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  • Spiritualität im Pflegealltag fördert Kultur des Respekts
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Spiritualität im Pflegealltag fördert Kultur des Respekts

Gewalt in Pflegeheimen ist ein Problem. Eine einfache Lösung gibt es nicht. Es ist Aufgabe der Leitung, für den Schutz der Gepflegten und der Pflegenden zu sorgen. Eine ruhige Arbeitsatmosphäre, Deeskalationsschulungen und flache Hierarchien sind hilfreich. Ein Erfahrungsbericht.

Gewaltvorfälle in Pflegeheimen sind ein ernstes und äußerst sensibles Thema, das immer wieder für Schlagzeilen in den Medien sorgt und das auch in Markus Breitscheidels Buch "Abgezockt und totgepflegt" aus Sicht eines Undercovers vielschichtig thematisiert wird.

Zahlreiche Berichte und Studien beleuchten das Ausmaß des Problems und zeigen, dass Gewalt in Pflegeeinrichtungen nicht nur vereinzelt vorkommt, sondern weit verbreitet ist. Ein erschreckendes Beispiel liefert die Süddeutsche Zeitung im November 2023: Ein 33-jähriger Pfleger soll mehrere Heimbewohner misshandelt haben.1 Auch die Allgäuer Zeitung greift das Thema im Dezember 2024 auf und verweist auf eine Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP)2, die zeigt, dass es in 37 Prozent der deutschen Pflegeheime Probleme mit Aggression und Gewalt gibt. Laut einer weiteren Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP)3 gibt fast jede:r dritte Befragte an, dass Maßnahmen gegen den Willen von Patienten und Pflegebedürftigen in Pflegeheimen häufig vorkommen. Jede:r Zehnte hat in jüngerer Zeit konkrete Gewalterfahrungen erlebt.

Die Berichte machen auch deutlich, dass es keine einfachen Lösungen für die zunehmende Gewalt gibt. So berichtet "Welt" im September 2024⁴, dass es kein "Pauschalrezept für Deeskalation" gebe – eine erschreckende Erkenntnis, wenn man die realen Fälle betrachtet. Ein besonders erschütternder Vorfall im benachbarten Ennepetal, bei dem ein 51-jähriger Pfleger in 14 Fällen demente Frauen sexuell missbrauchte, macht die Problematik noch deutlicher. Der Pfleger wurde kürzlich zu einer Haftstrafe von fast zwölf Jahren verurteilt. Die Gewalt ist da - und nah.

Gewalt hat bei uns keinen Platz

Die Berichte sind einmal mehr ein Grund, mich intensiv mit der Verantwortung auseinanderzusetzen, die ich täglich als Quartiersleitung des St. Marien Quartiers wahrnehme. Denn bei der Versorgung unserer Bewohner:innen in Schwelm geht es nicht nur um die Pflege ihrer körperlichen Gesundheit, sondern auch um die Wahrung ihrer seelischen Unversehrtheit – und das betrifft nicht nur die Gepflegten, sondern auch die Pflegenden. Gewalt, in welcher Form auch immer, hat keinen Platz in unserem Denken, Handeln und Reden! Es ist die Aufgabe jeder Leitungskraft, sich für den Schutz der vulnerablen Gruppe einzusetzen, der Gepflegten, aber auch der Pflegenden. Wir müssen eine hohe Sensibilität entwickeln, um Situationen zu erkennen, in denen sich aggressives oder herausforderndes Verhalten ankündigt.

In Vorbereitung auf diesen Text habe ich viele Gespräche mit Mitarbeitenden aus allen Funktionsbereichen geführt und immer wieder die Frage gestellt: "Erleben Sie Gewalt in Ihrem Arbeitsalltag oder nehmen Sie sie wahr?" Allein die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat gezeigt, wie vielfältig Gewalt im Pflegealltag sowohl offensichtlich als auch unbemerkt auftreten kann. Doch was genau verstehen wir unter Gewalt in der (teil-)stationären Pflege? Erleben wir Gewalt in unserer Einrichtung, und welche Maßnahmen können wir ergreifen, um sie zu verhindern? Und von welchen Formen der Gewalt sprechen wir eigentlich in einer beziehungsweise explizit in unserer Pflegeeinrichtung?

