zufluss in Bezug auf die Ausbildung schwächerer Auszubildenden. Mit Blick auf sinkende Schulabsolventen ist dies durchaus nicht zu unterschätzen.
,, Durch die Möglichkeit zur Teilnahme an der verzahnten Ausbildung konnte ich nach meiner Ausbildung zur Verkäuferin die Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel fortsetzen und bekam im Anschluss sogar einen Job", erzählt Nadiene L., ehemalige Auszubildende.