Im Mittelpunkt der öffentlichen und internen Diskussionen steht immer wieder die körperliche Gewalt: Hierzu zählen Schläge, Stöße, Schubsen, Beißen, grobe Berührungen oder jede Art von körperlicher Misshandlung, die in der Pflegebeziehung auftreten kann. Subtilere Formen von Gewalt hingegen sind häufig, nicht sofort erkennbar. Ein Beispiel: "Warum trinken Sie nichts, Frau K.?" – verbunden mit dem statischen Halten des Trinkbechers am Mund von Frau K. Wenn diese Dame sprechen und gestikulieren könnte, hätte sie vermutlich selbst eingegriffen, um das zu verhindern. Doch so bleibt es unbemerkt, dennoch ist es Gewalt.

Zu der psychischen Gewalt gehören verbale Erniedrigungen, Drohungen, Entwürdigungen oder ständige Herabsetzungen der betroffenen Person. Ein Beispiel: "Niemand wird sich mehr um Sie kümmern, wenn Sie so weitermachen mit Ihrem fordernden Verhalten." Diese Art der verbalen Erniedrigung kann das Selbstwertgefühl eines pflegebedürftigen Bewohners erheblich schädigen und das Gefühl vermitteln, wertlos oder unerwünscht zu sein. Auch das ist Gewalt! Aber auch umgekehrt kann herausforderndes Verhalten wie lautes Rufen, ständiges Klingeln und Ähnliches eines Bewohners zu psychosomatischen Aus­wirkungen führen und durch Pflegende als Gewalt empfunden werden.

Weniger offensichtlich ist die Vernachlässigung, etwa durch unterlassene Hilfeleistung oder das absichtliche Nichterfüllen grundlegender Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene oder medizinische Versorgung. Solche Handlungen werden im Austausch mit Mitarbeitenden leider durchaus als "nicht schlimm" abgetan.

Hohe Arbeitsbelastung als Ursache

Die sexuelle Gewalt zeigt sich durch ungewolltes Angefasst- oder Berührtwerden oder durch das Aufzwingen sexueller Handlungen während der Pflege. Aber auch anstößige Bemerkungen, anzügliche Witze oder die Nutzung sexualisierter Sprache gegenüber den Bewohner:innen sind Formen sexueller Gewalt. Diese Form der Gewalt wird leider nur allzu oft seitens der Mitarbeitenden geduldet, so auch in unserer Einrichtung.

Die strukturelle Gewalt betrifft vor allem das System selbst - etwa durch unzureichende Personalausstattung, hohe Arbeitsbelastung oder mangelhafte Ausbildung und Aufklärung der Mitarbeitenden. Strukturelle Gewalt tritt häufig dann auf, wenn die institutionellen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die Arbeitsorganisation, Ressourcenverteilung oder autoritäre Praktiken von Leitungskräften die Rechte und das Wohl der Betroffenen gefährden, ohne dass eine Einzelperson direkt dafür verantwortlich gemacht werden kann. In Pflegeheimen existieren oft starre hierarchische Strukturen, in denen Pflegekräfte wenig Mitspracherecht haben und Entscheidungen von der Leitungsebene getroffen werden, ohne die Perspektive der Mitarbeitenden oder der Bewohner:innen zu berücksichtigen. Solche Strukturen können ein Gefühl der Machtlosigkeit und Entmündigung bei Pflegekräften und Bewohner:innen hervorrufen, was Gewalt begünstigen kann. Ein Gespräch mit unserem Bewohner Herrn W. nach einer gewaltvollen verbalen Auseinandersetzung mit einer Pflegekraft hat mir dies einmal mehr verdeutlicht: "Frau Spitz, ich bin Sklave meiner Pflegebedürftigkeit. Alleine kann ich meine Situation nicht ändern. Das macht mich aggressiv."

Ventil Pflegekraft

Die Gespräche mit den Mitarbeitenden spiegeln, in welchen Beziehungen im Pflegealltag Gewalt erlebt wird – zum Beispiel zwischen Bewohner:innen und Pflegekraft. Es kommt nicht selten vor, dass pflegebedürftige Menschen aufgrund ihrer eigenen physischen oder psychischen Verfassung aggressiv gegenüber dem Pflegepersonal werden. Dazu gehören verbale Beschimpfungen oder körperliche Angriffe. Diese Aktionen sind Ausdruck von Frustration, Angst oder Schmerz, die sich gegen das "Ventil Pflegekraft" richten, häufig verbunden mit demenziellen Erkrankungen.

Auch die Gewalt zwischen Mitarbeitenden und Angehörigen ist ein Spannungsfeld. Hier kommt es
zu Konflikten, wenn Angehörige das Gefühl haben, ihre Familienmitglieder würden nicht angemessen versorgt, oder wenn sie ihr schlechtes Gewissen über die "Abschiebung" ins Heim entladen müssen. In solchen Fällen kann es zu verbalen Auseinandersetzungen oder gar zu Vorwürfen kommen, die von den Pflegekräften als psychische Gewalt empfunden werden.

Nicht zu unterschätzen ist die Gewalt unter Mitarbeitenden, die ein toxisches Arbeitsklima verursachen. Hierzu gehören Mobbing, Ausgrenzung oder unfaire Behandlung von Kolleg:innen. Stress und Überlastung können Spannungen unter den Mitarbeitenden fördern, was letztlich auch das Wohl der Bewohner:innen beeinträchtigt. In unserem Quartier arbeiten Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, deren Heimatländer teilweise Krieg gegeneinander führen. Es bedarf einer hohen Sozialkompetenz und gegenseitigen Sensibilität im Arbeitsalltag. Gegenüber einer Mitarbeiterin kam mir selbst die Frage nach Gewalt fast lächerlich vor, mit dem Wissen, dass in ihrer Biografie politische und soziale Gewalt tägliches, erschreckendes Erleben war.

Als Leitungskraft steht man unter dem Druck, finanzielle und personelle Ressourcen optimal einzusetzen und gleichzeitig den wachsenden Ansprüchen der Kunden gerecht zu werden. Durch maximale Selbstdisziplin kann verhindert werden, dass dieser Druck nicht an die Mitarbeitenden weitergegeben wird. Gewalt entsteht, wenn die Hierarchie als Instrument zur Macht eingesetzt wird.

Meine Praktika in den Niederlanden und der Schweiz haben mich inspiriert und in mir eine Vision entfacht: den Verzicht auf Hierarchie zugunsten eines kooperativen, gleichwertigen und gewaltfreien Miteinanders zwischen allen Beteiligten im Pflegealltag.

Auf dem Weg zum gewaltarmen Miteinander

Wir sind auf einem guten Weg zu einem gewaltarmen Miteinander und setzen Maßnahmen konsequent um. Dazu gehören Schulungen in der Deeskalation von Konflikten und im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Die Deeskalation ist ein wichtiges Instrument im Pflegealltag, um durch methodische Vorgehensweise eine gewaltvolle Handlung zu verhindern oder zu klären. Weitere Maßnahmen umfassen regelmäßige Reflexionen über Belastungen in den Teamsitzungen sowie verpflichtende Schulungen in der Gewaltprävention. Über ein digitales Meldesystem haben alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, Vorfälle von Gewalt anonym zu melden. In fast allen Gesprächen mit Mitarbeitenden wurde als entscheidender Faktor für die Prävention von Gewalt eine faire und ruhige Arbeits­atmosphäre genannt. Wenn sich Pflegekräfte unterstützt fühlen, ist die Wahrscheinlichkeit von Konflikten geringer. Ebenso spielen die Einstellung und Werte der Leitungskräfte eine wichtige Rolle: Eine Führung, die das Wohl der Pflegekräfte und Bewohner:innen in den Vordergrund stellt, trägt zu einer geringeren Gewaltbereitschaft bei.

"Alles aus Liebe zum Herrn"

Als christliche Einrichtung, die die konfessionellen Traditionen und spirituellen Rituale aktiv lebt, haben wir uns gefragt, ob die Spiritualität Einfluss auf die Gewaltbereitschaft hat. Einige Fachleute sind der Meinung, dass spirituelle Praktiken wie Achtsamkeit, Meditation oder die Förderung eines respektvollen Umgangs zwischen den Bewohner:innen und dem Pflegepersonal zu einer deeskalierten Atmosphäre führen können. In unserem Pflegeteam arbeiten Ordensschwestern, die die Spiritualität im Quartier stark beeinflussen. "Alles aus Liebe zum Herrn" ist ihr Leitsatz, den sie spürbar für alle in ihrer Arbeit leben. Mitarbeitende beschreiben die von den Schwestern ausgehende Spiritualität als emotionale Stärkung, die den gegenseitigen Respekt und die Achtsamkeit fördert.

Gewalt in der Pflege widerspricht zutiefst dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und dem Unternehmensleitbild der Contilia. Jeder Mensch verdient Würde, Respekt und Fürsorge - besonders die Schwächsten unter uns. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, eine Kultur der Achtsamkeit und des Respektes zu fördern, in der Pflegebedürftige mit Liebe begleitet und Pflegekräfte in ihrer wichtigen Arbeit unterstützt werden.

Im Gegensatz zum aktuellen weltpolitischen Geschehen ist unser Ziel die "Nulltoleranzpolitik" gegenüber Gewalt im Miteinander!


  1. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-10-sueddeutsche
  2. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-10-zqp
  3. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-10-dip
  4. Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-10-welt

Gewaltschutz im Ehrenamt

Vorbeugen ist wie Rucksack-Packen – einfach unverzichtbar

In ehrenamtlich begründeten Konstellationen ist Gewaltschutz ein ebenso wichtiges Anliegen wie in beruflichen Settings der Pflege und Betreuung. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt hat zusammen mit gemeinnützigen Dachverbänden Empfehlungen und Vorlagen für die Präventionsarbeit erstellt:1

  • Es braucht das Bewusstsein aller Beteiligten, dass es Präventionsarbeit geben muss, die ausnahmslos alle einbezieht. So kann sich Vertrauen bilden, so lassen sich Freiräume erhalten, ohne die Engagement undenkbar ist. Schulungen und Trainings, aber auch eine offene Kommunikationskultur einschließlich eines glaubwürdigen Beschwerde-Managements können dieses Bewusstsein wesentlich fördern.
  • Ein Verhaltenskodex, der sowohl jegliche Gewalt und Diskriminierung untersagt als auch klare Regeln für den Umgang mit diesen enthält, ist von ausnahmslos allen beruflich und ehrenamtlich Engagierten zu unterzeichnen.
  • Die Risiken für bestimmte Formen von Gewalt - Beleidigungen und Hassbotschaften (online oder face to face), Diskriminierungserlebnisse, physische Angriffe auf Menschen oder Dinge, sexualisierte verbale oder physische Gewalt – bestehen je nach Engagementfeld in unterschiedlicher Weise. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens und der mögliche Schaden sollten durch die Vereine und ihre Engagierten gemeinsam abgeschätzt werden, um gezielt vorbeugen zu können.
  • Auf interne Vertrauenspersonen sowie auf niedrigschwellige Zugänge zu unabhängigen Anlaufstellen für Gewaltschutz und zur Polizei sind alle Beteiligten vor ihrem Einsatz hinzuweisen.

1. www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de/schutz-und-praevention-im-ehrenamt


Souverän in herausfordernden Situationen

Die zwölf Grundregeln der Deeskalation im Überblick

  • Wehret den Anfängen
  • An die eigene Sicherheit denken
  • Schaulustige entfernen
  • Selbstberuhigung
  • Angespannte Patient:innen, Klient:innen brauchen eine:n Ansprechpartner:in
  • Eigene Körpersprache, Mimik, Gestik und Stimme richtig einsetzen
  • Augenkontakt herstellen
  • Versuchen Sie nie, den Patienten zu kontrollieren oder zu beherrschen
  • Nicht provozieren oder von verbaler Aggression treffen lassen
  • Provokationen, Vorwürfe, Ermahnungen oder Drohungen vermeiden
  • Wertschätzung auch in Drucksituationen vermitteln
  • Bedürfnisse und Gefühle identifizieren

Quelle: Institut ProDeMa.
Mehr zum Thema unter Kurzlink: https://tinyurl.com/nc25-10-prodema   

Autor/in:

  • Bettina Spitz
Zuletzt geändert am:
  • 28.05.2025
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